Hartmut Wegener, bis 2009 für den Bau der Elbphilharmonie verantwortlich, will nicht als Alleinschuldiger dastehen. Im Interview erhebt er Vorwürfe gegen Ole von Beust.

Hamburg. Hartmut Wegener gilt vielen als einer der Hauptschuldigen der Verzögerungen und Mehrkosten bei der Elbphilharmonie. Im Abendblatt-Interview erhebt er Vorwürfe gegen Ole von Beust.

Hamburger Abendblatt: Herr Wegener, was ist falsch gelaufen beim Bau der Elbphilharmonie?

Hartmut Wegener: Es war falsch, am Anfang zu sagen, dieses Projekt kostet den Steuerzahler keinen Pfennig, weil der Konzertsaal durch die Mantelbebauung von Hotel und Wohnungen finanziert werden könne. Die Erwartungshaltung in der Stadt aufgrund der Skizze mit der wogenden Glasfassade auf dem alten Speicher war riesengroß. Und jede realistische Kostenschätzung, die dann folgte, wurde nun natürlich sofort als Kostenexplosion tituliert. Auch der später im Wettbewerb erarbeitete Angebotspreis von Hochtief von 241 Millionen Euro wurde als Kostenexplosion bezeichnet, obwohl alle wussten, dass das ein sehr niedriger Baupreis war.

Aber unter ihrer Regie wurde eine Machbarkeitsstudie erstellt mit Baukosten von 186 Millionen Euro, während die Architekten von knapp 200 Millionen Euro sprachen. Schon da wurden die Kosten immer möglichst niedrig gehalten. Warum?

Wegener: Die Frage müssen Sie an den Senat stellen. Das ist eine Frage der politischen Kommunikation.

Wir fragen aber Sie.

Wegener: Aber der Bürgermeister Ole von Beust hat immer gesagt, die Elbphilharmonie darf den Steuerzahler nicht mehr als 77 Millionen Euro kosten. Und die Machbarkeitsstudie gründete auf einem Vorentwurf, der sich ja noch einmal ganz massiv verändert hat.

Plötzlich bestand die Glasfassade aus geschwungenen Fenstern...

Wegener: ...das war aber nicht meine Entscheidung, obwohl man mir ja vieles zuschreibt.

Die Kosten dafür wurden von den Architekten auf 28 Millionen Euro geschätzt, der Markt erbrachte dann aber ein reales Angebot von 58 Millionen Euro für die Glasfassade.

Wegener: Und der Markt ist immer entscheidend.

Die laufenden Änderungen am Bauwerk, wer auch immer sie verursacht haben mag, waren gravierend. Aber der Öffentlichkeit wurde das nie mitgeteilt – warum nicht?

Wegener: Das ist unrichtig: Die großen Änderungen an der Fassade und im Saal wurden von den Architekten in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in der Laeiszhalle vorgestellt.

Es gab aber eine Expertenanhörung im Rathaus, bei der Fachleute wie der Hamburger Architekt Professor Volkwin Marg davor gewarnt haben, sich das Konzerthaus schönzurechnen. Sie haben damals geantwortet: „Herr Marg, da begeben Sie sich aber auf dünnes Eis.“ Dabei wollte er Ihnen nur helfen und quasi eine Brücke bauen für spätere Kostensteigerungen.

Wegener: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Ich würde heute ein sehr viel höheres Volumen an Risikobewertung ansetzen. Die Risikopositionen sind nicht hinreichend ausgestaltet gewesen. Aber aus Senatssicht mussten die Kosten niedrig gehalten werden, und ich war derjenige, der das umzusetzen hatte. Mein Job war, aus einer Idee ein reales Gebäude zu machen. Und den habe ich erfolgreich ausgeführt.

Zu einem sehr hohen Preis – aus 77 Millionen sind 789 Millionen Euro für den Steuerzahler geworden.

Wegener: Diese Kostenexplosion können Sie mir nun wirklich nicht anlasten. Die liegt weit nach meiner Zeit. Ole von Beust hat immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Preisdiskussion die Zustimmung für die Elbphilharmonie in der Öffentlichkeit nicht gefährdet. Das war die Linie, und die resultierte aus der anfänglichen Schieflage.

War das auch Ihre Linie?

Wegener: Ich hätte es lieber gehabt, wenn es wie beim Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gelaufen wäre. Das hat 20 Prozent weniger Bauvolumen als die Elbphilharmonie. Aber in Berlin wurde von Anfang an gesagt, das Projekt kostet rund 600 Millionen Euro. Das wäre für mich doch ein Befreiungsschlag der Extraklasse gewesen. Mir wäre das sehr lieb gewesen. Aber die Wahrheit ist: Der Senat wollte den niedrigen Preis – und ich musste das umsetzen.

Sie haben es aber zugelassen, dass das Projekt Elbphilharmonie trotz unfertiger Planung ausgeschrieben worden ist. Als mit Hochtief nur noch ein Bieter übrig geblieben ist, hat Ihre eigene Vergabeexpertin Ute Jasper dafür plädiert, den Wettbewerb noch einmal „aufzumachen“ und neu auszuschreiben. Warum haben Sie nicht auf sie gehört?

Wegener: Wir haben das anders bewertet. Und es juristisch so eingeschätzt, dass es keinen anderen gangbaren Weg gab.

