Hamburg. Sie trägt ihr Kopftuch mit Stolz und mit Würde. Nach fast 20 Jahren in Deutschland hat sich die junge türkisch-stämmige Frau dafür entschieden, und es fühlt sich für sie gut und richtig an. Nur einmal nicht, da war sie „sehr geschockt“, überrumpelt von den Anfeindungen einer ihr fremden Frau, fassungslos und erschüttert. Als die 28-Jährige auf Grund ihres Kopftuchs angekeift worden sei: „Wie sind Sie denn gekleidet, Sie Terrorist?“ Das war der Moment, an dem Fadime I. (alle Namen geändert) zu zweifeln begann. Nicht etwa an ihrer Verschleierung - sondern eher an der Toleranz und der Einsicht dieser wütend zeternden Frau, die ihr so unversöhnlich gegenüber stand und von der sie sich zutiefst verletzt fühlte.
Ausländerfeindlich? Sie? Nein, diesen Eindruck weist die jetzt wegen Beleidigung angeklagte Margot N. im Prozess vor dem Amtsgericht mit aller Entschiedenheit zurück. Bei der Begegnung mit Fadime I. im vergangenen August vor der Europapassage sei es ihr mitnichten darum gegangen, eine Frau wegen deren Herkunft anzugreifen, meint die 60-Jährige. „Es geht hier um das Kopftuch als Instrument der Unterdrückung von Frauen. Es widerspricht der Gleichbehandlung“, argumentiert die Hamburgerin, die für sich selber keinen großen Wert auf betont feminine Attribute zu legen scheint. Mit ihrem blassen Teint, den braunen Haaren, die ein wenig wie selbst geschnitten wirken, und einem Pullover, der aussieht, als hätte sie ihn von ihrem Mann ausgeborgt, ist die Pädagogin eine Frau, die in der Menge untergehen würde.
Umso nachdrücklicher verschafft sie sich Gehör, mit geschliffenen Sätzen und raumgreifenden Gesten, die ihren Worten noch mehr Wirkung verschaffen sollen. „Das Kopftuch ist kein neutrales Kleidungsstück“, betont Margot N. ihre Überzeugung. „Und mit Religionsfreiheit hat das nichts zu tun.“ Die 60-Jährige, die nach eigener Aussage früher in einer Einrichtung mit jungen Türkinnen gearbeitet hat und jetzt unter anderem in Windkraftprojekten engagiert ist, bestreitet, Fadime I. als Terroristin bezeichnet zu haben. „Ich habe nur gefragt, warum sie das Kopftuch trägt. Und dann habe ich gesagt, das werde die Terroristen aber freuen, wenn sie so herumläuft.“ Sie sei vielmehr selber von der anderen Frau mit einem rüden Ausdruck beleidigt worden. Dann sei sie in einem Restaurant essen gegangen. „Da wurde ich plötzlich von einem Polizisten angesprochen und heraus gebeten. Was sollte ich tun“, sagt sie achselzuckend. Er war stärker als ich“, scheint sich Margot N. nun in einer Opferrolle zu gefallen.
Doch Opfer, betont Fadime I., sei ausschließlich sie. Die seinerzeit unvermittelte Ansprache durch die ihr vollkommen unbekannte Frau und die ätzenden Worte hätten sie „geschockt“, erzählt die 28-Jährige als Zeugin vor Gericht. „Dann haben mich auch andere Leute so merkwürdig angeguckt“, erinnert sich die in der Pharmazie tätige Angestellte, die auch im Gerichtssaal Kopftuch trägt. Sie habe die Polizei alarmiert. „Seit dem Vorfall habe ich Angst, rauszugehen“, erzählt die Zeugin. „Ich habe Angst, dass mich jemand wieder als Terrorist beschimpft. Ich bin doch kein Kindermörder! Mich hat das echt fertiggemacht.“
Die Aussage der 28-Jährigen korrespondiert mit der Notiz eines Polizisten, der seinerzeit auf Bitten der erschütterten jungen Frau hinzugezogen wurde. Die Angeklagte habe die andere Frau gefragt, ob sie für sie einen Flug nach Afghanistan organisieren solle, vermerkte der Beamte. „Um zu deeskalieren, bat ich die Dame nach draußen“, erinnert sich der 31-Jährige jetzt im Prozess. Margot N. habe „angespannt“ gewirkt, Fadime I. dagegen „betrübt“.
Jemanden als „Terrorist“ zu bezeichnen, sei „objektiv ehrverletzend“, stellt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer klar. Die Meinungsäußerungsfreiheit habe ihre Grenzen, unter anderem bei Schmähkritik. „Das hat nichts zu tun mit Gleichberechtigung. Und es nicht hinnehmbar, dass es wegen eines Kopftuchs politische Anfeindungen gibt.“ Diesen Grundsatz betont auch der Amtsrichter und verurteilt Margot N. zu 800 Euro Geldstrafe wegen Beleidigung. Die Angeklagte habe nicht etwa versucht, in eine Diskussion einzutreten, sondern habe ein deutliches Signal gegeben, „dass sie das, was die andere tut, missachtet und damit auch die andere Person missachtet“, begründet der Richter seine Entscheidung. „Das zeigt, dass Sie sich radikalisiert haben. Sie schrecken nicht davor zurück, andere zu beleidigen.“ Doch beleidigt werden solle hier „niemand, keine Muslimin oder sonst wer“. Bei Margot N. stößt er damit auf taube Ohren. Die 60-Jährige steht entzürnt auf: „Ich werde ab heute jede mit einem Kopftuch ansprechen“, kündigt die Uneinsichtige kämpferisch und mit erhobenem Zeigefinger an. „Das wird ab heute ganz massiv.“
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg