Ali Kimil kam vor rund 50 Jahren mit vier Brüdern aus der Türkei nach Hamburg. Nicht alle blieben lange hier. Sein Sohn ist erfolgreicher Unternehmer

Veddel. Gabelstaplerfahrer transportieren mannshohe, gut zwei Tonnen schwere Rollen ins Lager. In der neuen Produktionshalle nebenan haben Mitarbeiter alle Hände voll zu tun, mithilfe laut ratternder Maschinen Plastikfolie in die georderte Größe zu bringen. Ein riesiger Apparat perforiert kleine Tüten. Vielleicht liegen sie bald, mit Obst bestückt, bei Rewe, Real oder Edeka im Regal. Oben im Büro laufen Bestellungen ein. Osman Kimil, Inhaber der Firma Unipack, hat allen Grund, stolz zu sein, aber zeigt es nicht. Der Mann präsentiert sich durch und durch als Hanseat. Aus gutem Grund.

„Moin!“, hat er zur Begrüßung gesagt und auf Nachfrage festgestellt: „Die Geschäfte laufen recht ordentlich.“ Erst später wird klar: Zusammen mit seinen 18 Mitarbeitern will Unternehmer Kimil in diesem Jahr rund fünf Millionen Euro Umsatz erwirtschaften. Die Arbeitsplätze sind sicher. Just wurden drei Millionen Euro in den Hallenneubau investiert. Rund ein Viertel der Verpackungsfolien werden nach Deutschland verkauft; das Gros geht nach Europa und Übersee. An der Hovestraße auf der Veddel, in Nachbarschaft zum Kupferkonzern Aurubis, ist die Geschäftswelt in Ordnung.

„Ich hab Glück gehabt“, sagt Osman Kimil bei einem Tee in seinem gleichfalls bescheidenen Büro. Fraglos erforderten sein privater wie beruflicher Werdegang viel mehr als nur Fortune: Der Aufstieg ist hart erkämpft. Und es war ein weiter Weg.

Dieser begann Anfang der 60er-Jahre: In der Türkei entschlossen sich fünf Brüder mit dem Nachnamen Kimil, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Sie folgten dem Lockruf des Wirtschaftswunderlandes Deutschland. Aus Istanbul reisten Ibrahim, Hüseyin, Hasan, Ali und Arif nach Hamburg. Am Bosporus hatten sie eine Menge Gutes gehört über die Hansestadt im Norden. Ursprünglich stammen die Kimils aus der für den Haselnussanbau bekannten Stadt Giresun an der Schwarzmeerküste.

Die Brüder kamen nicht auf einmal, sondern nach und nach. An Billigflüge, Mails oder günstige Telefonate war vor einem halben Jahrhundert nicht zu denken. Die jungen Männer, zwischen 23 und 35 Jahre alt, ließen ihre Eltern und teilweise Frauen und Kinder zurück. Das Plus an Wohlstand war teuer erkauft. Eines der in der Türkei gebliebenen Kinder hieß Osman, heute Boss von Unipack. Seinen Vater Ali sah er nur alle paar Jahre.

Die fünf Kimil-Brüder packten in Hamburg kräftig an. Eines Tages versammelten sie sich im Sonntagsstaat für ein Familienfoto. Die Eltern in der Türkei sollten wissen, dass es ihren Jungs gut ging. Diese Gewissheit linderte den Trennungsschmerz.

Ali Kimil heuerte bei der Dichtungsfirma Martin Merkel in Wilhelmsburg an. Er arbeitete an einer Presse. „Ein Knochenjob“, sagt er rückblickend. Zusammen mit zwei Brüdern lebte er in einer Wohngemeinschaft in Fleestedt. Die drei Männer teilten sich ein Zimmer. Erst 1978, zwölf Jahre nach dem Neustart in Hamburg, holte Ali Kimil seine Ehefrau Melek, Tochter Ayse und den 15 Jahre alten Sohn Osman nach Deutschland. Vater Ali hat fleißig gespart: Die endlich wieder vollständige Familie zieht in eine kleine Wohnung nach Wilhelmsburg.

Osman Kimil macht den Hauptschulabschluss, arbeitet dann in einer Schlosserei. Schließlich absolviert er bei der Stauerei Carl Tiedemann eine Ausbildung als Hafenfacharbeiter. Zwölf Jahre bleibt er als Angestellter im Unternehmen. 1989 wagt er den Wechsel in die Selbstständigkeit: In Hamburg vertritt Osman Kimil die Verpackungsfirma eines Onkels aus Istanbul. 1989 gründet er mit der Unipack GmbH auf der Veddel seinen eigenen Betrieb. Es ist ein Beginn bei null. Das Geld ist knapp, Vater Ali hilft nicht nur mit Rat aus; schon kleine Aufträge sind ein Erfolg. 60-Stunden-Wochen sind die Regel.

