Kommen die Sommerspiele in die Stadt, wären die Vattenfall Cyclassics die Blaupause für den olympischen Radkurs

Hamburg. Als Michael Neumann, 44, am Mittwochabend zur offiziellen Eröffnungsfeier der deutschen Kanumeisterschaften nach Allermöhe aufbrach, hatte er seinen Zeitplan ohne Hamburgs Radfahrer gemacht. Am Oortkatensee geriet er in einen Pulk trainierender Hobbyradler. Plötzlich ging nichts mehr. Neumann traf schließlich mit Verspätung an der Regattastrecke ein. „Die Gründe waren für mich aber höchsterfreulich“, sagte der Sportsenator. Hamburg bewegt sich, und vor der 19. Auflage der Vattenfall Cyclassics an diesem Sonntag vornehmlich auch auf dem Rad.

Es mag diese erlebte Begeisterung sein, die die Haltung des Senators zu möglichen Weiterungen des Events aufgeweicht hat. Hatte er noch vor zwei Jahren von einer Hamburger Bewerbung um eine Rad-Weltmeisterschaft abgeraten, auf die der Weltverband UCI damals massiv drängte, hörte sich jetzt seine Einstellung differenzierter an: „Wir kaufen nicht jede WM auf, weil wir uns gerade um Olympische Spiele bemühen, sondern setzen auf organisches Wachstum, Nachhaltigkeit und Kontinuität. Wir machen kein Event-Hopping. Deshalb konzentrieren wir uns auf unsere vier Hamburger Schwerpunktsportarten Schwimmen, Rudern, Hockey und Beachvolleyball. Das ist aber kein Grund für uns, sich nicht ernsthaft mit einer Rad-WM zu beschäftigen.“

Frank Bertling, 47, wird diese Sätze mit Wohlwollen vernommen haben. Der Geschäftsführer des Bahrenfelder Cyclassics-Veranstalters Lagardère Unlimited Events sieht in einer Weltmeisterschaft die konsequente Fortführung der bisherigen Ereignisse: „Die Grundlage für eine WM ist gegeben. Die logistischen Voraussetzungen sind erfüllt, das organisatorische Know-how ist auch in den Behörden vorhanden, es gibt eine breite Sponsorenbasis. Und der Radsport ist bei den Menschen in Hamburg tief verwurzelt. Natürlich geht es nur mit finanzieller Unterstützung der Stadt. Ich erinnere aber an die Triathlon-WM 2007: Sie musste nur mit einer halben Million Euro bezuschusst werden und hat Hamburg in der weltweiten Wahrnehmung maximalen Output gebracht.“

Während die Cyclassics mit einem Etat um die 1,5 Millionen Euro auskommen, wäre für eine WM wohl um das Vierfache nötig. Sie dauert fünf Tage, weil weitere Wettbewerbe (Zeitfahren, Junioren-, Frauenrennen) ausgetragen werden. Zwei Drittel des Budgets, glaubt Bertling, könnten mit den bekannten Instrumenten finanziert werden, rund zwei Millionen Euro kämen auf die Stadt zu. „Dafür erhält Hamburg das Vielfache an Gegenleistung. Müsste die Stadt für die Fernsehbilder bezahlen, die von den Cyclassics oder einer WM in die Welt gesendet werden, würde eine solche Werbekampagne wahrscheinlich einen weitaus höheren Millionenbetrag verschlingen.“ Die Angst, für die WM die Stadt fünf Tage lang für den Verkehr zu sperren, hält Bertling für unbegründet: „Wir könnten einige Rennen in Hamburger Außenbezirken, zum Beispiel in Harburg, durchführen.“ Im September 2018 wäre der nächste freie WM-Termin. Das Interesse müsste dafür im kommenden Jahr beim Weltverband hinterlegt werden.

Eine Rad-WM oder die Straßenwettbewerbe bei Olympischen Sommerspielen würden den visuellen Eindruck von Hamburg noch erheblich verstärken. Die dafür geforderten rund 250 Kilometer, das schreiben die Regularien vor, müssten auf einem mehrfach zu fahrenden Rundkurs absolviert werden, der nicht länger als 25 bis 30 Kilometer sein sollte. Statt wie bei den Cyclassics nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen auszuweichen, würde eine innerstädtische Schleife im Westen bis nach Blankenese und Rissen, eventuell auch bis nach Wedel, im Osten durch die HafenCity bis zum Hauptbahnhof den Anforderungen des Weltverbands entsprechen (siehe Grafik unten).

WM- und olympiareif sind Hamburgs Straßen ohnehin, finden Deutschlands führende Radprofis wie Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin, Topsprinter Marcel Kittel oder John Degenkolb, der im Vorjahr bei seinem Cyclassics-Debüt auf der Mönckebergstraße als Erster die Ziellinie überquerte. „Eine WM oder Olympische Spiele passen ideal zu einer weltoffenen Stadt wie Hamburg“, teilten die drei dem Abendblatt auf Anfrage mit. „Und die Strecke ist mit den Steigungen am Blankeneser Waseberg (87 Meter hoch, die Red.) anspruchsvoll genug, der dann ja ein paarmal überquert werden müsste, die Distanz von 250 Kilometern sorgt zudem für eine nötige Auslese.“

In den vergangenen 18 Jahren haben die Cyclassics in der gesamten Weltelite eine entsprechende Reputation erfahren. Fast alle Topsprinter sind daher am Sonntag am Start. Hinter den fünf großen Eintagesklassikern Mailand–San Remo, Paris–Roubaix, Lüttich–Bastogne–Lüttich, Lombardei- und Flandern-Rundfahrt hat sich das Hamburger WorldTour-Rennen als eines der wichtigsten Veranstaltungen im Radsport-Kalender etabliert. Darauf ist auch Neumann stolz: „Wir geben mit den Cyclassics eine wunderbare Visitenkarte für Hamburg ab. Sie ist neben dem Marathon und dem Triathlon eine unserer drei Königsveranstaltungen, die zeigen, welche Sportbegeisterung in dieser Stadt steckt.“ Hamburg unterstützt die Cyclassics mit 100.000 Euro, Geld, das aus der Kulturtaxe stammt. „Diese Form der Finanzierung ist angemessen, denn kein anderes Ereignis vermag so viele Menschen in die Stadt zu bringen wie der Sport.“