Er soll Frauen ein tödliches Mittel beschafft haben – ohne sie ausreichend aufzuklären

Hamburg. Es ist ein in der Hamburger Geschichte wohl einmaliger Vorgang: Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen einen ehemaligen Senator erhoben – wegen Totschlags. Der frühere Präses der Justizbehörde, Roger Kusch, wird beschuldigt, zusammen mit einem Arzt ein gemeinschaftliches Tötungsdelikt an zwei 81 und 85 Jahre alten Frauen begangen zu haben. Laut Anklage haben Kusch als Vorsitzender des Vereins SterbeHilfeDeutschland (StHD) und der Mediziner beschlossen, einen Präzedenzfall in der „Sterbehilfe“ zu schaffen. Die beiden Frauen starben am 10. November 2012, nachdem sie laut Ermittlungen eine Überdosis eines verschreibungspflichtigen Malaria-Medikaments genommen hatten.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der heute 59 Jahre alte Kusch und der beschuldigte Mediziner Dr. Johann Friedrich S. nicht Hilfe zum Sterben leisteten, sondern „selbst die Tatherrschaft über die Selbsttötung hatten“ und die beiden Frauen „nicht frei von Willensmängeln handelten“. Ob es tatsächlich zu einem Prozess wegen Totschlags kommt, wird das Landgericht prüfen. Mit einer Entscheidung ist jedoch wohl nicht vor dem Herbst zu rechnen. Bei einer Verurteilung droht den Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren.

Kusch, früher CDU-Mitglied, soll den beiden Frauen, die seit dem 6. Juni 2012 Mitglieder seines Sterbevereins waren, durch seine Organisation das in hoher Dosis kardiotoxische Medikament Chloroquin beschafft haben, das ihnen durch Dr. S. verabreicht wurde. Beiden Beschuldigten wird zur Last gelegt, ein Gutachten zu dem Sterbewunsch der Frauen nicht wahrheitsgemäß weitergegeben und so die Tötung entgegen den Grundsätzen des Vereins durchgeführt zu haben. So hatten die Frauen laut Ermittlungen angegeben, dass allein ihre Angst vor dem Altern Grund für ihren Sterbewunsch war. Dabei sieht die Vereinssatzung vor, dass eine Unterstützung zur Selbsttötung nur bei hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung möglich sei. Gleichwohl habe der Arzt die Entscheidung der Frauen in einem Gutachten fälschlicherweise als „wohlerwogen“ bezeichnet und sie auch nicht über Alternativen aufgeklärt.

Kusch sei von dem Mediziner „vollumfänglich“ informiert worden. Gemeinsam hätten Kusch und der Arzt beschlossen, „die Selbsttötung herbeizuführen. Es kam ihnen darauf an“, so die Staatsanwaltschaft, in Hamburg eine Entscheidung „über einen Fall der Hilfe zur begleiteten Selbsttötung zu erzwingen“. Ihnen sei bewusst gewesen, dass die beiden Frauen mangels Aufklärung nicht frei hätten entscheiden können. Der Ex-Senator habe ihnen suggeriert, dass ihr Tötungswunsch den Zielen des Vereins entspreche und ihr Handeln ohne Alternative sei. Auf ihre Versuche, ihn telefonisch zu erreichen, habe Kusch nicht reagiert. Sowohl die 81-Jährige als auch ihre Bekannte hätten gegenüber dem Arzt durchaus Bedenken über ihr Vorhaben geäußert. Darauf sei jedoch nicht angemessen reagiert worden. Die Frauen hätten schließlich in ihrer Wohnung im Beisein des Mediziners die Medikamente eingenommen, die wenig später zu ihrem Tod führten.