Der Jubel über den Klassenerhalt ist verständlich. Dennoch muss sich der HSV nach einer desaströsen Saison ändern

Sie jubelten, als hätten sie soeben den siebten Meistertitel geholt. Die Freude in Fürth wie auch in der Hamburger Heimat ist verständlich. Wäre doch der Abstieg der GAU für den HSV gewesen. Nicht nur sportlich und finanziell. Der Club hätte vor allem seine Kern-DNA verloren, die ununterbrochene Zugehörigkeit zur Bundesliga seit ihrer Gründung 1963. Der letzte Fußball-Dino lebt weiter.

Das ist allerdings auch das einzig Erfreuliche nach einer desaströsen Saison, in der der Club allein dank einer glücklichen Fügung des Schicksals mit beschämenden 27 Punkten und ohne Sieg in der Relegation die Klasse halten konnte. Nur mal zum Vergleich: 2011 hatte der FC St. Pauli am Ende 29 Punkte – und stieg als abgeschlagener Tabellenletzter ab.

Deshalb tut der HSV gut daran, nach einer Nacht des Jubels wieder in den Analysemodus zu schalten. Wie konnte es passieren, dass ein Verein mit einem Gehaltsetat von 42 Millionen Euro – damit gehört er zumindest in dieser Disziplin ins obere Tabellendrittel – erst auf der Zielgeraden die Klasse halten konnte? Vor allem Clubchef Carl Jarchow, der seinen HSV vor der Saison „auf Augenhöhe“ mit den Konkurrenten Wolfsburg und Schalke wähnte, sollte sich fragen, ob er angesichts der Bilanz seiner dreijährigen Amtszeit noch der richtige Mann an der Spitze für den Aufbruch in eine bessere HSV-Zeit ist.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der typische HSV-Reflex, auf Krisen mit dem Austausch von Personal auf allen Ebenen zu reagieren, den Club erst in dieses Desaster geführt hat. Mit Mirko Slomka versucht sich derzeit der achte Übungsleiter beim HSV seit 2007 – Interimstrainer nicht eingerechnet. Ein Wunder fast, dass Stadionsprecher Lotto King Karl beim Verlesen des gerade aktuellen Trainernamens noch nicht gepatzt hat. Mit Oliver Kreuzer verwaltet nunmehr der vierte Sportchef nach Dietmar Beiersdorfer, Bastian Reinhardt und Frank Arnesen den Niedergang. Wie soll sich in diesem durch Millionenabfindungen zudem aberwitzig teuren HSV-wechsel-dich-Spiel jemals eine Philosophie entwickeln, eine Vision, wie der HSV an glanzvollen Zeiten anknüpfen kann?

Am 25. Mai steht der HSV wieder einmal am Scheideweg. Die Initiative HSVPlus will die Profiabteilung ausgliedern und für Investoren öffnen. Und in der Tat spricht vieles dafür, dass sich die Struktur des Vereins in der jetzigen Form überlebt hat. Ein Aufsichtsrat, der seit Jahren unter unterschiedlichster Führung – die Spannbreite reicht vom verdienten Alt-HSVer Horst Becker über Hamburgs große Unternehmer-Persönlichkeit Alexander Otto, dem „Spiegel“-Journalisten Manfred Ertel bis zum Hafenchef Jens Meier – dem Verein durch Missmanagement, Neid und Intrigen massiv schadet, ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Ein Historiker mit dem Fachgebiet „Kalter Krieg“ wäre besser geeignet, diese Ära zu untersuchen, als ein Fußballexperte. Die Handgreiflichkeiten eines Rats mit einem Ordner, die juristischen Feldzüge gegen angebliche Maulwürfe, das unsägliche Poker um Trainer Felix Magath, der peinliche Facebook-Witz über den Steuer-Straftäter Uli Hoeneß stehen exemplarisch für ein komplettes Versagen.

Dennoch können nur Fantasten glauben, dass mit einer neuen Struktur, einem neuen Rat nun plötzlich alles besser wird. Der Club braucht mehr als neue Köpfe und neue Millionen von Gönner Klaus-Michael Kühne. Er braucht endlich eine Kultur des Vertrauens. Der HSV muss wieder ein echter Verein werden, der vereint für seine Ziele kämpft. Und dies hat nichts mit Sehnsucht nach tradierten „Elf Freunde müsst ihr sein“-Werten zu tun. In Wahrheit rauben die Grabenkämpfe dem Club seit Jahren kostbare Energie. Führungskräfte verschwenden im Dauerfeuer aus Umfeld und Gremien kostbare Zeit auf den Erhalt ihres Jobs, statt mit Verve ihre Hausaufgaben anzugehen. Und deren gibt es wahrlich genug, allen voran der Aufbau einer Nachwuchsschmiede, die diesen Namen auch verdient, sowie eine professionelle Kaderplanung, die nicht ständig millionenteure Transferflops produziert.

Niemand hat den Aufbruch in eine bessere HSV-Zeit mehr verdient als die Fans, die diesem Verein trotz Dauerkrise so sehr die Treue halten. Sie sind das größte Kapital des HSV – abgesehen von einigen Wirrköpfen, die Randale, gefährliche Bengalos und Hetze gegen Polizisten für einen unverzichtbaren Teil der Fan-Choreografie halten. Wer die knisternde Stimmung gegen Fürth im Volkspark erlebte, musste kein Herz für die Raute haben, um zu spüren, welch ein großartiger Verein dieser HSV immer noch ist. Trotz des Niedergangs.