Das Kinderhilfswerk plant nach dem Vorbild von Berlin-Moabit ein SOS-Kinderdorf in Dulsberg. Herzstück soll das dortige Familienzentrum sein. Heute Einweihung mit Schirmherrin Dana Schweiger.

Dulsberg. Es gibt Krümel. Und Klecks. Dass damit nicht die Reste von trockenen Keksen gemeint sind oder Farbspritzer auf dem Boden, hat sich in Dulsberg schnell rumgesprochen. Krümel heißt das Café im neuen SOS-Familienzentrum fast direkt am Straßburger Platz, Klecks ist der Kinder-Secondhandladen. Kindern gefällt das, und Eltern auch. „Wir sind fast jeden Tag hier“, sagt Florence Zimmermann. An diesem Morgen hat sich die Mutter von Celine, Cedric und Nico mit einer Freundin schon zum Frühstücken im Café Krümel getroffen. „Als wir vor einiger Zeit nach Hamburg gekommen sind, kannten wir niemanden“, sagt die 27-Jährige. Inzwischen sind die Zimmermanns bestens vernetzt, weil sie im Familienzentrum Kontakt gefunden haben. Nachmittags können die Kinder hier Gitarre spielen lernen oder Einradfahren. Es gibt eine Backgruppe, Bastelangebote, Hebammenkurse. Und immer jemanden zum Reden. „Für uns“, sagt Florence Zimmermann, „ist es wie ein zweites Zuhause.“

Das Familienzentrum ist das jüngste Kind der SOS-Kinderdörfer, ein offenes Haus für die Menschen im Stadtteil. Der Betrieb läuft seit Ende 2013, am heutigen Freitag wird die offizielle Einweihung mit Schirmherrin Dana Schweiger gefeiert. Zugleich ist es auch das Herzstück eines großen Projekts, das das Kinderhilfswerk starten will: ein SOS-Kinderdorf mitten in Hamburg. „Wie an einem Dorfplatz wollen wir rundherum vier Kinderdorf-Familien ansiedeln“, sagt Torsten Rebbe, Landeschef des SOS-Hilfeverbundes. Was seit mehr als 60 Jahren in ländlichen Gegenden erfolgreich lief, soll jetzt auch in Städte übertragen werden. Dahinter steht eine Neuorientierung im Jugendhilfe-Konzept des Sozialwerks. „Kinder, die nicht in ihrer Familie bleiben können, sollen nicht mehr komplett aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden“, so der Pädagoge.

Vorbild ist das erste städtische SOS-Kinderdorf in Berlin-Moabit. Inzwischen laufen die Vorbereitungen in Dulsberg auf Hochtouren, derzeit werden Wohnungen für die Kinderdorf-Familien gesucht und Fachpersonal. Es gab auch Überlegungen, im Zusammenhang mit der geplanten Umnutzung der evangelischen Frohbotschaftskirche direkt gegenüber einen Neubau zu errichten.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Sabrina Szczupak weiß, was es bedeutet, wenn ein Kind plötzlich allein auf der Welt dasteht. Die Dulsbergerin steht hinter der Theke des Familiencafés Krümel und kocht Kaffee. Als ihre Mutter starb, war sie acht Jahre alt. Gemeinsam mit ihrem Bruder wuchs sie im SOS-Kinderdorf Harksheide im Norden von Hamburg auf. „Wir hatten eine sehr behütete Kindheit“, sagt sie. Bis heute sei ihre Kinderdorf-Mutter eine wichtige Bezugsperson in ihrem Leben, sagt die 33-Jährige, die seit drei Jahren selbst Mutter eines Sohnes ist. Seit einigen Wochen schmeißt sie im Familienzentrum die Küche, backt und kocht auch einmal in der Woche. Dass sie selbst im SOS-Kinderdorf aufgewachsen ist, macht ihr die Arbeit leichter. „Aber es war keine Voraussetzung für den Job“, sagt sie und lacht.

Inzwischen ist der kleine Kaffeeraum ziemlich voll, und Szczupaks Kirschkuchen so gut wie alle. Auch im Kinder-Secondhandladen ist an diesem Tag ordentlich was los. „Morgens hatten wir noch eine ganze Stange mit Sommerkleidern. Jetzt sind die fast alle weg“, sagt Mitarbeiterin Sabine Reinke. Dass sich das Kinderhilfswerk gerade für Dulsberg als Standort für die neue Einrichtung entschieden hat, ist kein Zufall. Die Nachbarschaft ist gemischt, viele Zuwanderer leben hier, Alleinerziehende und Menschen mit niedrigem Einkommen.

Seit 30 Jahren bieten die SOS-Kinderdörfer schon ambulante Erziehungsberatung an, auch einen kleinen Treffpunkt gab es bereits. „Die Nachfrage war so groß, dass die Räume viel zu klein geworden sind“, sagt Projektleiter Stefan Woywode. Nach dem Umbau hat das Zentrum 300 Quadratmeter Raum. Ziel sei, so der Sozialpädagoge, Eltern von Anfang an zu begleiten. „So können wir früh präventiv ansetzen und den Weg für ein gelingendes Familienleben ebnen.“

Eine von denen, die schon lange dabei sind, ist Fatma Akdemir. Nachdem ihre Tochter Zeynep geboren wurde, war sie zum ersten Mal im SOS-Familienzentrum. „Ich bin reingewachsen“, sagt die 32-Jährige. Vor allem mag sie die familiäre Atmosphäre. „Das habe ich sonst nirgendwo gefunden.“ Inzwischen arbeitet sie auch mit, betreut jeden Freitag eine Eltern-Kind-Gruppe. Schon bald will Fatma Akdemir allerdings wieder vor allem selbst die Angebote des Familienzentrums nutzen. In den nächsten Wochen wird ihr zweites Kind geboren.