Doch machen sich gute Produkte, ein gutes Näschen für Marktnischen und nicht zuletzt hanseatisches Geschäftsgebaren immer mehr bezahlt: Die Firma floriert. „Ich bin zufrieden“, sagt Osman Kimil und nippt an seiner Teetasse. Neben der türkischen Staatsbürgerschaft hat er seit 1995 auch die deutsche. Welchem Land fühlt er sich am intensivsten verbunden? „In Deutschland bin ich zu Hause“, sagt er, „und meine Wurzeln sind in der Türkei.“ Ein weiterer Schluck Tee, dann sagt er mit Betonung: „In erster Linie fühle ich mich als Hamburger.“ Er wolle auf Dauer in der Hansestadt bleiben.

„Natürlich“ sei er Mitglied der Handelskammer. Kürzlich hielt er dort anlässlich eines Großhandelstages einen Vortrag. Zudem ist Osman Kimil Präsident des Bundesverbandes der Unternehmervereinigungen (BUV), dem 3000 Firmen in Deutschland angeschlossen sind. Dieser BUV organisiert Kongresse und politische Dialoge – auch zwischen Deutschland und der Türkei. Osman Kimil ist mittenmang.

Und was, Herr Kimil, ist aus den fünf Brüdern geworden, die vor rund 50 Jahren nach Hamburg gingen, um ihr Glück zu finden? Sein Vater Ali, heute 76 Jahre alt, lebt ebenso wie Arif abwechselnd in Hamburg und Istanbul. Bruder Hüseyin ist verstorben. Hasan blieb nur ein Jahr, Ibrahim zehn Jahre, dann kehrten sie in ihr Geburtsland zurück. Insgesamt hat das Kimil-Quintett 14 Kinder. Sechs wohnen in Deutschland, vier von ihnen in Hamburg.

„Elif, komm mal bitte kurz“, ruft Osman Kimil. Aus dem Vorzimmer erscheint eine fröhliche, plietsche Frau, die Tochter des Chefs. Die heute 26-jährige Elif Makar ist in Hamburg geboren, spricht Deutsch wie Türkisch perfekt. Im Anschluss an die Handelsschule am Berliner Tor machte sie ihren Abschluss als Groß- und Außenhandelskauffrau. Seit 2006 managt sie die Buchhaltung im väterlichen Betrieb. Ihr Ehemann hat sich mit einem Softwareunternehmen in Hamburg selbstständig gemacht.

Während Bruder Burak gleichfalls für Vaters Firma arbeitet, geht der Jüngste noch zur Schule. Emirhan ist 15 Jahre alt und verfügt über ein gewinnendes Wesen. Typisch Kimil. In der 9.Klasse des Alsterring-Gymnasiums in Barmbek fühlt er sich sehr wohl. Neben Deutsch und Türkisch lernt er Latein und Englisch. Sein Vater Osman engagiert sich ehrenamtlich für das pädagogisch ehrgeizige Alsterring-Modell. Das Gymnasium erwuchs 2008 aus einem Nachhilfering, den bildungsbewusste Eltern initiierten. Als Gründer und Vorstandsmitglied des Vereins ist Osman Kimil heute Vorstandsmitglied der Schule.

Die Frage nach dem nicht immer unkomplizierten Verhältnis zwischen den historisch befreundeten Ländern Türkei und Deutschland versteht sein Sohn Emirhan nicht auf Anhieb. „In meiner Brust schlagen zwei Herzen in wunderbarer Eintracht“, sagt der Gymnasiast schließlich. Einige Freunde seien türkischer, die meisten deutscher Abstammung. Das alles sei so normal, dass sich dazu eigentlich keine Frage stelle. „Wenn ich bei den Großeltern und anderen Verwandten in Istanbul bin, habe ich bald Heimweh nach Hamburg“, fügt er hinzu.

„Auch mein Freundeskreis ist sehr gemischt“, sagt Schwester Elif. Alles verlaufe absolut unkompliziert. Zukünftig, meint sie, werde das Verhältnis immer normaler. Laut lachend deutet sie auf ihren Bauch. Wenn alles nach Plan läuft, kommt Töchterchen Liva im August zur Welt. „Eine richtige Hamburger Deern“, befindet Osman Kimil schmunzelnd. Der Großvater in spe hat wahrhaftig Grund, stolz zu sein.