Beim großen Festakt zu seinem 95. Geburtstag verzichtete Altbundeskanzler Helmut Schmidt einmal aufs Rauchen. Ansonsten gab er sich kämpferisch wie eh und je. Keine Spur von Altersmilde.

Hamburg. Um es vorwegzunehmen: Nein, Helmut Schmidt hat nicht auf der Bühne geraucht, auch nicht als ihm ganz zum Schluss des Festaktes zu seinem 95. Geburtstag am Sonntag im Thalia Theater ein silberner Drehaschenbecher hingestellt wird. Diese Erwartung vieler Gäste erfüllt der leidenschaftliche Raucher also nicht, möglicherweise erscheint es ihm zu absehbar, so oft schon wurde seine schnoddrige Ignoranz von Rauchverboten zum Thema gemacht. Und möglicherweise muss er dazu viel Disziplin aufbringen, um so ungewöhnlich lange darauf zu warten, bis er sich eine seiner Mentholzigaretten entzünden kann, um dann in den aufsteigenden Rauch seine Politikanalysen zu stoßen.

Sonst aber erleben die rund 1000 geladenen Gäste einen Schmidt wie immer. Der zwar ein „uralter Kerl und an den Rollstuhl gefesselt ist“, wie er selbst sagt – der in Diskussion und Redebeitrag aber kaum altersmilde oder gar altersmüde wirkt: noch immer einer, dem man zuhören will, dessen auf den Punkt gebrachten Argumente stark wirken: Kein Geraschel, kein Gemurmel mehr im Saal ist zu hören, als Schmidt über die Menschenrechte spricht.

Man müsse da zwischen dem eigenen Land und dem, was man von anderen verlange, stark unterscheiden, sagt er, als es in einer Diskussionsrunde um China geht: Krieg zu verhindern sei in der Außenpolitik wichtiger, als auf die europäische Erfindung der Menschenrechte zu pochen. Etwas völlig anderes sei es im eigenen Land, wenn dort Menschenrechte in Gefahr sind. „Dann“, so Schmidt, „würde ich auch jetzt noch auf die Barrikaden gehen.“ Und sein scharfer Ton, sein spitzes Hamburger „S“ kommen so, als würde er es auch wirklich machen. Authentisch sein, für eine Haltung einstehen, die vielfache Bewunderung deswegen bis heute – das bildet dann auch den Kern vieler Lobreden zu Schmidt an diesem Vormittag.

Am 23.Dezember 1918 war der Altkanzler und noch heutige „Zeit“-Herausgeber in Barmbek geboren worden. Seinen eigentlichen Geburtstag hatte er zu Hause in seinem Bungalow in Langenhorn gefeiert – dort wo er in den 70er- und 80er-Jahren gemeinsam mit seiner 2010 verstorbenen Frau Loki oft Staatsgäste empfangen und dabei hanseatisches Understatement an den Tag gelegt hatte. Den sowjetischen Staatschef Breschnew etwa servierten beide Schinken und Spargel und zum Nachtisch einen Rumtopf.

Senat, Bürgerschaft, „Zeit“ und „Zeit“- Stiftung hatten zum Festakt geladen

Schmidt war von 1974 bis 1982 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. In seine Amtszeit fielen die Folgen der Ölkrise, die Vorbereitung eines europäischen Währungssystems und der Nato-Doppelbeschluss. Vor allem aber die Morde und Entführungen durch die Rote Armee Fraktion (RAF) haben Schmidts Kanzlerschaft geprägt. Denn als am 5.September 1977 Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von der RAF entführt wurde, blieb Schmidt hart und lehnte Verhandlungen mit den Terroristen ab, die Schleyer schließlich ermordeten.

Zu dem Festakt zum 95. Geburtstag Schmidts hatten Senat und Bürgerschaft, die Wochenzeitung „Die Zeit“ sowie die „Zeit“-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius geladen. Viel Hamburger, aber auch bundespolitische Prominenz ist daher unter den Gästen: Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel würdigen wie auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den Jubilar. Gabriel und Schröder erinnern daran, wie sie als junge Jusos beispielsweise beim Nato-Doppelbeschluss andere Postionen vertreten hatten als Schmidt. „Heute aber muss man wie so oft sagen: Du hast recht gehabt, Helmut“, sagt Gabriel. Doch schon damals, trotz politischer Kontroverse, sei Schmidt für ihn der „Inbegriff eines sozialdemokratischen Kanzlers gewesen“.

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zählt zu den Gästen, ebenso wie sein wohl berühmtester Amtsvorgänger Hans-Dietrich Genscher (FDP). Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) ist gekommen; wie Schmidt noch mit dichtem schlohweißen Haar und auch auf den Stock gestützt. Auch der legendäre frühere US-Außenminister Henry A. Kissinger ist als langjähriger Freund der Schmidts nach Hamburg gekommen. Beim Gang auf die Bühne gibt er seinen Stock an einen Mitarbeiter, um mit sichtbarer, disziplinierter Anstrengung aufrecht zu einer Bühnensitzrunde zu gehen. Dort diskutiert er dann sehr munter mit Schmidt über China. Ein politischer Programmpunkt der Feier, den sich Schmidt ausdrücklich gewünscht hatte. Kissinger, mit seiner tiefen Bassstimme, will vor China aber über Schmidt sprechen: Ein beeindruckender Staatsmann sei er, „und ich möchte sagen, wie stolz ich über meine lange Freundschaft mit Helmut Schmidt bin“.

Es geht allerdings nicht nur um Europa, China und die Weltpolitik bei diesem Festakt. Schmidt, der jeden Morgen das Abendblatt liest, wie er sagt, äußert sich beim Talk mit „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo am Schluss der Veranstaltung auch zu seiner Heimatstadt: Die HafenCity etwa empfinde er als Ort, wie er derzeit überall in der Welt gebaut würde. Nur mit erheblich weniger Stockwerken. Ob er aber nicht auch gerne am Wasser wohnen würde, fragt ihn di Lorenzo. „Mich beschleicht manchmal zwar ein wenig Neid, aber ich bleibe in Langenhorn“, antwortet Schmidt und zeigt damit seine bescheidene, menschliche Seite, die ihn ganz augenscheinlich ebenso prägt. So auch bei dieser so prominent besuchten Feier: Als sich seine Tochter Susanne zur Begrüßung eines Gastes kurz erhebt, der Saum ihres Kleides sich aber plötzlich ungünstig im Sessel zu verfangen droht, wuchtet sich Altkanzler Schmidt, jetzt ganz besorgter Vater, aus dem Rollstuhl, um das mögliche Malheur mit einen raschen Handgriff zu verhindern.

Auch seine letzten Dankessätze zum Ende des Festaktes gelten nicht weltpolitischen, sondern anderen Dingen: Er wolle diese Rede nicht beenden, ohne an seine Ehefrau Loki zu erinnern, sagt er in die Stille: „Ohne sie wäre ich nur die Hälfte gewesen.“ Dank spricht er auch seiner langjährigen Sekretärin Ruth Loah aus, die sich nach Lokis Tod um ihn gekümmert habe und ohne die „ich nicht hier sein würde“.

Nach dem Festakt machen sich viele der Gäste zusammen mit Schmidt dann auf, um noch an einem Senatsempfang zu seinen Ehren im Rathaus teilzunehmen. Da gibt es dann wohl auch Gelegenheit zu rauchen.