Waffen, Munition oder Ketten und Motoren für Panzer: Rüstungsgüter jeder Art werden in Hamburg umgeschlagen. Dahinter stehen legale, aber auch illegale Aufträge. Ein Bürgerbündnis will diese Geschäfte jetzt stoppen

Der Container steht in Block 6 Z, Reihe 5, mitten auf dem weitläufigen Terminal im Hamburger Hafen. Hier stapeln sich die großen bunten Kisten in langen Reihen, bis zu sechs Stück stehen aufeinander. Es ist ein 20-Fuß-Standardcontainer. Sechs Meter lang und mit 2,50 Metern genauso breit wie hoch. Ein riesiger Behälter aus Stahl. Einer von rund 200.000 Gefahrgut-Containern, die pro Jahr im Hamburger Hafen umgeschlagen werden.

Ihr Inhalt ist explosiv oder giftig. In den Behältern können sich Gase oder entzündbare feste Stoffe befinden. Als Gefahrgut gelten Streichhölzer und Haarspray, Desinfektionsmittel und radioaktive Stoffe. Die Uno hat diese gefährlichen Güter in neun verschiedene Klassen eingeteilt. Jede hat ein eigenes Symbol.

Auf dem Container in Reihe 5 prangt eine orangefarbene Raute. „Explosive“ steht darauf in schwarzer Schrift, darüber weist die Nummer 1.4 auf die höchste Gefahrgutklasse hin: Sprengstoff. Unterklasse 4 bedeutet: Stoffe und Gegenstände mit geringer Explosionsgefahr. Und doch kann es sein, dass der Inhalt dieses Containers, der hier für kurze Zeit völlig legal im Hamburger Hafen lagert, vielen Menschen im Nahen Osten irgendwann den Tod bringen wird.

In den unscheinbaren Kisten ist Munition verpackt. Eine Patrone misst 9 mal 19 Millimeter. Sie wird auch 9 mm Luger genannt, nach ihrem Erfinder, dem österreichischen Waffentechniker Georg Heinrich Luger. Oder auch 9 mm Parabellum. Das ist abgeleitet aus dem Lateinischen „Si vis pacem para bellum“ und bedeutet: „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.“

Auf zehn Paletten sind 1600 hölzerne Kisten über den Atlantik verschifft worden. 1000 Patronen pro Kiste, insgesamt 1.634.000 Schuss. Produziert in São Paolo in Brasilien von der Firma Companhia Brasileira de Cartuchos (CBC) unter der Marke Magtech. CBC ist einer der größten Munitionshersteller der Welt. Der Schwerpunkt in der Produktion liegt auf kleinen und mittleren Kalibern. Das Empfängerland für die 1,6 Millionen Patronen ist Israel, worauf auch die hebräische Schrift auf der Verpackung hindeutet.

Nicht weit davon entfernt befinden sich einige Container mit politisch weitaus explosiverem Inhalt. Es ist eine größere Waffenlieferung, die aus Polen stammt und für das ägyptische Militär bestimmt war. Der Hamburger Zoll hat die brisante Ladung sichergestellt. Im Herbst 2013 haben die EU-Außenminister beschlossen, dass bestimmte Waffen bis auf Weiteres nicht mehr nach Ägypten geliefert werden dürfen. Dort hatte es bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei immer wieder Tote gegeben.

Seit sechs Monaten bemühen sich das Auswärtige Amt und das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin um Aufklärung. Auch die Grünen in Hamburg wollten in einer Anfrage an den Senat wissen, ob der Vorgang bekannt sei und wie er bewertet wird? Sie wollten wissen, wie die Ladung deklariert war und ob die gefundene Lieferung für militärische Zwecke verwendbar ist?

Die Antwort des Senats? „Dem Senat liegen zu den Fragen keine Erkenntnisse vor.“

Die Grünen haben mit einer Anfrage nachgehakt. Und nun erfahren, dass die Güter in der Zollanmeldung als Steuerungseinheiten für Panzerketten, Kettenspanner sowie Ersatzteile für Dieselmotoren und Dieselgeneratoren deklariert waren. Sie wurden auf dem Landweg aus Szczecin zum Zollamt Waltershof transportiert. Und, so die Senatsantwort, „eine Verwendbarkeit der Güter für militärische Zwecke könne nach Auskunft der Bundesbehörden bejaht werden“.

