Es gibt viele Politikerpaare. Aber nur selten verläuft die Entwicklung so geradlinig und parallel wie bei Olaf Scholz und Britta Ernst – der Hamburgerin, die jetzt Bildungsministerin in Schleswig-Holstein ist.

Es ist ein Satz, den man am besten gleich zweimal liest. „In keinem Bereich ist es richtig, dass Veränderungen bei einem Partner mit dem Verzicht des anderen begleitet werden.“ Soll heißen: Wenn einer Karriere macht, darf der Partner nicht karrieretechnisch darunter leiden. Geschrieben hat den milde verklausulierten Satz Britta Ernst (SPD), die neue Ministerin für Schule und Berufsbildung in Schleswig-Holstein, im März 2011. Es war der Augenblick, als ihr Mann Olaf Scholz zum Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg gewählt wurde. Für Ernst, damals eine der profiliertesten SPD-Bürgerschaftsabgeordneten, bedeutete der Aufstieg ihres Ehepartners, das war ihr klar, den eigenen Ausstieg aus der Hamburger Politik.

Die Bildungsexpertin Ernst galt als ausgesprochen senatorabel, und es wurde öffentlich diskutiert, ob es moralisch und politisch angehen kann, dass Mann und Frau gemeinsam am Kabinettstisch sitzen. Scholz und Ernst erkannten schnell, dass die Zeit für ein solches Experiment noch nicht reif war. Scholz pflegte daher auf Fragen nach der Karriere seiner Frau ziemlich schmallippig und in für ihn typischer Weise zu antworten, man werde die „Ordre public“ beachten, also die allgemeinen Vorstellungen von Moral und Sitte. Britta Ernst wurde nicht Schulsenatorin.

Wie schwer der heute 53 Jahre alten Sozialökonomin der Verzicht fiel, zeigt ihre „persönliche Erklärung“ vom März 2011, aus der der eingangs zitierte Satz stammt. Politisches Handeln unterliege ständiger Kontrolle, schrieb Ernst damals, und finde „vor aller Augen“ statt. Es könne daher jederzeit bewertet werden, „ob falsche Beweggründe das Handeln bestimmen“, ob also etwa das Private das Politische überlagere. Ernsts Fazit: „Ich kann Bedenken gegenüber solchen Konstellationen nachvollziehen, jedoch nicht, dass sie in jedem Fall zum Verzicht eines Teils führen müssen.“ Nur selten gewährt die ansonsten genauso kontrolliert wie ihr Mann auftretende Politikerin einen so offenen Einblick in ihre Seelenlage.

Ernst handelte nach der Wahl von Olaf Scholz zum Bürgermeister gegen ihre politische Überzeugung, aber konsequent: Sie übernahm in der neuen Fraktion keine Funktion mehr, hielt sich politisch zurück und verabschiedete sich ein halbes Jahr später aus Hamburg. Ernst wurde zuerst stellvertretende Verwaltungschefin der SPD-Bundestagsfraktion und übernahm im Jahr darauf die Leitung, also gewissermaßen die Geschäftsführung der Fraktion. Sie saß an den Schalthebeln der Macht, aber sie bediente sie nicht.

Nun übernimmt Britta Ernst mit dem Wechsel nach Kiel zum ersten Mal ein exekutives Amt. Dann ist ja alles in Ordnung, könnte mancher sagen. Sie hat eben nur einen Umweg nehmen müssen. Diese Interpretation führt in die Irre, denn es ging Ernst – wie auch Scholz – nie um eine Karriere nur um der Karriere willen. Und der notgedrungene Verzicht auf einen Senatsposten in Hamburg ist in ihrer Biografie deswegen so wichtig, weil er das Selbstverständnis der Politikerin Ernst exemplarisch beleuchtet.

Die Gleichstellung von Mann und Frau ist für sie stets ein zentrales Thema gewesen. Nichts liegt ihr ferner, als von diesem Gerechtigkeitsprinzip ausgerechnet bei sich selbst Abstriche zu machen. Es wäre überdies unglaubwürdig. Seit sie 1997 als Abgeordnete in die Bürgerschaft einzog, hat sie auf ihre Eigenständigkeit geachtet. Nach der Heirat behielt sie selbstverständlich ihren Geburtsnamen.

