In den 1950er- und 1960er-Jahren dokumentiert der Fotograf Günther Krüger Hamburg aus der Luft. Seine Fotos ermöglichen nun einen faszinierenden Vergleich der städtebaulichen Situation damals und heute.

Günther Krüger ist 34 Jahre alt, als er im Frühjahr 1953 zum ersten Mal in Fuhlsbüttel einen Hubschrauber besteigt und Kurs auf die Innenstadt nimmt. Es ist ein klarer Tag mit fantastischer Sicht, aber das Bild, das sich dem Fotografen bietet, macht ihm das ganze Ausmaß der Zerstörung klar. Acht Jahre nach Kriegsende ist Hamburg noch immer eine Ruinenstadt. Viele Gebäude liegen in Trümmern, und wo die Ruinen schon gesprengt worden sind, wirkt die Stadt streckenweise wie leer geräumt. Aber Krüger entdeckt auch Kräne und Baustellen, sieht neue Häuser wachsen, breite Straßen mit noch wenig Verkehr, dafür aber wieder Schiffe im Hafen. Auf Wunsch des Fotografen fliegt der Helikopter extrem niedrig, dafür musste eine Sondergenehmigung eingeholt werden. Mit seiner Mittelformatkamera gelingen Krüger gestochen scharfe Schwarz-Weiß-Bilder, die Hamburgs Neuanfang nach der größten Katastrophe in der Geschichte der Stadt dokumentieren.

Als Wehrmachtssoldat hatte Krüger gelernt, professionell zu fotografieren

Mehr als 60 Jahre später hält der Abendblatt-Fotograf Jürgen Joost einige dieser Fotos in der Hand. Die Fotokuratorin Erma Stärz hat sie ihm gezeigt und erzählt, dass man diese Bilder im Kunstantiquariat Joachim Lührs an der Michaelisbrücke einzeln kaufen kann. Oder in ganzen Mappen mit jeweils zwölf Motiven, die damals vom Abendblatt produziert und unter dem Titel „So schön ist unser Hamburg“ verkauft worden sind. „Von der Qualität dieser Luftbilder und ihren Motiven war ich sofort begeistert. Sie sind so scharf, dass man jedes Detail erkennen und mit den Augen durch die Stadt spazieren kann“, sagt Jürgen Joost, der darauf nach dem Fotografen zu recherchieren beginnt. Unbekannt ist er ihm nicht, denn als Angestellter bei F.C. Gundlachs Fotoservicefirma PPS hat Joost den Fotografen einst selbst bedient. So geht er in Archive, spricht mit älteren Kollegen, durchforstet Telefonbücher und stellt schnell fest, dass Günther Krüger, der später vom Abendblatt zur „Hörzu“ wechselte, am 26. März 2003 im Alter von 83 Jahren gestorben ist. Auch seine Witwe ist nicht mehr am Leben, dafür erreicht Joost schließlich den Sohn, der ihm mehr über seinen Vater erzählen kann.

Schon als 18-Jähriger hatte sich der gebürtige Elmshorner Günther Krüger seine erste Leica gekauft. Professionelles Fotografieren lernte er als junger Offizier der Wehrmacht. Als er aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, bewarb er sich beim Abendblatt, wo er unter 300 Mitbewerbern von Verleger Axel Springer persönlich ausgesucht und als erster Abendblatt-Fotograf eingestellt wurde. Peter Tamm, der damals als Schifffahrtsredakteur beim Hamburger Abendblatt tätig war, erinnert sich gut an Krüger. „Er war ein vorzüglicher Fotograf und ein sehr angenehmer und absolut zuverlässiger Kollege. Ich bin oft mit ihm im Hafen unterwegs gewesen, zum Beispiel bei Taufen von Schiffen, was damals für das Abendblatt immer ein großes Thema war“, sagt Peter Tamm.

