Gefilmt werden wir eigentlich ständig: in U- und S-Bahnen, in Bussen und an Haltestellen, auf Bahnhöfen und in Parkhäusern, in Supermärkten und Einkaufscentern, in Fußballstadien und Gerichten, an Flughäfen und an Tankstellen, an Bankautomaten sowieso und an noch fast unzähligen anderen Orten und Plätzen. Offiziell gibt es in Hamburg rund 10.000 registrierte Kameras sowie viele weitere in Einkaufsläden, Restaurants, Büros oder Privathaushalten, die nicht meldungspflichtig sind. Konservativ geschätzt kommt auf 150Einwohner unserer Stadt eine Überwachungskamera. Das hört sich viel an, relativiert sich aber im Vergleich: In London wird beispielsweise jeder Elfte auf Schritt und Tritt begleitet, schätzungsweise 300-mal pro Tag wird man über die gesamte Stadt hinweg gefilmt. Mit insgesamt über sechs Millionen Kameras bleibt in der Heimat von George Orwell nur wenig privat.

Die gesetzliche Grundlage für Videoüberwachung ist in Deutschland nicht ganz einfach zu durchschauen, da sie nicht auf Bundesebene festgelegt wird, sondern durch die Polizeigesetze der Länder geregelt ist. Auf der einen Seite haben wir die Rechte eines jeden Bürgers, die gewahrt werden müssen: vom Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung, über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bis hin zum Recht am eigenen Bild.

Videoüberwachung gilt als Instrument, um Verbrechen zu verhindern

Auf der anderen Seite gilt es aber, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten bzw. zu verbessern. In fast allen Bundesländern heißt es laut Polizei- und Datenschutzrecht sinngemäß: „Zur Gefahrenabwehr und Prävention ist sowohl polizeiliche als auch private Videoüberwachung öffentlicher Plätze und Räume erlaubt.“ Videoüberwachung wird somit als ein praktikables Instrument angesehen, um Verbrechen zu verhindern, Gefahrenbrennpunkte zu entschärfen, potenziell Kriminelle abzuschrecken sowie die Ermittlung von Straftätern zu beschleunigen, zu unterstützen und zu vereinfachen. Dies hört sich alles zuerst einmal richtig und logisch an. Aber könnten diese Argumente auch nur auf den ersten Blick stichhaltig sein? Verlagern sich Einbrüche und Diebstähle, Gewalt und Beschädigungen nicht vielleicht nur aus den überwachten, in die nicht überwachten Viertel der Stadt? Dann würden die Kameras nicht die Kriminalitätsrate verringern, sondern lediglich zu einer Verlagerung der Kriminalität führen.

Hamburger mit Hochschulabschluss sehen die Überwachung skeptischer

Wie aber stehen die Hamburger zu diesem Thema? Fast jeder zweite Bürger ist für eine Überwachung, bzw. ist dieser gegenüber positiv eingestellt und hat die Hoffnung, dass so einzelne Personen schneller und besser identifizierbar sind. Bei den Befürwortern sind die älteren Mitbürger deutlich überrepräsentiert. Auffällig ist zudem, dass der Bildungsgrad eine entscheidende Rolle bei der persönlichen Sichtweise spielt.

So sind mehr als doppelt so viele formal weniger gebildete Hamburger für eine Videoüberwachung als Bürger mit einem Hochschulabschluss. Ein Erklärungsansatz ist hierfür sicherlich das unterschiedliche Wohn- und Lebensumfeld. Durch die noch immer gültige Gleichung „niedrige Bildung gleich niedriges Einkommen“ zieht es diese Hamburger in bestimmte Wohnbereiche der Stadt, die nicht selten als soziale Brennpunkte mit einer hohen Kriminalitätsrate gelten. Hier ist der Wunsch nach mehr (zumindest gefühlter) Sicherheit daher nachvollziehbar.

Die Gegner eines zunehmenden Überwachungsstaats – noch immer bilden sie die Mehrheit in Hamburg – wollen nicht unter Generalverdacht stehen und wollen keine Statistenrolle in einem ewigen Polizeifilm. Für sie bleibt die individuelle Freiheit wichtiger als jedes Sicherheitsdenken.

Wenn jeder Zivilcourage zeigt, dann werden die Straßen deutlich sicherer

Was meine persönliche Meinung dazu ist? Der Wunsch nach mehr staatlicher Überwachung ist innerhalb der Bevölkerung seit den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 kontinuierlich gestiegen. Das muss man schlichtweg akzeptieren. Und auch ich bin für die Überwachung von neuralgischen Punkten. Gleichwohl möchte ich mich auch zukünftig unbeobachtet und frei bewegen können.

In erster Linie bin ich für eine verstärkte Konzentration auf Strategien zur Kriminalitätsverringerung durch Aufklärung und für die Verbesserung der Bildungschancen und Lebensperspektiven für potenzielle Straftäter, um nur zwei Ansätze zu nennen. Ich persönlich würde mir zudem wünschen, dass wir zukünftig wieder mehr aufeinander aufpassen und uns nicht nur auf die Überwachung durch Kameras verlassen. Wenn jeder Zivilcourage zeigt und soziale Verantwortung übernimmt, werden unsere Straßen deutlich sicherer.

Prof. Dr. Ulrich Reinhardt ist Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen