Rückgang der Wahlbeteiligung gestoppt, Verständnis für europäische Idee gestiegen

War das der Start in ein neues, ein besseres Europa? So langweilig und (leider) nichtssagend viele Europawahlen in der Vergangenheit waren, so bemerkenswert ist jene, die am Sonntag zu Ende ging – gerade in Deutschland. Endlich ist der Rückgang der Wahlbeteiligung gestoppt, endlich scheint sich das Verständnis für die europäische Idee und die Notwendigkeit eines Staatenverbundes durchzusetzen. Die Finanz- und Euro-Krise hat die Europäer gezwungen, sich stärker mit sich selbst und dem bisher wenig geliebten Zweckbündnis EU zu beschäftigen. Das geschieht zwar auf verschiedenen Wegen, oft auch kritisch und mit zunehmend nationalistischen Tönen, aber es geschieht, und das ist die Hauptsache.

Dass davon bei den großen Parteien vor allem die SPD profitiert hat, mag deren Vorsitzender Sigmar Gabriel als Erfolg des Juniorpartners in der Großen Koalition feiern. Wer aber Sonntagabend miterlebte, wie Gabriel bei seinem Auftritt mit Martin Schulz minutenlang redete, als ob er den eigentlichen Star der Wahl nicht zu Wort kommen lassen wollte, konnte auch einen anderen Eindruck bekommen. Ein bisschen wirkte es, als wolle der SPD-Chef verhindern, dass der sozialdemokratische Spitzenkandidat zu sehr in den Mittelpunkt rückt. Denn tatsächlich ist der Zuwachs der SPD in Deutschland sehr stark der Person Schulz zu verdanken, jeder dritte Wähler gab an, die Genossen wegen des Kandidaten gewählt zu haben. Das ist ein gutes Ergebnis, Schulz sowieso ein sehr guter Politiker und, was für eine Partei wie die SPD keine Selbstverständlichkeit mehr ist, ein außerordentlich beliebter. Einer, der beim (Wahl-)Volk ankommt, zumindest, wenn auf der Gegenseite nicht direkt Angela Merkel steht.

Die Bundeskanzlerin wird die Europawahl im eigenen Land mit der von ihr perfektionierten Gelassenheit verfolgt haben. Erstens, weil das Ergebnis trotz leichter Verluste für die Union die Arbeit der Großen Koalition bestätigt. Zweitens, weil die wahre Chefin der EU schon vorher feststand: Angela Merkel, ohne die in Europa nichts geht, und die schon lange keinen echten Widerpart mehr hat. Dafür sind die meisten anderen Regierungschefs schlicht zu kurz im Amt.

Kurz dabei ist auch die Alternative für Deutschland (AfD), für deren Geschichte die Europawahl ein entscheidender Punkt sein könnte, eine Zwischenstation auf dem Weg zu mehr. Anders als die Piraten, die plötzlich da waren und dann genauso plötzlich wieder weg, hat sich die AfD vom Nichteinzug in den Bundestag nicht verunsichern lassen und jetzt die nächste Chance genutzt. Die Entwicklung der Partei wirkt strategisch besser geplant und inhaltlich substanzieller, als es etwa jene der Piraten war und ist. Die Führung um den Hamburger Professor Bernd Lucke scheint genau zu wissen, was sie tut.

Das macht die AfD gefährlich für renommierte Parteien, allen voran für die FDP. Das Wahlergebnis zeigt deutlich, dass die Bundestagswahl für die Liberalen kein Ausrutscher war, sondern dass sie sich in einer existenziellen Krise befinden. Parteichef Christian Lindner kann einem da fast schon leidtun, wenn man ihn kurz nach der Schließung der Wahllokale dabei erlebt, wie er den Helfern dankt, sich über 3000 neue Mitglieder freut und die Auferstehung der Liberalen beschwört. Man fragt sich nur, wie diese gelingen soll, und blickt gespannt Richtung Bürgerschaftswahl Anfang 2015. Noch sitzen die Liberalen im Hamburger Parlament und hoffen, dass ihrer Fraktionsvorsitzenden Katja Suding ein ähnlicher PR-Coup gelingt wie vor vier Jahren, als sie neben Bürgermeister Olaf Scholz die große Siegerin war. Den dürften im Übrigen die Ergebnisse der Bezirkswahlen mehr interessieren als jene aus Europa. Die Hamburger Zahlen werden erst am heutigen Montag bekannt gegeben ...