Viele Hamburger Gymnasien müssten aufwendig anbauen, wenn Schüler künftig zwischen G8 und G9 wählen können. Allein die zusätzlichen Baukosten könnten zwischen 35 und 81 Millionen Euro betragen. Der Senat rechnet mit zwei Modellen.

Hamburg. Der SPD-geführte Senat hat erstmals zumindest für einen Teilbereich berechnet, wie teuer die flächendeckende Umstellung auf den längeren Weg zum Abitur (G9) an den Hamburger Gymnasien werden würde. Sollten alle 60 Standorte parallel G9 und weiterhin auch das um ein Jahr kürzere G8 anbieten, wie es die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ fordert, dann könnte das allein zu zusätzlichen Baukosten zwischen rund 35 und gut 81 Millionen Euro führen.

Die Zahlen ergeben sich aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des SPD-Schulpolitikers Lars Holster. Danach rechnet der Senat mit zwei Modellen: Nach Variante eins würden sich 25 Prozent der Gymnasiasten für G9 entscheiden, falls sie die Wahl hätten. Auf der Basis der aktuellen Zahl von 6566 Fünftklässlern an Gymnasien würden knapp 1650 Kinder pro Jahrgang ein Jahr länger zur Schule gehen. Weil die wenigsten Gymnasien aufgrund der gestiegenen Anmeldezahlen in den vergangenen Jahren noch über freie Räume verfügen, müssten Klassenzimmer und Fachräume in erheblichem Umfang zugebaut werden – Kosten: rund 35 Millionen Euro.

In Variante zwei geht der Senat davon aus, dass sogar 50 Prozent der Gymnasiasten für G9 votieren. In diesem Fall – rund 3300 Schüler pro Jahrgang gehen ein Jahr länger zur Schule – würden sich die Zubaukosten sogar auf 81 Millionen Euro erhöhen.

Die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ fordert die flächendeckende Einführung von G9 an allen Gymnasien mit einer Wahlmöglichkeit für G8. SPD, CDU, Grüne, FDP und Linke lehnen diese Forderung ab, sind allerdings zum Teil zu Kompromissen bereit. Die Verhandlungen zwischen der Initiative und der allein regierenden SPD liegen derzeit auf Eis, weil die Schulbehörde ein Meinungsbild der Gymnasien einholt.

Sollte G9 an den Gymnasien eingeführt werden, dann rechnet der Senat mit einem Rückgang der Anmeldezahlen für die Stadtteilschulen, weil deren Alleinstellungsmerkmal G9 entfallen würde. Auch hier gibt es zwei Rechenmodelle: Sollten 25 Prozent der jetzigen Stadtteilschüler mit Abiturperspektive künftig das Gymnasium wählen, würden etwa 42 Züge (eine dreizügige Schule hat drei Parallelklassen pro Jahrgang) weniger an den Stadtteilschulen benötigt. Das entspricht acht bis zehn Stadtteilschulen.

Bei Variante zwei würden 50 Prozent der Stadtteilschüler mit Abi-Perspektive auf ein Gymnasium wechseln. In diesem Fall wären sogar bis zu 20 der 59 Stadtteilschulen entbehrlich. Wenn knapp 2000 Schüler pro Jahrgang (Variante zwei) wechselten, hätte das gravierende Auswirkungen auf das Zweisäulenmodell: Der Schüleranteil der Gymnasien läge bei den Fünftklässlern dann bei 68 Prozent (derzeit: 52 Prozent), die Stadtteilschulen kämen abgeschlagen nur noch auf 32 Prozent.

G9-Angebot an Gymnasien könnte Stadtteilschulen gefährden

Nur in geringem Umfang liegen Stadtteilschulen und Gymnasien so nahe beieinander, dass die Räume der einen Schulform von der anderen genutzt werden könnten. Dies ist etwa in Lohbrügge, Rissen, Barmbek oder Marienthal der Fall. Häufiger würde es so sein, dass frei werdende Klassenräume der Stadtteilschulen nicht dort sind, wo sie an den Gymnasien benötigt würden.

Laut einer internen Hochrechnung der Schulbehörde wären im Fall des Wechsels von 50 Prozent der leistungsstärkeren Stadtteilschüler auf das Gymnasium Räume im Gegenwert von 500 Millionen Euro „am falschen Ort“. Der Senat weist allerdings auf die zahlreichen Variablen hin, die eine Prognose künftiger Schülerzahlen erschweren. „Eine valide Einschätzung der Entwicklungen durch ein Wahlrecht, wie es von der Initiative gefordert wird, ist nicht möglich“, heißt es in der Senatsantwort auf die Holster-Anfrage.

Auf ein weiteres Problem weist die Landesregierung allerdings hin: Unabhängig von allen Modellrechnungen ist zu erwarten, dass eine Reihe von Stadtteilschulen, die schon jetzt geringe Anmeldezahlen aufweisen, bei einem G9-Angebot an Gymnasien akut von der Schließung bedroht ist. Das betrifft 15 Standorte, die die Mindestzügigkeit (69 Anmeldungen für Jahrgang fünf = drei Parallelklassen, die Red.) nicht oder nur knapp erreichen. Prognosen über die künftige Entwicklung der Schülerzahlen werden auch dadurch erschwert, dass nicht abschätzbar ist, wie viele Schüler das Gymnasium am Ende der sechsten Klasse aufgrund zu schwacher Leistungen verlassen und auf eine Stadtteilschule wechseln müssen.

Die Senatsantworten auf die Kleinen Anfragen des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Lars Holster ergeben außerdem, dass die Zahl der Fünftklässler an den Gymnasien seit dem Start von G8 im Jahr 2002 um 14 Prozent gestiegen ist. Der schnellere Weg zum Abitur hat also nicht abschreckend gewirkt. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Abiturienten sogar um 28 Prozent angewachsen. Offensichtlich sind die Schüler insgesamt also mit dem größeren Zeitdruck gut zurecht gekommen. Der Anteil der Abiturienten mit Migrationshintergrund stieg von 15 auf 27 Prozent.

„Wir sind weiter gesprächsbereit gegenüber der Initiative, mit der wir zum Beispiel auch gerne über die Kosten sprechen würden“, sagte SPD-Schulpolitiker Holster.