Sie mussten auch deswegen die Kosten des letzten Hochtief-Angebots von 274 auf 241 Millionen Euro reduzieren, weil der Senat plötzlich entschieden hat, das Hotel nicht von einem privaten Investor bauen zu lassen, sondern es selbst zu errichten. Als Grundlage für diese Entscheidung diente ein Gutachten. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss vermutet, dass dieses Gutachten durch handschriftliche Anmerkungen, „bei der es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Schrift Herrn Wegeners“ handelt, verändert worden ist. Stimmt das?

Wegener: Das ist ein unglaublicher Vorgang. Das sind gravierende Tatbestände, und es ist ein Unding, wenn in dem Entwurf, der mir nicht vorliegt, stehen soll, dass es sich bei der Handschrift höchstwahrscheinlich um meine handelt.

Also können Sie ausschließen, dass es sich um Ihre Handschrift handelt.

Wegener: Mir ist der Vorgang nicht bekannt. Was heißt „mit hoher Wahrscheinlichkeit“? Warum legt man mir das nicht vor? Diese Aufgabe hat gar nicht in meinem Bereich gelegen. Alle Finanzierungsfragen inklusive des Gutachtens über das Hotel lagen im Zuständigkeitsbereich meines Geschäftsführers Dieter Peters.

Wer hat denn entschieden, dass die Stadt als Investor das Hotel baut?

Wegener: Das hat Ole von Beust entschieden, wie so viele andere Dinge auch, von denen er nichts mehr weiß. Da kann er sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Alle wichtigen Weichenstellungen des Projekts hat der Senat unter Leitung des Ersten Bürgermeisters entschieden. Es ist dokumentiert, dass ich ihn über alle wesentlichen Probleme dieses Projekts informiert habe. Es gab 20 Treffen mit dem Bürgermeister. Staatsräte und Fachsenatoren waren involviert. Und es gab zwei Aufsichtsräte, die unsere Arbeit kontrolliert haben. Ein externer Projektsteuerer hat über die Kostensituation und die Risiken permanent berichtet. Ein Teil der Legende ist, der Wegener hat alles alleine gemacht, und alle anderen wussten von nichts. Ich habe immer korrekt berichtet, das haben mir die Wirtschaftsprüfer in einer Sonderprüfung testiert.

Wurden denn die Öffentlichkeit und die Bürgerschaft durch den Senat und seine Drucksachen immer korrekt informiert?

Wegener: Dazu kann ich nur sagen, dass in der Drucksache über den Nachtrag 4 eine ganze Reihe falscher und irreführender Aussagen gemacht worden sind, wohl um das schlechte Ergebnis zu legitimieren. Da wurden auch Legenden gebildet.

Die Bürgerschaft wurde also belogen?

Wegener: Ja, manche Dinge wie zum Beispiel die Aussage, dass die Verhandlungen zu Nachtrag 3 gescheitert sein sollen, sind glatt gelogen. Das habe ich dem Bürgermeister Anfang 2009 auch geschrieben und gebeten, die irreführenden Angaben zu korrigieren. Und das muss aufgeklärt werden. Das ist bisher nicht geschehen.

Ihr Projektleiter, Heribert Leutner, hat vor einem Vertragsabschluss gewarnt, weil die Terminpläne zwischen den Architekten und Hochtief nicht aufeinander abgestimmt waren.

Wegener: Mit Warnungen wird kein Haus gebaut. Alle machen sich jetzt einen „weißen Fuß“. Der Projektleiter Leutner war für den Vertrag verantwortlich. Es war sein Job, die Terminpläne zu synchronisieren. Dafür hatte er dann noch drei Monate Zeit. Aber er hat es auch bis zum März 2007 nicht hinbekommen. Dann ist er gegangen.

Die nicht abgestimmten Pläne waren jedenfalls ein gewaltiger Kostentreiber.

Wegener: Das ist nur zum Teil richtig. Es wurde ja nach dem mit Hochtief vereinbarten Bauzeitenplan gebaut. Die wirkliche Kostensteigerung ist durch den späteren Bauverzug und den Baustillstand im Jahr 2011 verursacht worden. Zum Zeitpunkt meines Ausscheidens jedenfalls wurde dreischichtig rund um die Uhr gebaut. Ich habe aber mit dem anderthalbjährigen Baustillstand, den ich für einen riesigen Skandal halte, nichts zu tun.

Das sagt auch niemand. Aber die unfertige Planung war ein großes Einfallstor für spätere Mehrkostenforderungen.

Wegener: Ja, das war sicherlich kostentreibend, aber viel entscheidender war der Bauverzug. Und der ist auch deshalb entstanden, weil die Architekten ständig etwas geändert haben. Und die Hochtief-Leute, die die Architekten für Traumtänzer und Wolkenschieber hielten, haben dafür permanent Mehrkosten angemeldet. Da stießen Welten aufeinander.

Aber es waren doch Ihre Architekten. Sie waren der Bauherr.

Wegener: Das war ja mein Problem. Ich konnte die illoyalen Architekten nicht in den Griff bekommen. Die hielten sich für Weltarchitekten und uns für einen kleinen Bauherrn. Am Ende habe ich die Forderung gestellt: Wir trennen uns von diesen Architekten. Und Pierre de Meuron hat gefordert, dass ich gehen sollte. Das Ergebnis war: Da habe ich mich überhoben. Und wahr ist auch: Wir alle haben die Komplexität des Projekts unterschätzt.