Die Forderungen nach umfassenden Sonderfonds für die Infrastruktur sind richtig

Marode Straßen und Schienen sind ein alltägliches Ärgernis, Staus und Verspätungen mittlerweile ein unfreiwillig vertrauter Zustand für Millionen Verkehrsteilnehmer. Die Sanierung der Verkehrswege, das Zusammenflicken kaputter Straßen, Betonspritzen für altersschwache Brücken, Noteinsätze an kollabierenden Kanalschleusen erscheinen allerorten als ein unumgängliches Übel. Dabei geht es um etwas völlig anderes: Intakte, leistungsfähige Straßen, Schienen, Wasserwege, Bahnhöfe und Flughäfen sind schon rein physisch die Grundlage für unseren wirtschaftlichen Fortschritt, für individuelle und ökonomische Mobilität. Dass die deutsche Infrastruktur an so vielen Stellen zugleich zerbröselt, zeigt, wie schwer es unserem Land fällt, einen politischen Konsens für diese große Gemeinschaftsaufgabe der Gesellschaft zu organisieren, eine umfassende Sanierung der Verkehrssysteme.

Die Art und Weise, in der Politik und Verbandslobbyisten nach Ostern über den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) herfielen, mutet grotesk an. Selbstverständlich hat Albig recht damit, das Thema Infrastruktur aus den zeitlichen Horizonten einzelner Legislaturperioden, aus der inhaltlichen Zerhäckselung durch permanente Wahlkämpfe herauszulösen. Und selbstverständlich hat er das Recht dazu, eine Sonderabgabe für Autofahrer zur Diskussion zu stellen. Allerdings, und das macht der Vorschlag des HWWI-Chefs Thomas Straubhaar deutlich, wäre es vermutlich politisch und ökonomisch sinnvoller, die Sanierung der Infrastruktur als herausragendes Projekt von vornherein auf eine gesamtgesellschaftliche Grundlage zu stellen.

Jeder, der sich mit Verkehrssystemen beschäftigt, weiß, dass die Infrastruktur mit den vorhandenen Mitteln nicht effektiv saniert werden kann. Deutschland ist das zentrale Transitland für ganz Europa. Unsere Straßen, Schienen, Wasserwege sind – sieht man von den Neubauten nach der deutschen Einheit in Ostdeutschland ab – veraltet und völlig überlastet. Angesichts der europäischen Teilung bis 1989 waren die meisten damaligen Bauwerke nicht annähernd für das Wachstum ausgelegt, das beim Privat- und Güterverkehr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einsetzte.

Die verfallenden Brunsbütteler Schleusen am Nord-Ostsee-Kanal (NOK) bieten ein mahnendes Beispiel für sinnlose Symbolpolitik. Der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) setzte im Frühjahr 2012 in Brunsbüttel den ersten Spatenstich für den Bau einer dritten großen Schleusenkammer. Sein Ministerium aber hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die nötige europaweite Ausschreibung für den Bau vorbereitet. Frühestens zur Mitte des kommenden Jahrzehnts wird der NOK wieder voll leistungsfähig sein. Für Hamburgs Hafen ist die künstliche Wasserstraße zwischen Nord- und Ostsee unverzichtbar.

Kaputte Straßen, Schienen, Wasserwege verursachen durch Wartezeiten und zusätzlichen Spritverbrauch jährlich Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Schäden. Wie groß der Schaden an den strapazierten Nerven der Verkehrsteilnehmer dabei ist, mag ein jeder selbst beurteilen, der viel unterwegs sein muss. Ein großzügig finanzierter Sonderfonds für die Infrastruktur wäre eine Antwort auf die Misere. Er wäre auch ein Sonderkonjunkturprogramm, das Deutschland und die deutsche Wirtschaft für Jahrzehnte voranbringen könnte – durch moderne Verkehrswege, aber auch mit Konzepten für die Verkehrslenkung, für die Elektromobilität und den Fahrradverkehr in Innenstädten.