Abendblatt-Dossier dokumentiert Fehler und Widersprüche bei der jüngsten Volkszählung

Hamburg. Die Kritik an der jüngsten Volkszählung nimmt an Fahrt auf. Nachdem das Abendblatt in einem Vier-Seiten-Dossier Widersprüche und Unstimmigkeiten im Verfahren dokumentiert hat, fordern Hamburger Politiker eine juristische Überprüfung des Ergebnisses. Die Hansestadt hat laut Zensus, einer hochgerechneten Stichprobe, 83.000 Bürger verloren. Zum Stichtag 9. Mai 2011 lebten danach 1,707 Millionen Einwohner in Hamburg. Bis dahin galt die offizielle Zahl von 1,790 Hamburgern. Eine Differenz von 4,6 Prozent. Das hat vielfältige Auswirkungen, unter anderem muss die Stadt in den nächsten Millionen Euro in den Länderfinanzausgleich zahlen. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte angekündigt, alle Möglichkeiten zu prüfen, um sich gegen die Festsetzung der neuen Einwohnerzahl anzugehen. Dazu gehöre auch eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht.

„Nach Lektüre des Abendblatt-Dossiers ist für mich offensichtlich, dass beim Zensus 2011 schwere Fehler passiert sind“, sagte die Vorsitzende der FDP-Fraktion, Katja Suding. Im Zentrum der Kritik stehen die unterschiedlichen Methoden, mit denen die Einwohnerzahlen ermittelt wurden. So wurde in Hamburg nur jeder 29. Bürger befragt und das Ergebnis hochgerechnet. Experten zufolge verstößt das Verfahren gegen das Grundgesetz. Denn für kleinere Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern waren die staatlichen Register die Datengrundlage. Im Ergebnis schnitten sie deutlich besser ab. Dazu kommt: Das Statistische Bundesamt hatte erst auf gezielte Nachfragen angegeben, dass der Qualitätswert für die Stichprobe in den Hamburger Bezirken um bis zu 40 Prozent überschritten worden war. Suding sagte: „Das riecht nach Schlamperei mit weitreichenden Folgen gerade für Hamburg.“ Der Senat sollte nicht zögern, gerichtlich dagegen vorzugehen.

„Zur Belastbarkeit der Methode sind zahlreiche Fragen noch unbeantwortet“, kritisierte auch Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan. Die Ergebnisse in Hamburg widersprächen der erlebten Realität, zum Beispiel in den Schulen und Kitas der Stadt. „Es ist die logische Konsequenz, dass der Senat nun gegen das Ergebnis klagt.“ Ähnlich äußerte sich Innenexpertin der Linksfraktion, Christiane Schneider. „Wenn wir wirklich 83.000 Hamburger weniger wären, fragt man sich, warum der Druck auf den Wohnungsmarkt weiter so hoch ist“, sagte sie. Wichtig sei, dass die Daten nicht vernichtet werden, bevor die gerichtliche Überprüfung abgeschlossen sei. „Das muss aufgeklärt werden.“

Rückendeckung für den Senat gibt es auch von der SPD-Fraktion. „Es kann nicht sein, dass die Städte die Verlierer sind“, sagte der Vorsitzende Andreas Dressel. „Die Fehler in der Statistik bedeuten große finanzielle Einschnitte. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass jetzt rechtliche Schritte eingeleitet werden sollen.“

Der Finanzexperte der CDU, Roland Heintze, dagegen warnte: „Die Ungenauigkeiten des Zensus 2011 waren von Anfang an allen Beteiligten klar – auch Olaf Scholz in seiner Berliner Regierungszeit.“ Eine 100 Prozent genaue Einwohnerzahl werde es auch bei einer Vollerhebung nicht geben, sie sei zudem bei der deutschen Bevölkerung nicht durchsetzbar. „Ich bezweifele, dass beim Aktionismus des Bürgermeisters etwas rauskommt. Es wäre besser, sich den drängenden Problemen der Stadt zuzuwenden und die Optimierung des Zensus den Experten der Statistikämter zu überlassen.“

Das Abendblatt-Dossier zum Thema lesen sie online abendblatt.de/Zensus2011