Die Rolle der „First Lady“, die ihr ein Dasein „an seiner Seite“ zugewiesen hätte, lehnte sie kühl ab: „Ich habe nicht das Gefühl, dass Hamburg etwas fehlt, wenn wir uns nicht als Paar inszenieren.“ Das hindert beide nicht, beim Presseball, der Matthiae-Mahlzeit oder einer Theaterpremiere gelegentlich gemeinsam aufzutreten. Aber Britta Ernst hasst es noch heute geradezu, wenn sie als „Ehefrau von Olaf Scholz“ vorgestellt wird. Allerdings besitzt sie genug Affektkontrolle, diesen Unmut nicht auch öffentlich sichtbar werden zu lassen. Das Bemühen um Distanzierung zeigt sich auch in der etwas kuriosen Angewohnheit der beiden, den jeweils anderen Dritten gegenüber immer nur als „Olaf Scholz“ oder „Britta Ernst“ zu bezeichnen.

Es gibt in der bundesrepublikanischen Politikgeschichte in der Tat mehrere Beispiele von Politikerpaaren. Nur in wenigen Fällen dürfte die politische Entwicklung allerdings so parallel und letztlich geradlinig verlaufen sein wie bei Scholz und Ernst. Ja, hier ist beinahe eine politische Symbiose zu diagnostizieren. Das ist auf den ersten Blick überraschend, weil die beiden kaum öffentlich wirksam gemeinsam Politik gemacht haben. Zum Verständnis dieser Politikerehe gehört, dass Ernst und Scholz schon als Studenten vor mehr als 30 Jahren beschlossen haben, die Politik ins Zentrum ihres Lebens zu stellen – die intensive, thematische Diskussion miteinander eingeschlossen.

Fast wortgleich pflegen beide zu sagen, dass sie der Wunsch antreibe, die Gesellschaft zu verändern. Mehr Gerechtigkeit, mehr Hilfe für die Schwachen – es sind die sozialdemokratischen Grundüberzeugungen, die Scholz und Ernst leiten. Aber nur mitschwimmen im Wohlgefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, war beider Sache nie. Schon als Jungsozialisten bastelten beide konsequent und häufig gemeinsam an ihrem Aufstieg in der Partei. Diesem Ziel haben sie vieles untergeordnet.

Scholz und Ernst eint auch derselbe Politikstil. Sie reden schnell, sehr schnell. Und beide argumentieren messerscharf und auf eindringliche, das Publikum manchmal ermüdende Art. Showeffekte, billige zumal, liegen ihnen nicht. Dass das bisweilen etwas blutleer und oberlehrerhaft wirkt, nehmen sie in Kauf. Scholz hat aus dieser glanzlosen Nüchternheit als Hamburger Bürgermeister inzwischen ein Markenzeichen gemacht, das mit dem Schlagwort vom „ordentlichen Regieren“ umschrieben wird. Nun ist es an Britta Ernst zu beweisen, dass sie das politische Handwerk ebenfalls versteht. Kaum jemand, der sie kennt, zweifelt daran, dass ihr das auch gelingen wird.

Ein Beispiel mag belegen, wie eigenständig und profiliert Britta Ernst als Bildungspolitikerin ist. Sie war als Fachpolitikerin maßgeblich am Zustandekommen des sogenannten Hamburger Schulfriedens 2010 beteiligt. Noch in der Opposition setzte die SPD mit Scholz – damals „nur“ SPD-Landesvorsitzender – und Ernst bei CDU und Grünen diesen Pakt durch, der zu kleineren Klassen und der Neueinstellung von mehr als 1000 Lehrern führte. Was als Abwehr der drohenden – und dann auch eingetretenen – Niederlage beim Volksentscheid gegen die Primarschule gedacht war, bedeutet heute einen kräftigen, wenn auch sehr teuren Schub für das Hamburger Schulsystem.

Ernsts neues Amt wird die beiden zwangsläufig politisch enger zusammenführen. Schon bald kann die schleswig-holsteinische Bildungsministerin in die Lage kommen, auch mit dem Hamburger Bürgermeister über das brachliegende Gastschulabkommen zwischen beiden Ländern zu verhandeln. Gemeinsame Kabinettssitzungen gehören ohnehin zum politischen Alltag im Norden. So wird im Ansatz Realität, was vor vier Jahren in Hamburg unmöglich schien.

„In keinem Bereich ist es richtig, dass Veränderungen bei einem Partner mit dem Verzicht des anderen begleitet werden“, hatte Ernst in ihrer „persönlichen Erklärung“ damals empört geschrieben. Doch schon im nächsten Satz formulierte sie einen Auftrag für die Politik: „Im Gegenteil: Es ist eine neue Aufgabe, genau das zu verhindern, und längst in der Wirtschaft oder Wissenschaft an der Tagesordnung.“ Das klingt nach einer politischen Langfriststrategie, deren Ziel sie nun einen Schritt näher gekommen ist.