Sexualstraftäter hatte sich nicht an Vorgaben gehalten. Grüne fordern Stopp des Systems

Hamburg. Trotz der eklatanten Pannen im Fall Andreas B. will der Hamburger Senat an der elektronischen Fußfessel für aus der Haft entlassene Straftäter festhalten. „Wenn wir mit der Fußfessel eine schlimme Straftat verhindern oder aufklären können, ist dies ein Erfolg“, sagte Justizstaatsrat Nikolas Hill (CDU) dem Abendblatt. „Verbessern müssen wir die Möglichkeiten, Verstöße gegen die Auflagen der Führungsaufsicht zu sanktionieren. Wir haben dies bereits im September auf Bundesebene thematisiert und werden im Juni mit Bund und Ländern effektivere Maßnahmen besprechen.“ Dabei dürfte es auch um die Frage gehen, inwiefern ein Verstoß gegen die Führungsauflagen leichter mit Haft geahndet werden kann.

Hill führt in Abwesenheit von Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD), die in Mutterschutz ist, die Behörde. Schiedek hatte sich schon zu Oppositionszeiten für die elektronische Fußfessel ausgesprochen und nach dem Regierungswechsel 2011 umgehend die rechtlichen Voraussetzungen in Form eines Staatsvertrags mit dem Land Hessen (dort ist die Überwachungszentrale) dafür geschaffen. Seitdem ist das Mittel nur wenige Male eingesetzt worden.

Andreas B. hatte 2006 ein zwölf Jahre altes Mädchen in den Wallanlagen vergewaltigt. Für diese Tat und eine weitere Vergewaltigung aus dem Jahr 2005 wurde er zu sieben Jahren Haft verurteilt, die der 44-Jährige voll absaß. Nach seiner Entlassung im August 2013 ordnete das Gericht Führungsaufsicht und das Anlegen der Fußfessel sowie ein Alkoholverbot an, da B. bei beiden Taten betrunken war. In fast 120 Fällen – bislang war nur von 78 die Rede – ignorierte der Mann das Alkoholverbot und lud seine elektronische Fußfessel nicht auf, war also nicht mehr unter Kontrolle. Mehrfach mussten Beamte der Polizeiwache Langenhorn zur Wohnunterkunft, in der Andreas B. lebt, ausrücken. Schließlich orderten sie ein Gerät, um die Fußfessel selbst aufladen zu können.

„Ich fordere den Senat auf, aus dem Staatsvertrag auszusteigen und sofort einen Stopp des Systems für Hamburg anzuordnen“, sagte der Grünen-Justizpolitiker Farid Müller. „Was bislang über den Fall Andreas B. bekannt ist, zeigt, dass das System eklatant in der Praxis gescheitert ist“, sagte Müller. Außerdem sei die Fußfessel in deutlich weniger Fällen als zunächst prognostiziert zum Einsatz gekommen. Seit 2011 habe der Senat aber schon mehrere 100.000 Euro ausgegeben.

Zurückhaltender reagierte der CDU-Justizpolitiker André Trepoll, der im Prinzip auch weiterhin für den Einsatz der elektronischen Überwachung ist. „Aber der laxe Umgang der Behörden macht mich doch relativ fassungslos – und das bei der Vorgeschichte des Mannes“, sagt der CDU-Politiker. „Wenn die Sicherheitsbehörden nicht in der Lage sind, das reibungslose Funktionieren der Fußfessel zu gewährleisten, müssen Konsequenzen gezogen werden.“ In die gleiche Kerbe schlug FDP-Justizexpertin Anna von Treuenfels: „Eine Überwachung mithilfe der elektronischen Fußfessel macht nur dann Sinn, wenn auch durch Justizpersonal kontrolliert wird.“

Christiane Schneider, Innenexpertin der Linkspartei, war schon gegen die Einführung der Fußfessel und fühlt sich nun bestätigt: „Das Instrument funktioniert offensichtlich nicht.“ Gleichzeitig sei es ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte eines Menschen. Schneider fordert eine Aufarbeitung dieses Falls und vergleichbarer Fälle aus anderen Ländern. SPD-Justizexperte Urs Tabbert will an der elektronischen Fußfessel festhalten. „Sie ist kein Allheilmittel, aber besser als nichts“, so Tabbert. Allerdings sei er „beunruhigt über das, was in diesem Fall scheinbar schiefgelaufen ist“. Daher müsse man schauen, wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Die von CDU und Grünen aufgeworfene Frage, ob die Justiz zu langsam gearbeitet habe, wies Gerichtssprecherin Ruth Hütteroth zurück. Nach der ersten Anklage im September 2013 seien der Staatsanwaltschaft immer neue Fälle gemeldet worden, sodass man sich entschlossen habe, die Anklagen in einem Verfahren zusammenzuführen. Der Beginn der Verhandlung sei ursprünglich im Januar gewesen. Weil zwischenzeitlich bekannt geworden sei, dass die Verstöße maßgeblich auf die Trunksucht des Angeklagten zurückgingen, habe man ein Gutachten in Auftrag gegeben. Die Expertise lag erst Anfang Mai vor. Am 8.Mai ordnete das Amtsgericht die Unterbringung in der Entziehungsanstalt an.

Wie machtlos die Behörden im Umgang mit B. waren, belegt die Tatsache, dass sich Behördenvertreter und Polizisten zwischen September und März dreimal zusammengesetzt hatten, um den Fall zu erörtern. B. wegen Wiederholungsgefahr in U-Haft zu nehmen war nach der aktuellen Gesetzeslage unmöglich. Also kreuzte die Polizei ein ums andere Mal vor seiner Wohnung auf, weil B. die Fußfessel nicht aufgeladen hatte, oder schrieb unzählige Anzeigen, weil B. mal wieder schwer betrunken war – das sorgte für enorme Frustration bei den Beamten.