In der Ukraine-Krise lässt der russische Präsident erkennen, dass er offenbar keine Eskalation will

Kurz vor der jüngsten Eskalation in der Ukraine befragte die renommierte Washingtoner Denkfabrik Pew Research Center Tausende Russen und Ukrainer zur brisanten Lage.

Dass sich die Russen dabei mit großer Mehrheit hinter ihren landräuberischen Präsidenten scharten, ist nicht sonderlich überraschend. Doch dass 93 Prozent der Westukrainer und 70 Prozent der Ostukrainer an einem gemeinsamen Staat festhalten wollen, schon. Gerade einmal 18 Prozent der zumeist prorussischen Menschen in der östlichen Ukraine sind dafür, dass sich Regionen abspalten dürften.

In dem Ergebnis liegt ein Stück Hoffnung für die Zukunft des zweitgrößten europäischen Flächenlandes. Es könnte sein, dass die ethnisch-politische Spaltung der Ukraine bei geschicktem politischen Management nicht zwangsläufig zur gefährlichen Fragmentierung führen muss.

Dass sich Wladimir Putin in Sachen Referendum plötzlich gegen die radikalen ukrainischen Separatisten stellt, dass er zumindest wieder von einem Truppenabzug redet und obendrein ankündigt, zu den Weltkriegs-Gedenkfeiern in der Normandie anreisen zu wollen, sind Signale, dass er im Dialog mit dem Westen bleiben und keine weitere Eskalation anstreben will. Das störrische Festhalten der Separatisten am Referendum lässt Putin derzeit wirken, als habe er die Kontrolle verloren. Entweder ist dies ein Trick, um dem Westen Sand in die Augen zu streuen – oder die Separatisten bekommen es in Kürze mit einem ungehaltenen russischen Präsidenten zu tun, der sich nicht vorführen lassen möchte. Putin weiß: Er hat mit seiner sicherheitspolitisch geisterfahrenden Annexion der Krim die Atmosphäre in Europa bereits beklemmend abgekühlt – bei weiterer Zuspitzung riskiert er wirtschaftliche und politische Schäden.

Für die Ukraine, die zwar ein labiler Staat, aber keine gewachsene Nation ist, muss es nun darauf ankommen, radikalen Positionen eine Absage zu erteilen. Das gilt für prorussische Separatisten im Osten ebenso wie faschistoide Nationalisten im Westen. Hier können Putin und der Westen wertvoll zur Deeskalation beitragen. Einer möglichen weiteren russischen Machtprojektion in Osteuropa muss der Westen allerdings klar entgegentreten. Dazu kann auch eine verstärkte Militärpräsenz der Nato an ihrem östlichen Rand zählen; etwa in Polen und Lettland. Nicht in bedrohlichem Umfang, eher in symbolischer Stärke – aber als Stoppsignal unübersehbar. Wer es als kriegstreiberisch empfindet, dass Deutschland ein paar unbewaffnete Flugzeuge nach Lettland schickt, muss sich angesichts von 40.000 russischen Kampftruppen an der ukrainischen Grenze nach seiner Urteilsfähigkeit fragen lassen.

Ungemütlich zwischen Giganten eingeklemmt, verfügt die Ukraine auf längere Sicht nur über begrenzte Souveränität. Selbst wenn eine frei gewählte Kiewer Regierung entscheiden sollte, der Nato beitreten zu wollen, wäre die Allianz gut beraten, ein solches Ansinnen abzulehnen. Gerecht wäre dies nicht, aber sicherheitspolitisch weise. Zumindest so lange, wie eine Westbindung der Ukraine von Russland als Bedrohung empfunden wird. Gemessen daran, dass das Beharren auf Maximalpositionen die Lage dramatisch eskalieren lassen könnte, ist eine Föderalisierung und „Finnlandisierung“ der Ukraine auf absehbare Zeit kein schlechter Kompromiss. Eine Föderalisierung, die einzelnen Regionen mehr Spielraum geben würde, käme West- wie Ostukrainern entgegen, die weiter in einem Staat leben könnten. Eine Bündnisfreiheit, wie sie Finnland im Kalten Krieg kennzeichnete, würde es der Ukraine erlauben, sich ökonomisch der EU anzunähern, ohne mit Russland zu kollidieren. Der zunehmend repressive Putinismus stellt jedenfalls weder für die Ukraine noch für sonst ein Land in Europa ein attraktives Zukunftsmodell dar.