Noch immer aber gibt es Fragen: Wann genau wurden wie viele Container sichergestellt? Deckt sich der Inhalt mit den deklarierten Gütern? Die Grünen haben eine weitere Anfrage gestellt.

Hartnäckigkeit ist ein unverzichtbares Mittel, wenn man den weltweiten Waffenlieferungen auf die Spur kommen will. Ein anderes Mittel ist die Einmischung.

Im Herrensaal von Hamburgs ältester Kirche treffen sich an einem Januarmorgen drei Männer. Der eine ist der Hausherr, St.-Petri-Hauptpastor Christoph Störmer, der andere ein Rechtsanwalt. Und schließlich betritt der Reeder Peter Krämer, 63, den Raum. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Marine Service Gruppe und damit Chef über eine Flotte von rund 40 Schiffen, die weltweit vor allem Erdölprodukte transportieren. Krämer engagiert sich seit Langem für soziale und politische Projekte. Nun planen sie etwas Neues: Hamburger protestieren gegen den Export von Gewalt, und zwar weltweit.

Es geht um Gefahrgüter wie in dem Container in Block 6Z, Reihe 5. Schätzungsweise 14.600 Tonnen Munition – Bomben, Minen und Patronen – werden pro Jahr von der Elbe aus in bis zu 140 Staaten exportiert. Und es geht um militärische Elektronik, Kleinwaffen und anderes Gerät. Darüber aber gibt es keine Zahlen. Denn Waffen gelten nicht als Gefahrgut.

Krämer greift zum Handy und bittet sein Büro, eine Verbindung zu Erzbischof Werner Thissen herzustellen. Beide sind seit Längerem freundschaftlich miteinander verbunden. Nach dem kurzen Gespräch steht fest: Der ranghöchste katholische Geistliche im Norden macht auch mit. „Hamburg“, sagt Peter Krämer, „darf nicht das Tor zum Tod in der Welt werden.“ Er spricht von einem „mühsamen Weg“, der vor ihnen liegt. Die Macht der Großkonzerne sei so stark, dass sich die Politik dem Diktat der Waffenlobby unterwirft. Aber Krämer ist sich sicher, „dass immer mehr Menschen das Übel bei der Wurzel packen wollen“. Weitere Prominente wie der Regisseur Fathi Akin und die Schauspielerin Nina Petri melden sich bei Störmer und Krämer und unterzeichnen ebenfalls den Aufruf: Eine Petition gegen die Waffenexporte über den Hamburger Hafen.

Mit den ersten 500 Unterschriften machen sich die Initiatoren am 26. Februar auf den Weg ins Rathaus und übergeben diese dem Direktor der Hamburger Bürgerschaft. Der 26.2. wurde mit Bedacht als erster, entscheidender Tag für diese Aktion gewählt. Das Datum steht symbolisch für Artikel 26, Absatz 2 des Grundgesetzes. „Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Was das Hamburger Bürgerbündnis vereint, ist der Widerstand gegen das Rüstungsgeschäft, das zwar auf legalen Grundlagen wie dem Kriegswaffenkontrollgesetz, dem Außenwirtschaftsgesetz sowie den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung beruht – bei dem aber noch immer viele Deals im Geheimen ablaufen. Es fehlt die Transparenz. Und noch immer sind zahlreiche Geschäfte der parlamentarischen Kontrolle komplett entzogen.

Manche Bombengeschäfte, bei denen Milliarden mit dem Tod von Menschen verdient werden, sind so geheim, dass auch der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt Kritik übt. „Die strikte Geheimhaltung ist die Angst vor der Öffentlichkeit. Ich bin für Transparenz in solchen Dingen“, hat der Hamburger Alt-Kanzler in einem Gespräch mit dem Autor Hauke Friederichs gesagt.

