Lebensmittelketten entdecken die Gastronomie als neues Geschäftsfeld. Branchenexperten sehen schon einen generellen Trend hin zu immer mehr Gastrokonzepten im Lebensmitteleinzelhandel.

Hamburg. Um die Mittagszeit ist bei Edeka Böcker in der HafenCity kaum noch ein freier Platz zu bekommen. Angestellte aus den umliegenden Büros sitzen mitten im Supermarkt an hohen, zu Tischen umgebauten Weinfässern und an Bistrotresen, vor sich eine dampfende Portion Nudeln mit Spinat, Chili con Carne oder Hühnchen Cordon bleu.

Geholt haben sich die Kunden ihr Essen in der „Kombüse“, dem Mittagstisch, den Marktinhaber Markus Böcker in einer Ecke des Ladens anbietet. Die Wartezeiten sind ähnlich kurz wie in einer Kantine, die Preise mit bis zu 5,90 Euro pro Portion moderat. Zwei Gründe, weshalb der Kaufmann mit seiner bodenständigen Küche selbst trendigen Restaurants in der Nachbarschaft Paroli bieten kann.

„An normalen Wochentagen geben wir in der Mittagszeit rund 250 Essen aus“, sagt Böcker zufrieden. Weil das Geschäft so gut läuft, möchte er die Sitzplätze im Bistro von derzeit rund 30 auf 45 erweitern. Zudem soll die Salatbar in Kürze vergrößert werden.

So wie Markus Böcker experimentieren derzeit viele selbstständige Edeka-Kaufleute mit der Integration von Bistros oder anderen Schnellrestaurants in ihren Märkten. Die Angebote reichten dabei von Heißen Theken bis hin zu Sushi-Bars oder einer Vollgastronomie im Vorkassenbereich, sagt die Sprecherin von Deutschlands größter Supermarktkette, Kerstin Hastedt. Viele Kunden wollten in den Märkten schließlich nicht nur ihren Einkauf erledigen, sondern ihren Besuch auch mit einem Essen verbinden.

Branchenexperten sehen schon einen generellen Trend hin zu immer mehr Gastrokonzepten im Lebensmitteleinzelhandel. Die Grenzen zwischen Supermärkten und Bistros verwischen zusehends, weil insbesondere die teureren Ketten versuchen, sich mit zusätzlichen Angeboten von den preisaggressiven Billigketten und anderen Konkurrenten abzusetzen.

„Gastronomieangebote versprechen sowohl höhere Frequenzen in den Märkten als auch höhere Spannen“, erklärt Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung den Trend. Natürlich bestehe die Hoffnung vieler Lebensmittelhändler darin, dass die Besucher nach dem Essen auch noch zusätzliche Produkte kauften. Zudem seien die klassischen Supermarktketten quasi dazu gezwungen, neue Angebote zu entwickeln, da die Discounter auf der anderen Seite mit großen Obst- und Gemüseabteilungen oder Backstationen ihr Sortiment ebenfalls aufwerteten.

Während Edeka aufgrund der dezentralen Organisation der Gruppe eher auf individuelle Einzellösungen setzt, bereitet Konkurrent Rewe schon den Einstieg in die Gastronomie im großen Stil vor. Die Gruppe testet seit Sommer vergangenen Jahres im Kölner Raum ein Bistrokonzept namens „Made by Rewe“, das nach der Pilotphase auf ganz Deutschland ausgeweitet werden könnte.

Mit Blick in die offene Küche können die Kunden bei Rewe einfache Pastagerichte, Tandoori-Chicken, Pizzen oder japanische Nudeln ordern. Die Zutaten stammen aus dem benachbarten Supermarkt. Das Ambiente ist schlicht und modern, mit vielen Holzelementen und scharfen Kontrasten zwischen schwarzen Stühlen und hellen Wänden.

Dass die Rewe-Restaurants ein wenig an die in Hamburg entstandene Italo-Kette Vapiano erinnern, ist mehr als bloßer Zufall. Für die Entwicklungsphase holte die Supermarktkette nämlich den Vapiano-Gründer und ehemaligen Miteigentümer Mark Korzilius an Bord, der vor allem die offene Küche und das Pastakonzept auf die Rewe-Märkte übertrug.

„Gastrokonzepte bieten für Lebensmittelhändler die Chance, sich über den Preis hinaus vom Wettbewerb zu differenzieren“, sagt Korzilius, der seine Beratertätigkeit für Rewe mittlerweile beendet hat. „In jedem Markt gibt es zudem Bereiche mit einer eher geringen Flächenproduktivität, die sich für die Einrichtung eines Restaurants oder Bistros eignen.“

Bei Rewe sieht man die ersten Erfahrungen mit den neuen Restaurants positiv. „Im Augenblick testen wir aber noch die Verbraucherakzeptanz und bessern das Konzept gegebenenfalls nach“, sagt ein Rewe-Sprecher dieser Zeitung. Wenn die Testphase erfolgreich verlaufe, sei es durchaus möglich, dass das Konzept auch in Hamburg eingeführt werde.

Mit einer anderen Mischung aus Lebensmittelladen und Bistro wird Rewe in jedem Fall in diesem Frühjahr in die Hansestadt kommen. So eröffnet in Blankenese die erste Filiale der Marke Temma, eine Art Neuinterpretation des klassischen Tante-Emma-Ladens. Die Kölner kombinieren hier ein Biogeschäft mit einem Café und Deli, in dem es Kleinigkeiten wie einen Antipastiteller oder eine Suppe zu kaufen gibt.

Der Ansatz ist letztlich der gleiche wie in den Made-by-Rewe-Bistros: Die Supermärkte sollen von anonymen Einkaufsstätten zu Treffpunkten werden, in denen sich die Kunden möglichst lange aufhalten. In der Tendenz kaufen sie dann auch mehr ein.

Waren- und Möbelhäuser setzen schon lange auf eigene Restaurants

Wirklich neu ist die Kombination aus Lebensmittelmarkt und Restaurant freilich nicht. Vor allem in südeuropäischen Ländern wie Italien oder Spanien haben große Markthallen mit Essensständen eine lange Tradition. Daher ist es kein Zufall, dass auch in Hamburg italienische Supermärkte wie Andronaco einen Gutteil ihres Geschäfts mit frischen Pizzen und Pasten machen.

Auch in anderen Bereichen des Handels sind kulinarische Angebote längst selbstverständlich. So haben Warenhausketten wie Karstadt oder Kaufhof schon längst Restaurants und Imbisse in ihre Großstadthäuser integriert, im Alsterhaus füllen diese fast die gesamte obere Etage aus. Und auch große Möbelketten wie Ikea sorgen fast schon traditionell mit günstigen Frühstücks- und Mittagstischangeboten für Frequenz in ihren Häusern.

Bei den großen Supermarktketten beschränkten sich Ausflüge in die Gastronomie bisher hingegen auf die Bäcker im Vorkassenbereich, die in der Regel neben Kaffee und Kuchen auch kleinere Snacks anbieten. Wie groß aber allein die wirtschaftliche Bedeutung dieses Sektors ist, zeigt die Tatsache, dass es Edeka mit seinen überwiegend in Süddeutschland aktiven Bäcker-Imbissen wie Schäfer’s, K&U oder Wünsche schon heute regelmäßig unter die Top-Systemgastronomen Deutschlands schafft.

Laut Statistik des Branchenmagazins Foodservice kam Edeka 2012 auf einen Umsatz von geschätzt 165 Millionen Euro in diesem Bereich und rangierte damit noch vor Gastroketten wie Block House und Starbucks oder Lieferdiensten wie Joey’s Pizza.