Fast 70 Jahre nach der Tat ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe zum Mord gegen eine 90-jährige Auschwitz-Wächterin aus Hamburg. Leiter der NS-Fahndungsstelle spricht von „Wettlauf gegen die Zeit“.

Hamburg. War sie an einem der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt? Eine mittlerweile über 90-jährige Hamburgerin wird beschuldigt, zur SS-Wachmannschaft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gehört zu haben. Im Herbst 1944, also nur wenige Monate vor der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee im darauffolgenden Januar, soll sie für mindestens einen Monat Dienst im größten der drei Lager in Auschwitz getan haben, dies geht aus den Akten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, der sogenannten NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg, hervor.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat nun Ermittlungen gegen die Seniorin aufgenommen, wegen des Anfangsverdachts der Beihilfe zum Mord. Dies gab die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, am Donnerstag bekannt. Die 1921 geborene Frau, über die sonst nur wenig bekannt ist, soll von September bis Oktober 1944 in Auschwitz-Birkenau gearbeitet haben. Im Zuge der Ermittlungen soll auch geklärt werden, welcher Taten sich die SS-Angehörige genau schuldig gemacht hat. In Auschwitz, dem größten der nationalsozialistischen Todeslager, wurden mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet.

Ebenso wie Mord verjährt Beihilfe zum Mord nicht, erklärte Sprecherin Frombach. Die Verjährungsfrist beim Straftatbestand der Beihilfe richte sich immer nach der Haupttat. Zudem handle es sich um ein Offizialdelikt, also eine Straftat, die die Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgen müsse. Dabei spielten auch das Alter oder der Gesundheitszustand der oder des Beschuldigten keine Rolle.

Die Hamburgerin ist nur eine von insgesamt 30 in Deutschland lebenden Beschuldigten, die wegen Beihilfe zum Mord zur Rechenschaft gezogen werden sollen, weil sie als Wärter in Auschwitz-Birkenau tätig waren. Die Nazi-Jäger der NS-Fahndungsstelle hatten im vergangenen Jahr insgesamt 49 ehemalige Aufseher des Lagers identifizieren können, darunter sechs Frauen. Neun waren aber bereits verstorben, sieben lebten im Ausland, von zwei ehemaligen Wärtern war der Aufenthaltsort nicht bekannt.

Ende 2013 hatte die Zentrale Stelle die aus den Akten zusammengetragenen Fälle an die Staatsanwaltschaften der Länder übergeben, darunter auch den der Hamburgerin. Die hiesige Staatsanwaltschaft prüfte die Beweise, forderte weitere Dokumente aus Ludwigsburg an. Die Vorprüfung dauerte mehrere Wochen, bis letztlich Ermittlungen eingeleitet wurden.

Auch in anderen Bundesländern hatten die Vorermittlungen der Zentralen Stelle weitreichende Folgen: Im Februar waren drei mutmaßliche ehemalige KZ-Wächter in Baden-Württemberg verhaftet, bundesweit Wohnungen durchsucht worden. Mittlerweile sind die Männer im Alter von 88 bis 94 Jahren wieder aus der Untersuchungshaft entlassen und auf freiem Fuß. Die Haftbefehle waren insbesondere wegen gesundheitlicher Probleme außer Vollzug gesetzt worden. Der dringende Tatverdacht gegen die Männer bestehe aber weiter, sagte eine Sprecherin.

Das hohe Alter und der einhergehende schlechte Gesundheitszustand der Beschuldigten ist wohl das größte Hindernis der Ermittler. Für Aufregung hatte etwa die Entscheidung des Landgerichts Ellwangen gesorgt, einen Prozess gegen den mutmaßlichen früheren SS-Wachmann Hans Lipschis wegen Verhandlungsunfähigkeit abzulehnen. Angehörige von Nazi-Opfern sind mittlerweile dagegen vorgegangen.

Von einem „Wettlauf gegen die Zeit“ spricht denn auch Kurt Schrimm, Oberstaatsanwalt und Leiter der NS-Fahndungsstelle. Die aktuellen Ermittlungen hatte erst eine Neudefinition des Straftatbestandes Beihilfe zum Mord im KZ durch seine Behörde möglich gemacht. So blieben NS-Täter oft straffrei, weil der Bundesgerichtshof 1969 im Fall Auschwitz festgelegt hatte, dass für eine Verurteilung die individuelle Schuld nachgewiesen werden müsse, was oft nicht möglich war.

In den Vorermittlungen zum Prozess gegen den Sobibor-Aufseher John Demjanjuk, der 2011 schuldig gesprochen wurde, kam dann die Neudefinition zum Zug, der vom Gericht nicht widersprochen wurde. Demnach ist jeder belangbar, der in einem KZ dazu beigetragen hat, dass die Tötungs-Maschinerie funktionierte, egal ob direkt als Aufseher bei den Gaskammern oder indirekt etwa als Koch. Die Fahndungsstelle hat bereits weitere Vorermittlungs-Verfahren angekündigt.