Jeder kennt den Werbeslogan dieses großen schwedischen Möbelhauses: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ Auch wenn dieser ab und an als sinnfrei belächelt wird, ist der Werbespruch höchst interessant, wenn man ihn in den Kontext von Lebensstandard versus Lebensqualität stellt. Ich selbst stelle mir dann die Frage: Was macht ein gutes Leben eigentlich aus? Ist es die finanzielle Sicherheit oder eher die soziale Sicherheit? Definiert es sich durch eine steile Karriere oder Spaß bei der Arbeit? Bedarf es grenzenloser Konsummöglichkeiten oder doch eines harmonischen Familienlebens? Ist es gekennzeichnet durch ein volles Bankkonto oder viel Zeit für Hobbys?

Für uns Hamburger fällt die Wahl eindeutig aus: 85 Prozent der Bürger legen mehr Wert auf die persönliche Lebensqualität als auf zahlreiche finanzielle Möglichkeiten. Damit sind Hamburgern immaterielle Dinge wichtiger als dem Rest der deutschen Bevölkerung. In Hamburg ist nämlich nur jeder Siebte nicht bereit, auf einen hohen Lebensstandard – den er zum Beispiel in Form von angesagter Markenkleidung, einer schicken Altbauwohnung nahe der Alster, einem neuen Auto oder einem Jahresurlaub auf den Malediven lebt – zu verzichten. Allen anderen ist die persönliche Lebensqualität, die wir aus der Familie, von Freunden und unseren Hobbys beziehen, wichtiger.

Innerhalb unserer Stadt spielen hierbei weder der Beruf noch der Bildungsgrad, weder das Einkommen noch der Stadtteil eine wirklich wichtige Rolle. Nachweisen lassen sich dagegen Unterschiede zwischen den Geschlechtern und auch beim Alter. So legt immerhin jeder fünfte Mann, aber nur jede zehnte Frau besonderen Wert auf einen gehobenen Lebensstandard. Die Bedeutung der persönlichen Lebensqualität steigt mit dem Alter und jedem zusätzlichen Lebensjahr kontinuierlich an. So würde sich jeder dritte unter 20-Jährige gerne seine finanziellen Träume erfüllen und Geld fürs Auto, die eigene Wohnung oder eine Weltreise ausgeben. Bei den 20- bis 35-Jährigen denkt immerhin noch jeder Vierte so und bei den 35- bis 55-Jährigen ist es noch jeder Siebte. Von den älteren Hamburgern misst diesem Punkt nur jeder Zehnte überhaupt eine Bedeutung bei.

Nun ist es sicherlich zu einfach, Lebensstandard und Lebensqualität als zwei gegensätzliche Pole zu sehen. Beides gehört schließlich für die meisten Hamburger zu einem gelungenen Leben dazu. So brauchen wir eine ökonomische Basis, um unser Leben würdevoll leben zu können, und natürlich bereitet es Spaß und Freude, sich auch einmal etwas Besonderes leisten zu können. Was sich jedoch nachweislich verändert, sind die Prioritäten. Diese verschieben sich zunehmend hin zu sinnhaften Beziehungen zu Mitmenschen und sich selbst und weg von einer reinen Konsum- und Geldorientierung. Dieses ist neu, denn es ist ja noch gar nicht so lange her, da galten vielfältige finanzielle Möglichkeiten als Synonym für eine hohe Lebensqualität. Noch um die Jahrtausendwende warb beispielsweise die Sparkasse mit dem Slogan „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Glücklich war derjenige, der mehr Besitztümer als andere vorweisen konnte. Diese einseitige Fokussierung ist heute kaum noch aktuell.

Als Zukunftsprognose ist daher festzuhalten: Der Wandel von einer einseitigen Konsumorientierung zu einer Neubestimmung der Lebensqualität wird folgenreich für die Zukunft unserer Gesellschaft sein. Unser Wertesystem wird sich schrittweise neu definieren, und ein individueller Lebenssinn jenseits von Konto und Karriere wird im Mittelpunkt des Lebens stehen. Breite Bevölkerungsschichten haben bereits heute diesen Wandel mental vollzogen. Sie wünschen sich mehr Zeit für sich und andere, wollen häufiger Freunde und Verwandte treffen, öfter den eigenen Interessen nachgehen, sich ehrenamtlich engagieren oder mehr Sport treiben. Jetzt gilt es, diese Wünsche umzusetzen und den Mut zu haben, die eigenen Bedürfnisse vor die Erwartungen von anderen, Sicherheitsdenken oder Angst zu stellen. Denn wie sagte schon der Theologe Dietrich Bonhoeffer treffend: „Es gibt erfülltes Leben, trotz vieler unerfüllter Wünsche.“

An dieser Stelle schreibt jeden Montag Prof. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen