Die Klempner Isaac Rafael Bañuls Llacer und Juan Francisco Cuello Santacreu leben und arbeiten seit Oktober in Hamburg. Abendblatt.de präsentiert ihre Geschichte auch im Video.

Diese Deutschen sind schon komisch, sagt Isaac. Machen eine Weihnachtsfeier – im November!

Ein Freitagabend vor einigen Wochen. Isaac Rafael Bañuls Llacer und Juan Francisco Cuello Santacreu sind auf dem Weg zu ihrer Firmen-Weihnachtsfeier. Alle Mitarbeiter der Bauklempnerei „Auf der Hart“ sind eingeladen – auch die beiden Neuen.

Ende September sind die beiden Spanier nach Hamburg gekommen. Zu Hause in der Region Valencia waren beide Klempner arbeitslos – die Euro-Krise und das Platzen der Immobilienblase in Spanien haben sie hierhergebracht. Isaac und Juan haben ihre Familien und Freunde zurückgelassen. Sie konnten kaum Deutsch, als sie hier ankamen. Die deutsche Arbeitsweise auf dem Bau war ihnen fremd. Und Hamburg auch.

Vieles haben sie zum ersten Mal in ihrem Leben gemacht: Juan ist zum ersten Mal mit dem Flugzeug geflogen, er hat zum ersten Mal Spanien verlassen. Auch Isaac war noch nie in Deutschland. Und jetzt eine weitere Premiere: eine deutsche Betriebsweihnachtsfeier.

Firmenchef Frank Körbelin steht am Eingang der Gaststätte und begrüßt die Spanier. Im Sommer hat er sie eingestellt, ein Personalvermittler hatte ihm die Lebensläufe gezeigt. Körbelin sah sich die Bewerbungsfotos an. Er sagt, dass er anhand der Bilder sehen kann, ob Mitarbeiter etwas taugen. Er hat den beiden eine Wohnung in Wilhelmsburg besorgt, wo die beiden jetzt in einer WG leben. Für Körbelin geht es um die Zukunft seiner Firma: Er findet in Deutschland keine qualifizierten Mitarbeiter. Deshalb bemüht er sich so um die Spanier. „Haben Sie sich gut eingelebt?“, fragt er, die Spanier nicken. Eine Kellnerin drückt ihnen einen Begrüßungsdrink in die Hand. Eine klebrige lila Substanz, sie schmeckt nach Pflaume und Zimt. Tapfer saugen Isaac und Juan am Strohhalm.

Zur Feier gibt es einen Berg Fleisch, aus dem ein Feuerwerk sprüht und faucht

Die Spanier nehmen an einem Tisch Platz, an dem Kollegen sitzen, die sie noch nicht kennen. Sie kennen nur ihre Kollegen von der Baustelle Neumühlen. Sie bestellen Bier und blicken sich verstohlen um. Auf der Tafel liegen Tannenzweige und Weihnachtskugeln. Im November.

Vor dem Essen hält Firmenchef Körbelin eine Rede. Er entschuldigt sich bei den Mitarbeitern, weil er in vielen Fällen zu ungeduldig mit ihnen war. Aber der Druck in der Baubranche sei hoch. In Hamburg wird viel gebaut, Körbelin spricht von einem Boom. Davon will er profitieren, doch das hat seinen Preis. „Was da draußen auf den Baustellen abgeht, ist Krieg.“ Er bedankt sich bei den Mitarbeitern für ihren Einsatz. Und kündigt an, dass er im Jahr 2014 jedem 400 Euro zahlen will, der sich an keinem Tag krankmeldet.

Dann spricht er über Isaac und Juan. „Die beiden Herren sind aus Spanien hierhergekommen, weil sie die Nase voll hatten von der Hitze.“ Die Spanier lächeln gequält. Körbelin bedankt sich, dass sie den Schritt gewagt haben. Und er dankt den Kollegen auf der Baustelle, dass sie die Neuen so gut aufgenommen haben. „Die Integration ist nicht abgeschlossen, aber als gelungen zu betrachten.“ Er sagt, dass er hoffe, dass die beiden lange im Unternehmen bleiben. Applaus.

Plötzlich ertönt ein Tusch. Isaac und Juan zucken zusammen. Sie beobachten verstört, wie eine Kellnerin einen riesigen Berg Schweinefleisch in den Saal wuchtet. Aus dem Berg sprüht und faucht ein Tischfeuerwerk. Das Büfett ist eröffnet.

Es gibt Rotkohlsuppe aus Cappuccino-Tassen. Die Substanz schmeckt wie der Begrüßungscocktail, bemerken die Spanier. Juan lädt sich Knödel und Schweinebraten auf den Teller und stochert misstrauisch darin herum. Er isst, aber man merkt ihm an, dass er andere Speisen lieber mag. Frank Körbelin kommt am Tisch vorbei und schwärmt von dem deutschen Essen, das er hat auffahren lassen. Rotkohl. Knödel. Und Schweinebraten. „Mit Kruste!“ Körbelin holt sich noch mal Nachschlag. Juan weiß nicht, was das Wort „Kruste“ bedeutet. Aber er hat dieses harte Zeug, das oben an dem Braten dran war, lieber an den Rand seines Tellers gelegt. Man weiß ja nie. Später sagt er: „Ich finde das Essen gut. Aber das Bier ist besser.“

Die Gaststätte hat eine Bowlingbahn. Nach dem Essen sind Bahnen reserviert. Die Stimmung ist sehr gut, das liegt auch daran, dass Körbelin die Getränke zahlt. Ungläubig bestaunen die beiden Spanier, wie schnell ihre deutschen Kollegen trinken können. Es ist laut auf der Bowlingbahn: Discomusik wummert, es gibt Effekte wie Nebel und Lichtblitze. Wenn Juan und Isaac auf bekannte Kollegen treffen, dann reicht es höchstens zu Unterhaltungen wie: „Alles gut?“ – „Ja!“ Es ist einfach zu laut.

Frank Körbelin kommt noch einmal zu ihnen und redet auf sie ein. Er sagt, dass sie jetzt Teil der Firma seien. Dass er hoffe, dass sie sich nicht ausgeschlossen fühlen. Und dass er froh sei, dass sie da sind. Ob die beiden Spanier es verstanden haben, ist unklar. Klar ist, dass sie ziemlich erschöpft sind und gerne nach Hause wollen. Um 22 Uhr verlassen sie die Weihnachtsfeier. Ihre deutschen Kollegen feiern noch bis tief in die Nacht.

Kurz vor Weihnachten, im Gröninger Brauhaus nahe der Speicherstadt. Juan und Isaac wollten in der Weihnachtszeit unbedingt einmal hierher. Kollegen hatten ihnen von dem Bier erzählt. Von den deutschen Weihnachtsmärkten sind die Spanier nicht so angetan. Vor allem nicht vom Glühwein. Süß sei der und verursache Kopfschmerzen, kritisiert Juan. Im Brauhaus werden sie nicht enttäuscht: Das Bier schmeckt, dazu gibt es den „Brauerschmaus“ mit Spießbraten, Würsten, Kasseler, Speckkartoffelsalat, Krautsalat und Brot.

Isaac erzählt, dass er vor einem Monat einen Durchhänger hatte. Ihn nervte das kalte Wetter in Hamburg, der Regen. Und vor allem das Getrenntsein von seiner Freundin. Vor wenigen Tagen hat sie ihn in Hamburg besucht. Er zeigt Handyfotos: ein lächelndes Paar, im Hintergrund ist ein Gewölbe zu sehen. Dass es das Foyer des Hamburger Rathauses war, das Isaac mit seiner Freundin besichtigte, hat er erst später herausgefunden. In diesem Moment war es ihm egal, wo er war. Die beiden waren auch in der Europa Passage, seine Freundin hat Schuhe gekauft und für Isaac eine warme Mütze. Dass sie im Alsterpavillon für Kaffee und Kuchen unverschämte 15 Euro zahlen mussten, war auch egal, sagt er. Er war mit ihr im Museumshafen Neumühlen und hat ihr die Baustelle gezeigt, wo er gearbeitet hat. Im „Elbdeck“, wo 100 Wohnungen gebaut werden. Mittlerweile wird er auf einer anderen Baustelle eingesetzt: Er saniert mit Kollegen ein Seniorenheim in Wandsbek.

Als seine Freundin wieder nach Spanien zurückmusste, hat sie ihm gesagt, dass sie es sich jetzt doch vorstellen könne, hierherzukommen. Zu Hause geht sie kaputt, sagt Isaac. Sie arbeitet als Obstverkäuferin, als Putzfrau und bei McDonald’s, fast rund um die Uhr, auch am Wochenende. Um den Kredit zahlen zu können, den ihre Familie für ihr Haus aufgenommen hat. Isaac hofft, dass sie hier eine gute Arbeit findet – und dass sie beide ihre Familien besser unterstützen können. Schließlich gibt auch Isaac seiner Mutter Geld für die Raten ihrer Wohnung. „Aber am wichtigsten ist, dass wir zusammen in einer Stadt sind“, sagt er.

Auch Juan hatte Damenbesuch aus Spanien. Auch er war mit seiner Freundin shoppen, auch er hat ihr Hamburg gezeigt. Allerdings kam Juans Freundin zu dem Schluss, dass sie auf keinen Fall in Hamburg leben will. „Viel zu kalt hier“, sagt Juan.

War es ein Fehler, nach Hamburg zu kommen? Nein, sagt Isaac. „Von schönem Wetter kann man sich nichts zu essen kaufen.“ Er ist froh, dass er hier als Klempner arbeiten kann, Geld verdient. Dafür nimmt er auch das Wetter hin.

Ihr Chef Frank Körbelin hat ihnen einen Flug in die Heimat spendiert

Auch Juan sieht das so. Aber er beklagt, dass sein Leben hektisch geworden sei. „Ich renne nur. Zum Bus, zur Arbeit, zum Sprachkurs.“ In Hamburg muss er um 5 Uhr aufstehen, in Spanien schlief er bis 7.30 Uhr. Am meisten nervt ihn, dass die Deutschen sich so wenig Zeit nehmen zum essen. Auch das Büfett auf der Weihnachtsfeier der Firma sei binnen einer Stunde beendet gewesen, beklagt er. Undenkbar in Spanien, wo die Menschen lange zu Tisch sitzen. Er sagt, dass er sich schwer an den neuen Takt in seinem Leben gewöhne. Aber er funktioniere, und das sei das Wichtigste.

Ihr Chef Frank Körbelin hat ihnen einen Flug nach Hause spendiert. Zwei Wochen Ferien haben sie ab dem kommenden Wochenende. Isaac will fast die ganze Zeit zu Hause verbringen. Er erzählt, dass die Spanier ganz anders Weihnachten feiern als die Deutschen. Zu Hause ist der Dreikönigstag der Tag, an dem es Geschenke gibt. Der 6. Januar also. An den Weihnachtsfeiertagen will er mit seiner Freundin und seiner Familie Meeresfrüchte essen.

Juan wird erst nach Weihnachten in die Heimat fliegen und auch nur eine Woche bleiben. Nächste Woche kommt ihn ein Freund besuchen, er will mit ihm am Jungfernstieg im Blockhouse essen gehen und danach vielleicht noch auf die Schanze, in eine Bar.

Sie sagen, dass sie wiederkommen werden nach Hamburg. Denn 2014 wird ein gutes Jahr. Ganz bestimmt.

„Hamburgs neue Gastarbeiter“ ist eine Serie in loser Reihenfolge. Auch im kommenden Jahr wird das Abendblatt die beiden Spanier und ihre deutschen Kollegen begleiten.