Da ging es auch um den Export deutscher Panzer nach Saudi-Arabien. Für Schmidt der Bruch eines alten Tabus. Von dem Grundsatz im Bundessicherheitsrat, Waffen nur an Verbündete zu liefern, sei die Regierung abgewichen. Abgelehnte Anfragen, sagt Schmidt, müsste der Rat ja nicht veröffentlichen. „Aber die Exportanträge, die er genehmigt hat, die bedürfen der Veröffentlichung.“

Bisher ist es so: Der Bundessicherheitsrat tritt immer dann zusammen, wenn es um heikle Waffengeschäfte mit Ländern außerhalb der Nato und der EU geht. Dieses Organ hat neun ständige Mitglieder. Neben Kanzlerin, Vizekanzler und Bundeskanzleramtschef sind es die Minister für Auswärtiges, Inneres, Justiz, Verteidigung, Entwicklung und Finanzen. Das Gremium tagt geheim. Sitzungsprotokolle werden nicht veröffentlicht. In dieser Runde, schreibt Hauke Friederichs und beruft sich dabei auf einen Insider, wird „pro Jahr maximal über rund 40 kritische Exporte beraten“.

Mehr als 16.000 Anträge pro Jahr werden zuvor von den Behörden genehmigt. Vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn oder vom Wirtschaftsministerium in Berlin. Im Jahr 2012 wurden 16.380 Ausfuhrgenehmigungen von Rüstungsgütern erteilt. Insgesamt lag der Wert aller genehmigten Rüstungsexporte bei 8,87 Milliarden Euro. Deutschland ist inzwischen nach den USA und Russland drittgrößter Rüstungsexporteur auf der Welt. „Je heikler die Anfrage, desto höher nach oben wird sie gereicht“, sagt Jan van Aken. Der Rüstungsexperte der Linken erzählt gern, dass seine Mutter es gar nicht glauben konnte, als er ihr erzählt hat, Deutschland sei drittgrößter Rüstungsexporteur auf der Welt. „Sie dachte, wir würden gar keine Waffen exportieren.“

Seit dem vergangenen Jahr stellt seine Partei alle drei Monate beim Senat eine Schriftliche Anfrage, um Licht in das Dunkel der Hamburger Exporte zu bringen. „Von Mai 2013 bis Januar 2014 wurden 11.000 Tonnen Munition im Hafen umgeschlagen“, sagt Christiane Schneider von den Linken. Und das sei nur ein Bruchteil der gesamten Rüstungsexporte über den Hafen. Sie fordert vom Senat einen monatlichen Bericht über alle Waffenexporte. Regelmäßig listet der Senat jetzt immerhin auf, welche Munition via Hafen verschifft wird: containerweise Patronen, Bomben, Minen, Torpedos, Raketen – alles mit Sprenglandung und als Gefahrgut penibel in einer Datenbank namens GEGIS erfasst. Seit 1996 sind dort sämtliche Inhalte der Gefahrgutcontainer im Hamburger Hafen nach Lade- und Löschhafen sowie Anzahl, Verpackung und Gewicht aufgelistet.

In seinem Büro am Waltershofer Damm hat Rüdiger Rohland an seinem Computer direkten Zugriff auf jeden Gefahrgutcontainer im Hafen. Der Leiter des Sachgebiets Hafensicherheit, seit 1997 bei der Wasserschutzpolizei für gefährliche Güter zuständig, hat eine halbe Stunde zuvor das Schloss des Gefahrgutcontainers in Reihe 5 mit einem großen Bolzenschneider geöffnet. Die Männer von der Wasserschutzpolizei dürfen jeden Container öffnen, wenn sie den Inhalt überprüfen wollen oder Hinweise darauf haben, dass die Sicherheit im Hafen gefährdet ist.

Ihr polizeiliches Einsatzgebiet ist riesengroß und auf den ersten Blick recht unübersichtlich. Es sind die vier großen Terminals im Hafen – Altenwerder, Eurogate, Burchardkai und Tollerort – auf denen rund 360 Tagen im Jahr Waren aus aller Welt umgeschlagen werden. Auf einer Fläche von 4,2 Millionen Quadratmetern werden pro Jahr rund fünfeinhalb Millionen Container abgestellt und warten dann auf den Weitertransport – per Schiff, per Bahn oder per Lkw. Wenn die Behälter falsch deklariert sind und sich beispielsweise unter Bergen von Toilettenpapier Kleinwaffen befinden, wird es mit der Aufdeckung schwierig. Warum wird die Munition aus Brasilien über Hamburg nach Israel verschifft? „Vielleicht gibt es keine direkte Verbindung zwischen den beiden Ländern“, sagt Rohland. „Die Transportwege sind manchmal nicht zu ergründen.“ Damit ist eigentlich alles gesagt.

