93-Jährigem droht Anklage. Er sei an Ermordung von 560 Menschen beteiligt gewesen

Hamburg. 70 Jahre nach einem NS-Massaker in der Toskana könnte ein in Hamburg lebender Beschuldigter doch noch zur Rechenschaft gezogen werden. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschied laut einer Mitteilung vom Dienstag, dass gegen einen damaligen Kompanieführer Anklage erhoben werden kann und damit Entscheidungen anderer Instanzen aufgehoben werden. Bei dem Verbrechen in dem Bergdorf Sant’Anna di Stazzema im August 1944 hatte die Waffen-SS 560Menschen erschossen oder mit Handgranaten umgebracht.

„Das ist ein Riesenerfolg“, sagte die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke zu der Entscheidung. Sie vertritt den Vorsitzenden der Organisation der Angehörigen und Überlebenden des Verbrechens, Enrico Pieri. Sie hoffe, dass jetzt unverzüglich Anklage gegen den 93-Jährigen erhoben werde. Er habe jahrelang unbehelligt in Hamburg gelebt, obwohl er in Italien bereits zu lebenslanger Haft wegen vielfachen Mordes verurteilt worden sei. Auslieferungshaftbefehle der Italiener seien erfolglos geblieben. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ist nun für den Fall zuständig.

Die Karlsruher Richter wischten mit ihrem Beschluss frühere Bescheide der Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom Tisch. Die Staatsanwaltschaft hatte 2012 die Ermittlungen eingestellt, weil den damals noch 17 in Deutschland lebenden Beschuldigten keine Morde hätten nachgewiesen werden können.

Es sei wahrscheinlich, dass er wegen Mordes oder Beihilfe verurteilt wird

Die Überlebenden erhoben Beschwerde dagegen, die aber von der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart 2013 verworfen wurde. Dagegen hatten die Angehörigen-Anwältin und ihr Mandant, der das Massaker im Versteck überlebt, aber seine Familie verloren hatte, eine Erzwingung der Anklage beim OLG beantragt. Der Kompaniechef ist einer von fünf Beschuldigten, die der Antrag betroffen hatte.

Diesem gab das OLG nur im Fall des Befehlshabers recht: Es bestehe die Wahrscheinlichkeit, dass der Offizier wegen Mordes oder wegen Beihilfe dazu verurteilt werde. Dabei stützen sich die Richter des 3. Strafsenats nach eigenen Angaben auf Aussagen von Zeugen sowie historische Gutachten.

Diese legten nahe, dass der Beschuldigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Tatzeit Führer einer SS-Panzergrenadierkompanie gewesen war. Als solcher sei er mutmaßlich am Tattag in Sant’Anna di Stazzema im Einsatz gewesen. Somit müsse er an der Ermordung von Frauen und Kindern beteiligt gewesen sein. Die Richter zweifelten nicht daran, dass Befehle und Einsatzplanung auf die Vernichtung der Zivilbevölkerung gerichtet und dem Beschuldigten bekannt waren. Zudem sei der Mann verhandlungsfähig.

Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft 2012 argumentiert, das Ziel des Einsatzes hätte auch die Bekämpfung von Partisanen und die Ergreifung arbeitsfähiger Männer sein können. Die Erschießung der Zivilisten könne auch erst erfolgt sein, als dieses Ziel nicht erreicht war. Die bloße Teilnahme an einem solchen Einsatz könne keine strafbare Tat begründen.