Im Internet kursiert eine sogenannte „newspaper extinction timeline“ – eine Liste, auf der nachzulesen ist, wann es in welchem Land keine Zeitungen mehr geben wird. In den USA soll es bereits in drei Jahren so weit sein, in der Schweiz dann 2025 und bei uns in Deutschland im Jahr 2030. Ist die Zeitung somit dem Tode geweiht?

Der Amazon-Gründer Jeff Bezos ist da anderer Meinung, erwarb er erst im vergangenen August die US-Hauptstadtzeitung „Washington Post“ zu einem Preis von 250 Millionen Dollar und dies sicherlich nicht mit dem Ziel, das Blatt sterben zu lassen. Auch einer der reichsten Männer der Welt, Warren Buffett, glaubt an die Zeitung. Über seine Investmentholding Berkshire Hathaway investierte der Multimilliardär in den vergangenen zwei Jahren etwa 350 Millionen Dollar in mehr als 70 Lokalzeitungen. Wird die Zeitung also doch überleben?

Fest steht, wer bei Google den Suchbegriff „die Zeitung lebt“ eingibt, stößt auf fast genauso viele Einträge wie derjenige, der nach „die Zeitung ist tot“ sucht – jeweils knapp 70.000 Treffer.

Wer aber hat nun recht? Werfen wir einen Blick auf die Fakten: Erstens lesen Hamburger mehr Zeitung, als privat im Internet zu surfen. Sie, die Sie gerade diesen Artikel lesen, sind also nicht etwa der letzte Mohikaner, sondern gehören zu den zwei Dritteln der Hamburger, die die gedruckte Information nutzen und schätzen. Zweitens lesen in unserer Stadt mehr Männer als Frauen Zeitung, und eine Analyse der Altersgruppen zeigt, dass drittens die treuesten Leser sich unter den Jungsenioren und Ruheständlern befinden, von denen sich 84 Prozent (!!!) regelmäßig – das heißt wenigstens einmal in der Woche – bewusst Zeit dafür nehmen. Aber auch in der mittleren Generation sind es noch mehr als zwei Drittel, und selbst in der Gruppe der unter 35-Jährigen liest fast jeder Zweite. Viertens lassen sich große Unterschiede beim Einkommen nachweisen, wohingegen fünftens die Schulbildung nur eine geringe Rolle spielt.

Weshalb lesen so viele Hamburger eine Zeitung? Zunächst einmal wollen wir uns informieren: über das lokale Geschehen, die politische Weltlage, das aktuelle Sportereignis und über alles, was sonst noch so passiert ist. Auf der Basis dieser Informationen verstehen wir Gesamtzusammenhänge und können uns eine eigene Meinung bilden. Natürlich stehen auch im World Wide Web die meisten dieser Informationen zur Verfügung, aber dort müssten wir aktiv in einer geradezu unendlichen Anzahl von Informationsangeboten suchen. Doch dabei ist es gerade die Reduktion auf das Wesentliche, die Zeitungsleser schätzen. Der Redakteur übernimmt die Aufgabe des Filterns und Auswählens von relevanten Informationen, sodass aus Quantität Qualität wird.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch in Zukunft Zeitungen haben werden. Ja, sogar eine Renaissance der Zeitung halte ich für möglich, da ich feststelle, dass mehr und mehr Hamburger Sehnsucht nach Beständigkeit, Glaubwürdigkeit und einer Konzentration auf das Wesentliche haben – für all diese Werte steht die Zeitung. Offen bleibt die Frage, wie wir unsere Zeitung lesen werden. Werden wir sie weiterhin gedruckt lesen oder doch mit zusätzlichen Hintergrundinformationen, animierten Grafiken und Kommentarmöglichkeiten auf dem Tablet oder dem Smartphone? Meiner Meinung nach wird beides passieren. Zweifellos sind viele Onlineversionen wirklich gut und umfangreich gestaltet und bieten Zusatzdienste an, die offline nicht möglich sind. Anderseits stelle ich aber auch immer häufiger fest, dass ich morgens in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit als Zeitungsleser nicht mehr nur belächelt, sondern von manchen auch ein wenig beneidet werde. Ich schreibe keine EMails und surfe auch nicht im Internet, sondern informiere mich irgendwie entspannt – mit einer Zeitung in der Hand. Ab und zu bemerke ich sogar, wie mir wieder jemand heimlich über die Schulter schaut und mitliest.

An dieser Stelle schreibt jeden Montag Prof. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen