Lange hatte der SPD-Senat mit dem Fahrrad gefremdelt. Endlich dreht sich etwas

Drei Jahre können eine politische Ewigkeit sein. Als Bürgermeister Olaf Scholz am 23. März 2011 die großen Linien seiner Politik in der Regierungserklärung vorstellte, kam ein Thema nur am Rande vor: das Fahrrad. Zwei kleine Sätze in seinem 31 Seiten starken Manuskript streiften dieses Verkehrsmittel. Mit seinem Satz „Das gilt für die Straße genauso wie für das Rad“ wähnten seine Kritiker Scholz gar als Fahrradgegner überführt, schließlich gehört das Rad in der modernen Verkehrspolitik auf die Straße. Velo-Enthusiasten fürchteten einen „ökologischen Rückwärtsgang“.

In den vergangenen Monaten haben die Sozialdemokraten einige Gänge hochgeschaltet. Sei es aus Kalkül im Hinblick auf die Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015 oder aus Überzeugung – richtig liegt der Senat damit. Und damit im Übrigen auf derselben Linie wie alle anderen Parteien in der Bürgerschaft. Der ideologische Kampf zwischen Autofahrern und Radlern, die einst wie Kalte Krieger im Straßenverkehr unterwegs waren, ist vorbei. Die meisten Autofahrer sind selbst als Radler unterwegs – und umgekehrt. Sie eint das Interesse an schlaglochlosem Asphalt und sicherer Verkehrsführung. Jeder, der aufs Fahrrad umsteigt, entlastet zugleich die Straßen. Die Entideologisierung hat das Fahrrad aus der Öko-Ecke hervorgeholt, es ist in die Mitte der Gesellschaft gefahren. Noch vor wenigen Jahren fielen Anzugträger auf dem Fahrrad als Exoten im Straßenbild auf. Inzwischen sind sie so alltäglich geworden wie Menschen, die ihren Kaffee im Gehen schlürfen.

Längst machen Radler für ihre Interessen mobil: Ihre Sternfahrt lockte kürzlich 22.000 Mitstreiter. Critical Mass, die Demonstration für Gleichberechtigung im Asphaltdschungel, bringt regelmäßig Tausende auf die Straße. Und bei der Abendblatt-Umfrage sprachen sich jüngst 72 Prozent der Leser für „massive Investitionen ins Radwegenetz“ aus. Urgrüne Forderungen, mit denen man früher Bürger noch schrecken konnte, sind Allgemeingut geworden.

Da verwundert es wenig, dass sich die SPD nun sogar alte Forderungen der Grünen zu eigen macht – etwa mit Fahrradstraßen entlang der Alster. Zu begrüßen ist auch der Antrag der Fraktion nach einer Bestandsaufnahme aller Radwege, verbunden mit der Empfehlung, wie mit ihnen in Zukunft zu verfahren ist. Erst wenn das Rad beim Straßenbau und bei jeder Sanierung konsequent mitgedacht und integriert wird, wird das Radfahren in Hamburg wirklich attraktiver.

Gründe für eine Fahrradoffensive in der Hansestadt gibt es zuhauf: Mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum wird der Verkehr zunehmen – es gilt, ihn so intelligent wie möglich zu verteilen. Radfahren ist gesund, klimaschonend und umweltfreundlich. Hamburg hat massive Probleme mit Stickoxid-Emissionen, erst kürzlich musste der Senat eingestehen, dass die Luftverschmutzung an einigen Stellen in der Stadt gesundheitsgefährdende Werte erreicht hat. Gegensteuern tut not. Und noch ein Argument spricht fürs Fahrrad: Es macht eine Stadt moderner und schöner. Wenn weniger Autos die Straßen zuparken, gewinnt die Allgemeinheit Freiräume im besten Sinne zurück.

Dem Charme einer Fahrradstadt ist offenbar inzwischen auch die SPD erlegen. Eine Reise der Bezirksamtsleiter ins als Modell hochgelobte Kopenhagen im vergangenen Jahr hat bei den Politikern tiefen Eindruck hinterlassen – Mitte-Chef Andy Grote sprach gar von einem „Erweckungserlebnis“. Offensichtlich ist die Fahrradoffensive also weniger Kalkül als einfach der Erkenntnis geschuldet. Ganz neu ist diese übrigens nicht: „Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden wie beim Fahrrad“, sagte schon im 19. Jahrhundert ein kluger Mann: der Autoindustrielle Adam Opel.