Sie war extrem agressiv und schlecht in der Schule. Damals, mit 13. Heute ist die 17-Jährige ausgeglichen – dank der „Arche“ und eines Pferdes.

Jenfeld. Lisa, 17, zögert. Sie weiß nicht so recht, ob sie ihre Geschichte erzählen soll. Das Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren und den dunklen Augen sitzt in einem Jenfelder Jugendhaus. Hier, in der Arche, ist sie oft. Heute trägt Lisa einen warmen Pullover und mehrere Bändchen um ihr rechtes Handgelenk. Die Lederjacke hat sie zu Hause gelassen. Dort, wo ein Plakat von Eminem in ihrem Zimmer hängt. Und die Mutter auf sie wartet. Das war nicht immer so.

Damit beginnt die Geschichte. Von Lisa Johanson, die in 18 Monaten Abitur machen will. Von Salsa, einem Reitpferd aus Oststeinbek. Von Benni, einem Mitarbeiter der Arche, dem christlichen Kinder- und Jugendwerk an der Jenfelder Friedenskirche. Und von ihrer Mutter, die vor ein paar Jahren schwere Alkoholprobleme hatte und heute trocken ist.

Lisa sitzt still auf einem Stuhl. „Ich hege generell Abneigung gegenüber Fremden“, sagt sie. Es dauert eine Weile, bis sie dann doch etwas erzählt. Scheibchenweise.

Denn es ist nicht immer nur etwas Schönes, was sie gleich sagen wird. Ihre Augen schauen nach rechts. Dort sitzt neben ihr Tobias Lucht, 34, Hamburger Standortleiter der Arche. Er kann sich noch genau an die Weihnachtszeit vor vier Jahren erinnern. „Lisa“, sagt er, „hat mich richtig zusammengestaucht. Ich habe wohl ein falsches Wort gesagt.“

Was denn?

Die 17-Jährige kann sich nicht mehr genau daran erinnern. Wie überhaupt alles, was sie in der Pubertät erlebt und angestellt hat, ein bisschen im Nebel verschwunden ist. „Weiß nicht. Kann ich nicht sagen.“

Kann sie dann doch. Dass sie aggressiv war und andere geschlagen hat. Leute, die sie kannte. „Ein Blick genügte, und ich habe denen eine geknallt. Auch bei einem nichtigen Anlass.“ Am liebsten hing sie draußen ab. Bei Wind und Wetter. Die Clique traf sich im Stadtteil Jenfeld, der ein „sozialer Brennpunkt“ genannt wird.

„Meine Mutter hat ihre Pflichten nicht wahrgenommen. Sie hat getrunken. Sie war unberechenbar.“ Oft gab es Streit um Luna, die Labradorhündin. Lisa durfte nicht mit Luna auf die Straße gehen. Lisa durfte sich nicht mit ihren Freunden treffen. Sagt sie. Mehr nicht. Lisa wollte einfach nicht nach Hause kommen.

Es mag eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung gewesen sein, die auch das Weihnachtsfest alle Jahre wieder belastete. Wäre da nicht die Oma gewesen, die beide am Heiligen Abend zu Kartoffelsalat und Würstchen einlud und den Mantel des Familienfriedens über den handfesten Konflikt hängte.

Dass Lisa damals eine schlechte Schülerin war, wen wundert es. „Ich war faul, unmotiviert, desinteressiert. Habe den Unterricht gestört.“ Die Quittung auf den Zeugnissen bis zur neunten Klasse: fünf Fünfen und der Rest die Noten 4. Physik mochte sie gar nicht, Mathe und Sport auch nicht.

Bis sie den Tipp von einer Freundin bekam. Da gibt es die Arche. Dort ist es schöner, als draußen abzuhängen. Dort gibt es kostenloses Essen, Internetanschluss, coole Leute. Die sind christlich, ziemlich human. Sie kümmern sich um die Kinder von Jenfeld, seit dort die kleine Jessica verhungert ist.

Lisa ließ sich rasch überzeugen, ging mit. Und bekam eines Tages erst mal Hausverbot. „Ja, so war das“, sagt sie und schaut wieder zu Tobias Lucht, der neben ihr sitzt. Erzähl doch das, wenn du magst, mit dem Reiten, ermuntert er sie.

Es dauert nicht lange, dann sagt Lisa einen Satz, der die erste große Wende in ihrem Leben markiert. „Ich habe mit Benni einen Deal macht.“

Benjamin „Benni“ Nöhre, 34, ist Mitarbeiter des christlichen Kinder- und Jugendwerks, das seit 2006 täglich bis zu 100 Kinder im Alter von vier bis 18 Jahren kostenlos in Jenfeld betreut. Seit 2007 sogar in einem extra dafür errichteten Neubau auf dem Gelände der Friedenskirche.

Benni Nöhre hat oft mit Lisa gesprochen, die bald Vertrauen zu ihm fasste. „Benni ist meine Vertrauensperson“, sagt sie – spricht aber dieses Wort ein bisschen distanziert aus.

Schließlich geht es um eine große Sache. Einen Deal.

Ein Pferd veränderte Lisas Leben grundlegend – bis heute

Benni hat von ihr verlangt, dass sie sich in der Schule deutlich verbessert. Dafür bekommt sie Reitunterricht. Kostenlos. Versprach er. Ein Arche-Sponsor unterstützt dieses Therapieprojekt. Wie überhaupt das ganze christliche Werk zu 100 Prozent aus Spenden finanziert wird. „Nur so“, sagt Tobias Lucht, „können wir den Kindern und Jugendlichen nachhaltig zur Seite stehen.“

Lisa liebt Pferde, seit sie klein ist. Früher, als sie noch nicht so aggressiv reagierte, war sie schon einmal geritten. Es machte ihr Freude.

Lisa nahm den Deal an. Und versprach, bessere Noten in der Schule zu bekommen. Denn was sie verspricht, das hält sie. Jede Woche fährt sie nun seit gut eineinhalb Jahren in eine Reitschule nach Oststeinbek. Dort bekommt sie Reitunterricht und kümmert sich auch um das Pferd Salsa, dem die Hufe sauber gemacht werden müssen. Von ihr.

Seit diesem therapeutischen Reiten ist Lisas Leben wieder ins Lot gekommen. Doch nicht nur das: Es steckt voller Wunder und Überraschungen. Aggressiv reagiert sie längst nicht mehr. Sie denkt lieber nach. Lisa hat in diesem Jahr die Realschule mit der Note 2,1 absolviert. Jetzt steuert sie auf das Abi zu. „Ich weiß allerdings noch nicht, was ich danach machen will.“

Heiligabend werden Mutter und Tochter gemeinsam in der Jenfelder Kirche den Gottesdienst besuchen. Schließlich glauben beide an Gott. Danach geht’s zur Oma und zum Kartoffelsalat. Es wird endlich ein friedliches Fest für Lisa und ihre Mutter. „Weihnachten ist jetzt viel entspannter“, sagt Lisa. Und freut sich, wieder nach Hause zu gehen.