Kissenschlacht für ein friedliches Miteinander. Und die WC-Bürste ist längst zum Symbol des zivilen Ungehorsams geworden

Hamburg. Wer gegen etwas protestieren möchte, kann sich natürlich der nächstbesten Demonstration anschließen und hoffen, dass keine gewaltbereiten Spaßtouristen dabei sind. Viel eleganter ist es allerdings, sich der Satire als Protestmittel zu bedienen. Weil sie subversiv hinterfragt und grotesk überspitzt, ist sie eigentlich immer friedlich und manchmal sogar erfolgreich.

Glorreiche Beispiele werden gerade in den drei Hamburger Gefahrengebieten aufgeführt. Seit Tagen demonstriert dort die überwiegende Masse, wie man mit ironischer Verzerrung und absurder Übertreibung Herzen gewinnt. Allen voran die Klobürstenbewegung, die zum Symbol des Widerstandes gegen verdachtsunabhängige Personenkontrollen geworden ist.

Auslöser war ein Beitrag über das Gefahrengebiet im ARD-„Nachtmagazin“, in dem einem jungen Mann bei einer Polizeikontrolle seine mitgebrachte Klobürste aus der Hose gezogen wurde.

Im Internet verbreitete sich das Bild des Polizisten mit konfiszierter Bürste rasend schnell, etablierte Medien berichteten – die WC-Bürste als Symbol des zivilen Ungehorsams war geboren. Marketingexperten sprechen von einer viralen Verbreitung. Seither gehört die Bürste zur Grundausstattung der Gefahrengebietskritiker, im Internet kursieren montierte Klobürstenvariationen auf Totenkopfflaggen, im Hamburg-Wappen oder in der Hand von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Die Masse skandiert bei friedlichen Demonstrationen wie am Sonnabend auf dem Paulinenplatz nicht mehr hämisch „Hub-, Hub-, Hubschraubereinsatz!“, sondern „Klo, Klo, Klobürsteneinsatz!“.

Bei dauerhafter Abwesenheit von Gewalt könnte St. Pauli mit dieser Protestform zeigen, dass der Stadtteil nicht nur der Ort ist, an dem Polizisten mit zerbrochenen Gehwegplatten verletzt werden. Vielmehr könnte die Legende vom Hort der Bunten, Unangepassten und Kreativen wiedergeboren werden. Zumal sich Anwohner des Viertels schon zuvor in Satire gerettet hatten, um mögliche Polizeikontrollen ad absurdum zu führen. Es wurden Zündschnüre an mitgeführtem Obst und Gemüse befestigt, Säckchen und Gläschen mit verdächtigen Küchenkräutern befüllt, weiße harmlose Substanzen auf offener Straße gegen Geldscheine getauscht und Schilder mit der fatalistischen Ansage „Welcome to the dangerzone“ gebastelt. Friedliche Provokationen. Wie auch die Bonusstempelkarten, mit denen Besitzern nach der zehnten Polizeikontrolle einen kostenlosen Kaffee in der nächsten Wache bekommen sollen. Natürlich gaga, aber gut.

Klar, dass bei solchen Gelegenheiten die Satirepartei „Die Partei“ nicht fehlen darf. „Dangerzone ist unser zweiter Vorname“, heißt es etwa auf der Facebook-Seite. Am Sonnabend wurde in Ottensen, am Rand des Gefahrengebiets, ein Parteistand als „grauer Block der extremen Mitte“ aufgebaut. Dort wurde über die Möglichkeiten eines Gefahrengebiets gesprochen. Das Einmauern wurde als Lösung ernsthaft in Erwägung gezogen.

Der gewaltfreie, kreative Protest hatte auf St. Pauli aber auch in einer Radtour mit mehreren Hundert Teilnehmern seine Entsprechung gefunden, am Freitag bekämpften sich dagegen Hunderte Menschen friedlich bei einer Kissenschlacht auf der Reeperbahn. Dem Charme der Idee „Federn statt Böller“ konnten sich auch Familien mit Kindern nur schwer entziehen. Hinterher glich der Spielbudenplatz einer Schneelandschaft. Kreativer Protest, der die Masse erreicht – und nicht viel Federlesen macht.

Eher der Internetgemeinde vorbehalten bleibt das neue Spiel im Viertel: Danger Zone. Bei in die Wirklichkeit übertragenen Spaziergängen durch die Gefahrenzonen erhält die meisten Punkte, wer die häufigsten Polizeikontrollen provoziert. Auffällige, also dunkle Kleidung, ins Gesicht gezogene Schals oder das Mitführen von verdächtigen Gegenständen seien beim Punktesammeln hilfreich. Die Zone erreichen gäbe fünf Punkte, ein Platzverweis 15 Punkte, auf die Wache mitgenommen werden 20 Punkte.

Die Polizei könne über die Klobürsten zwar lächeln, finde sie aber nicht witzig

Polizeisprecher Mirko Streiber erklärte gegenüber der ARD, er könne über den protestgewordenen Ideenreichtum im Allgemeinen und die Klobürstenoffensive im Besonderen zwar lächeln. Witzig fände er sie aber nicht. Es gehe in den nunmehr drei Gefahrengebieten schließlich um Leib und Leben von Unbeteiligten und Polizisten. Da müsse man sachlich bleiben. Denn die hässliche Fratze der angespannten Situation zeigt sich – friedlicher Protest hin, Satire darf alles her – tatsächlich schneller als man Gefahrengebiet sagen kann. In der Nacht zu Sonnabend sind wieder Menschen bei Auseinandersetzungen auf St. Pauli verletzt worden.

Ungeachtet dessen treibt der kreative, friedliche Protest wohl noch so lange Blüten wie es die Gefahrengebiete gibt. Ob Kissenschlacht, Lärm oder Gurkenböller – erlaubt ist, was gewaltfrei ist. Bis auf Weiteres gilt allerdings die Klobürste als Mittel zum Zweck, die bestehenden Verhältnisse ironisch zu dekonstruieren. Sie ist die humorvolle Karikatur der gefühlten Ungerechtigkeit. Oder, wie es die Wochenzeitung „Der Freitag“ formulierte: Es könne kein besseres Symbol dafür geben, dass Hamburgs Polizei mit dem Gefahrengebiet ins Klo gegriffen hat. Die Klobürste entwickele sich zum Zepter des demokratischen Souveräns.

Der Souverän ist das Volk. Und er benutzt nun eben ganz ungeniert WC-Bürsten.