Doch das Gefahrgut ist nur ein Teil der tödlichen Fracht. Dazu kommen Kleinwaffen wie das Sturmgewehr G 36 aus der Produktion des süddeutschen Branchenführers Heckler & Koch sowie Kriegsgerät und Zubehör von rund 90 Firmen aus der Metropolregion Hamburg. Von Blohm + Voss genauso wie von Siemens Marine Solutions am Lindenplatz, wo etwa elektrische Anlagen für U-Boote hergestellt werden.

Vor allem die Ausfuhr von Kleinwaffen lehnen die Unterzeichner des Hamburger Bündnisses gegen Waffenexporte ab. Rund 1300 Menschen kommen weltweit durch die Schüsse aus Sturmgewehren, Pistolen und Revolvern ums Leben. Jeden Tag. „Damit fällt fast in jeder Minute ein Mensch den Kleinwaffen zum Opfer“, sagt Pastor Störmer, 62. Was ihn besonders besorgt: Der deutsche Export von Kleinwaffen hat sich von 2011 auf 2012 verdoppelt. Jan van Aken sagt, dass die Kleinwaffen für 70 bis 90 Prozent der Toten in allen weltweiten Konflikten verantwortlich sind.

Zu den Opfern der regionalen Konflikte im Sudan, Sierra Leone und anderen Teilen Afrikas zählen nicht nur Zivilisten, sondern auch Kindersoldaten. Manche von ihnen, die mit russischen Kalaschnikows und deutschen Sturmgewehren schießen müssen, sind gerade mal acht Jahre alt. Mathias John von Amnesty International in Hamburg hält es für „grundsätzlich sehr plausibel“, dass Schnellfeuergewehre aus deutscher Produktion über den Hamburger Hafen in die Hände von Kindersoldaten gelangt sind.

Im Zollamt Waltershof an der Frankenstraße sitzt Matthias Meyer in einem schmucklosen Konferenzraum. „Ohne unser Okay darf kein Container im Hafen auf ein Schiff verladen werden“, sagt der Zollamtsrat. Mit rund 550 Mitarbeitern ist er zuständig für den ordnungsgemäßen Ausgang von Warensendungen über den Hafen. Dabei geht es nicht nur um Waffen, sondern auch um die Kontrolle von Abfällen und Drogen, Betäubungs- und Arzneimitteln, Alkohol und Tabakwaren. Pro Jahr gibt es insgesamt rund 2,4 Millionen Anmeldungen zum Ausgang über den Hamburger Hafen. Bei ihren Stichproben haben die Beamten im Jahr 2012 in Hamburg insgesamt 31.495 „Waffen oder Waffenteile“ sowie 1,3 Millionen „Munition in Stück“ sichergestellt.

Wie findet man die bösen Buben? „Das ist eine Mischung aus Erfahrung und Bauchgefühl“, sagt Meyer, der seit 1996 beim Zoll arbeitet. Ansatzpunkte seien zum einen die deklarierte Ware und zum anderen die Länder, in die der Container exportiert werden soll. Rund 20 Länder sind derzeit mit Sanktionsmaßnahmen belegt.

Dem Hamburger Bündnis aber geht es weniger um die bösen Buben. Es wendet sich gegen den legalen Export von Waffen. Ein generelles Verbot halten die Aktivisten für Utopie. Aber der Traum von einer Welt mit immer weniger Waffen beflügelt Reeder wie Pastor. Schließlich müsse man nur in die Hamburger Verfassung schauen, sagt Christoph Störmer. Dort ist, wenn man so will, ein Waffenexportverbot der Freien und Hansestadt buchstäblich verankert. „Hamburg will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein“, heißt es in der Präambel.

Lesen Sie morgen im Hamburg-Teil: Das sagen die Reeder zum Waffenexport