Krüger fotografierte für das redaktionelle Tagesgeschäft, fuhr aber auch zu großen Ereignissen, zum Beispiel zu den Olympischen Spielen 1964 nach Tokio, wo das Abendblatt damals mit einer eigenen „Olympia-Redaktion“ vor Ort war. Er fotografierte in Flüchtlingslagern an der innerdeutschen Grenze, bei Besuchen von Staatsoberhäuptern in Hamburg, aber auch bei Reisen nach New York, Rom, Paris oder London. Auch international machte er sich einen Namen, so wählte ihn die Royal Photographic Society of Great Britain zum Mitglied, und 1957 wurde er beim „World Press Photo“-Wettbewerb in der Kategorie News Photos mit dem dritten Preis ausgezeichnet.

Die Sturmflut durfte er aus Springers Privathubschrauber heraus aufnehmen

Als Hamburg im Februar 1962 von einer verheerenden Flut heimgesucht wurde, stellte Axel Springer dem Abendblatt-Fotografen seinen privaten Hubschrauber zur Verfügung, damit er die Katastrophe aus der Luft dokumentieren konnte. Zu dieser Zeit hatte er sich als Luftbildfotograf schon längst einen Namen gemacht. Immer wieder war er, oft mit Springers Hubschrauber, über der Stadt unterwegs und dokumentierte den Wiederaufbau in den 1950er- und 1960er-Jahren, meist in Schwarz-Weiß, manchmal aber auch mit farbigen Bildern. Obwohl das Spektrum seiner Motive groß war, galt der Abendblatt-Fotograf im Kollegenkreis bald als „Luftbild-Krüger“.

In den letzten Jahren gelang es Jürgen Joost, nach und nach ein großes Konvolut von Krügers Luftbildern zu erwerben. Er vergrößerte sie, zeigte sie Fotografenkollegen und auch der Abendblatt-Chefredaktion. Die Begeisterung über den ästhetischen, historischen und dokumentarischen Wert der Bilder war so groß, dass schließlich die Idee entstand, die von Günther Krüger gewählten Motive erneut zu fotografieren, sodass sich direkte Vergleiche ziehen lassen zwischen der Situation der Nachkriegszeit und der heutigen Stadt.

Bei zwei ausgedehnten Hubschrauberflügen begaben sich die Abendblatt-Fotografen Marcelo Hernandez und Roland Magunia auf Krügers Spuren und bemühten sich, möglichst exakt die Perspektiven zu wiederholen, die ihr Vorgänger vor einem halben Jahrhundert aufgenommen hatte. Dabei gab es allerdings einige Schwierigkeiten zu überwinden, denn um bei seinen Fotoflügen möglichst dicht am Geschehen sein zu können, ließ Krüger sich immer wieder Ausnahmegenehmigungen ausstellen und flog manchmal nicht viel mehr als 100 Meter über Hamburgs Dächern. Daher wirken manche seiner Bilder kaum wie eine Vogelschau, sondern eher wie aus der Kirchturmperspektive aufgenommen. Da es oft eher Schrägsichten als Draufsichten sind, kann man auch Fassaden erkennen. Die Aufnahmen wirken weniger abstrakt, aber emotionaler, weil sie dichter an der Erlebnisperspektive des Betrachters sind.

Schon aus Sicherheitsgründen wäre so etwas heute gar nicht mehr denkbar. Die genehmigte Höhe bei Fotoflügen beträgt üblicherweise 1500 Fuß (457 Meter), nur in Ausnahmefällen werden auch mal 1000 Fuß genehmigt. Anders als Krüger waren Hernandez und Magunia daher auf Teleobjektive angewiesen und konnten nicht in jedem Fall die ursprüngliche Perspektive exakt wiederholen. Dennoch ist die Gegenüberstellung der historischen und der aktuellen Hamburger Luftbilder ungemein interessant und reizvoll.

Von diesem Montag an druckt das Hamburger Abendblatt die Bildpaare in 20 Folgen als Serie. Wer die Bilder, die mehr als ein halbes Jahrhundert Stadtentwicklung dokumentieren, in großem Format und in exzellenter Wiedergabe betrachten möchte, sollte die Axel-Springer-Passage besuchen. Dort ist noch bis zum 7. Februar die Ausstellung „Hamburg, wie hast du dich verändert?“ zu sehen.