Der Schülerin aus Honduras drohte die Abschiebung. Jetzt hat sie an der Max-Brauer-Schule ihr Abitur gemacht – und ist darauf vielleicht noch ein bisschen stolzer als ihre Mitschüler.

Bahrenfeld. Die mündliche Prüfung hatte es noch mal in sich. „Hitlers Außenpolitik bezogen auf den Spanischen Bürgerkrieg“ lautete das Thema. „Das war schon ziemlich komplex“, sagt Fabiola. Aber auch spannend. Geschichte ist eins ihrer Lieblingsfächer. Sie hat gelernt, viel gelernt. Und die Prüfung mit elf Punkten bestanden, einer glatten 2. Der letzte Schritt zum Abitur. Danach hat sie ihre Mutter angerufen. Die beiden haben gelacht und geweint am Telefon. So glücklich waren sie, dass sie es geschafft hat.

So ganz kann sie es auch jetzt noch nicht fassen. Fabiola sitzt auf dem großen Sofa im Wohnzimmer der Familie in Bahrenfeld. Auf ihrem schwarzen Kapuzen-Sweater steht „Das war’s“, die Rückseite ziert eine große 14 aus den 75 Namen ihres Abi-Jahrgangs an der Max-Brauer-Schule. „Hier bin ich“, sagt die 20-Jährige und zeigt auf den Anfang der Liste. Am heutigen Freitag bekommt sie ihr Abiturzeugnis. Es wird eine Feier in der Aula geben, danach den Abi-Ball im Café Seeterrassen. Und wie für alle anderen etwa 8800 Hamburger Abiturienten in diesem Schuljahr wird dieser Tag ein besonderer sein. „Aber für uns ist es noch ein bisschen besonderer“, sagt ihre Mutter Gabriela Cruz. und in ihrer Stimme schwingt Stolz.

Vor eineinhalb Jahren wäre Fabiolas Weg zum Abitur fast zu Ende gewesen. Die Familie aus Honduras stand kurz vor der Abschiebung, nachdem sie jahrelang illegal in Hamburg gelebt hatte. Die Ausländerbehörde lehnte deshalb ihren Antrag auf Aufenthalt ab. So sieht es das Gesetz vor. Dass Fabiola und ihre beiden jüngeren Schwestern sich bestens integriert hatten, spielte keine Rolle. Ihre Geschichte sorgte für Schlagzeilen, und löste eine Welle der Solidarität aus. Vor allem Fabiolas Mitschüler kämpften dafür, dass sie bleiben durften. Im Dezember 2012 stoppte die Härtefallkommission der Bürgerschaft die drohende Ausweisung.

„Ich sehne mich so sehr nach dem Gefühl, frei zu sein“, hatte Fabiola in den Wochen davor einmal gesagt. Sie war es, die es nicht mehr ausgehalten hatte: das Leben im Verborgenen, die ständige Angst vor der Entdeckung. Zunächst hatte sie ihr Geheimnis ihrer Lehrerin offenbart, später ihren Mitschülern. Dann offenbarte sich die Familie auch den Behörden. Es folgten Wochen zwischen Hoffen und Bangen. Inzwischen haben sie und ihre Schwestern Andrea, 15, und Maria, 13, eine Aufenthaltserlaubnis bis 2016. Auch ihre Mutter darf in Deutschland bleiben, bis alle Töchter volljährig sind. Erstmal. Die 38-Jährige arbeitet jetzt bei einem ambulanten Pflegedienst in Altona. Viel Geld verdient sie nicht, aber sie ernährt ihre Familie. „Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl“, sagt Fabiola. Sie hat einen Ausweis und eine Bankkarte, kann zum Arzt gehen, endlich Reisen planen. „Einfach alles machen, was die anderen auch machen.“

„Es war auch ein ziemlicher Druck“

Und sie konnte sich wieder auf die Schule konzentrieren, auf ihren Traum vom Abitur. „Es war auch ein ziemlicher Druck“, sagt Fabiola und erzählt von dem Gefühl, dass nach der großen öffentlichen Aufmerksamkeit alle zugucken würden, ob es auch wirklich klappt. „In der Phase des unsicheren Aufenthaltsstatus war es sehr schwer für Fabiola“, sagt Marianne Kerkmann, Tutorin im Profil „Sprachen und Kulturenvielfalt“ und ihre Deutschlehrerin. Auch sie ist ziemlich stolz auf ihre besondere Schülerin. „Sie hat sich aus dem tiefen Loch herausgearbeitet und voll auf die Schule eingelassen, und auf ihr neues Leben.“ Jeden Tag hat Fabiola in den letzten Wochen vor den Prüfungen für ihre Fächer Deutsch, Spanisch, Biologie und eben Geschichte gebüffelt, oft bis spät in die Nacht und auch sonntags. Am Schluss legte sie ein Abitur mit einem Notenschnitt von 2,7 hin. „Das hätte noch ein bisschen besser sein können“, sagt Fabiola. Aber wichtiger ist ihr inzwischen etwas anderes: „Ich habe mir bewiesen, dass ich schaffen kann, was ich mit vorgenommen habe.“

Was danach kommt, weiß sie noch nicht so genau. Reisen würde sie gern und jobben. Geplant ist eine Ferienwoche allein mit ihrer Mutter in St. Peter-Ording und ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei. Jura wäre ein Studienfach, das sie sich vorstellen könnte. Aber erst wird ordentlich gefeiert. Ihre Mutter und die Schwestern sind auch dabei. „Ich freue mich sehr darauf“, sagt Fabiola. Sie wird ein Kleid tragen, in ihrer Lieblingsfarbe Dunkelblau. Gekauft hat sie es auf ihrer ersten großen Reise, einer Studienfahrt nach Rom. Angehabt hat sie es noch nie. „Jetzt ist endlich der richtige Zeitpunkt.“