Wer viel Wintersport schaut, sieht automatisch Spots für Skier. Internet-TV-Geräte machen es möglich. Die Hamburger Agentur Pilot ist hier Vorreiter.

Hamburg. Schon in wenigen Monaten wird diese Szenerie in zig Millionen deutschen Wohnzimmern Realität sein: Man sitzt auf dem Sofa, schaltet den Fernseher ein und sieht statt der „Tagesschau“-Sprecherin oder den „Tatort“-Kommissaren mehrere kleine bunte Fenster, die wie Apps auf einem Smartphone aussehen. Man kann zwischen den klassischen TV-Programmen und den Mediatheken der Sender wählen, hat Zugang zu Videotheken wie Maxdome oder Watchever, zu Videoportalen wie YouTube und Musik-Streaming-Diensten. Außerdem erscheint ein Banner, eine Werbung eines Unternehmens in der Ecke des Bildschirms, und wenn man möchte, kann man den jeweiligen Spot gleich anschauen. Manch einer wird sich wundern, dass er Werbespots für Hotels in Spanien findet, wenn er kurz zuvor eine Dokumentation über Barcelona angeschaut hat. Oder ein Werbefilm für Skier flimmert über den Bildschirm, weil der Zuschauer häufig Wintersport einschaltet: Die Werbung kann auch im Fernsehen bald darauf abgestimmt werden, wer sich wann welche Inhalte anguckt. TV-Werbung kann schon bald genau so personalisiert werden wie es Internetnutzer bereits heute kennen.

Möglich machen dies Nutzungsdaten, die via Google auf dem Internet-TV oder über HbbTV (Hybrid broadcast broadband TV), dem parallel zum TV-Programm ausgestrahlten Online-Angebot, gesammelt werden können. Angesichts dieses neuen, gläsernen Millionenpublikums erscheint es kaum verwunderlich: Die Werbebranche wittert hier einen ganz neuen Markt. Zum Vergleich: In den USA liefert Kabel-TV bereits personalisierte Werbung in drei Millionen Haushalte.

Immerhin mehr als 14 Millionen deutsche Haushalte haben bereits einen internetfähigen Fernseher. Sie können auf dem TV-Gerät via Spielekonsolen, DVD- oder Blue-Ray-Playern, Streaming-Medienservern, Set-Top-Boxen (STBs) oder über das Smart TV selbst auf vernetzte Dienste zugreifen. Die personalisierte Werbung auf den Fernsehern ist ebenfalls schon in wenigen Monaten nutzbar. Die ersten Spezialisten aus der Branche stürzen sich bereits auf die neuen Technologien.

Einer der Vorreiter ist die Kommunikationsagentur Pilot: Die Hamburger haben gemeinsam mit ihrem Medienexperten Damian Rodgett eigens für diesen neuen Markt die Tochterfirma Pilot Screentime gegründet. Schon länger ist die Pilot-Gruppe auf neue Medien spezialisiert, und immerhin belegt sie im aktuellen Ranking des Branchenverbands den ersten Platz unter den größten deutschen Internetagenturen im Bereich Werbung. In Hamburg beschäftigt Pilot 260 Mitarbeiter, setzte im vergangenen Jahr rund 30 Millionen Euro um und unterhält weitere Standorte in Berlin, Stuttgart, München und Wien.

Damian Rodgett, ein schlanker gebürtiger Brite im grauen Anzug, hat sogar ein Zukunfts-Labor in der Zentrale der Agentur am Dammtorbahnhof eingerichtet: Mit der Fernbedienung in der Hand läuft der 42-Jährige zwischen riesigen Fernsehern etwa von Samsung, Philips, Panasonic oder LG umher. Die Regale, Wände, und ein Kühlschrank sind versehen mit flimmernden Bildschirmen. Rodgett führt Kunden wie Procter & Gamble, Melitta oder Pro Sieben nicht ohne Stolz durch diese digitale Welt der Zukunft. Denn dieser Raum, prall gefüllt mit Hightech im Wert von vielen Tausend Euro, ermöglicht schon heute einen Blick in die Werbung von morgen. „Das ist das Neueste, was es auf dem Markt gibt“, sagt Rodgett und zeigt auf die Geräte, für die Pilot maßgeschneiderte Werbelösungen anbietet.

Erste Kunden wie Otto, RTL oder Scandlines experimentieren bereits mit den neuen Technologien. So stellt der Versandhändler Otto in seinem Web-TV-Format „Two for Fashion TV powered by Otto“ im Internet Mode-Trends und deutsche Designer vor und regt die Zuschauerinnen zum Nachstylen an. Der Handelskonzern liefert bei diesem Projekt Inhalte, die gleichzeitig einen Kaufanreiz bieten.

Dieser derzeit im Internet verfügbare Inhalt könnte bald auch auf dem Smart-TV sichtbar sein. Parallel könnte man dann während des Fernsehens auf dem Tablet die Mode bestellen. Ein anderes Beispiel für die kommerzielle Nutzung des Smart-TV: Den Konsum einer mehrminütigen Werbung belohnt eine Firma mit einem kostenlosen Spielfilm.

Die Investitionen in das Smart-TV sind kein Zufall: Die Zielgruppe, die mit der digitalen Werbung im Smart-TV erreichbar ist, dürfte sich in der nächsten Zeit stark vergrößern. Mehr als die Hälfte aller Verbraucher schätzt die Internetfähigkeit eines neuen TV-Geräts heute als wichtiges Kaufkriterium ein. Bezogen auf den Umsatz machen Fernseher mit Online-Funktion sogar schon rund drei Viertel des Geschäfts aus.

Neben den Bildschirmen im Wohnzimmer gewinnen digitale Screens auch an anderen Orten an Bedeutung. Etwa bei Scandlines: Die Fähren zwischen Dänemark und Deutschland sind mit digitalen Info-Bildschirmen ausgestattet, welche von Pilot minutenaktuell mit verschiedenen Inhalten versorgt werden. „Wir können uns hier nach der Tageszeit, nach dem Wetter und nach der Zielgruppe richten“, sagt Rodgett über die Vorteile etwa gegenüber einem Plakat, das nicht so einfach ausgetauscht werden kann.

Morgens erscheinen auf dem Bildschirm die Angebote für das Frühstück an Bord, bei schlechtem Wetter lockt die Boutique die Leute zum Shoppen und wirbt auf dem Screen für günstige Parfüms. Sogar einen Kühlschrank mit einem digitalen, halbtransparenten Bildschirm testet Pilot derzeit für einen Getränkeanbieter. Auch hier bietet sich Werbung an, die je nach der aktuellen Tageszeit wechselt, sagt Rodgett: „Morgens erscheint ein Spot für Kaffee, nach 18 Uhr für das Feierabendbier.“