Hamburg gilt neben Berlin als Metropole der Szene. Das Wachstum ist aber gestoppt. Gegenwärtig stellen sich die Esoteriker auf das Weihnachtsfest ein – und entdecken altes Brauchtum.

Hamburg. Schamanen und Aura-Fotografen, Kartenleger und Reiki-Meister – in Hamburg hat sich eine schillernde esoterische Szene etabliert. „Die Hansestadt gehört mit Berlin zu den Esoterik-Metropolen in Deutschland“, sagte Pastor Jörg Pegelow, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, dem Abendblatt.

Zwar mache die Branche bundesweit Jahresumsätze von mehreren Milliarden Euro, „aber die Szene wächst in Hamburg zurzeit nicht mehr. Die Zahl der Anbieter und der Anhänger stagniert.“ Nähere Angaben darüber, wie viele Hamburger genau esoterische Praktiken ausüben, konnte Pegelow nicht machen. „Darüber gibt es keine Erhebungen.“ Die Esoterik-Messe Lebensfreude lockt jedes Jahr rund 10.000 Besucher an.

Bereits vor zwei Jahren hatte die frühere Scientology-Beauftragte des Hamburger Senats, Ursula Caberta, die bundesweite esoterische Szene kritisch unter die Lupe genommen. Die Zahl der Anhänger bezifferte sie in ihrem „Schwarzbuch Esoterik“ auf rund 100.000 in ganz Deutschland. Ein Blick in ausgewählte Hamburger Buchhandlungen zeigt ein breites Spektrum von Themen und Praktiken. Da geht es um die Geheimnisse der Tarotkarten genauso wie um Bachblüten und magische Techniken für die individuelle Krisenbewältigung. Fast immer steht dabei das angebliche „Ur-Wissen“ der Menschheit im Mittelpunkt, das nun durch esoterische Wege erschlossen werden könne.

Gegenwärtig stellen sich die Esoteriker auf das Weihnachtsfest ein – und entdecken altes Brauchtum. So erinnert das „Hamburger Online-Portal für Lebenshilfe, Spiritualität und Inspiration“ an die „Rauhnächte“, die bis ins späte Mittelalter im Volk höchst populär waren. Dabei handelt es sich um die letzten sechs Nächte des zu Ende gehenden Jahres und die ersten sechs des neuen Jahres. „In dieser Zeit der zwölf Nächte wird alles herumgewirbelt – das Alte ist noch nicht gegangen, und das Neue ist noch nicht stark genug. Das Licht kämpft mit der Finsternis, das Gute mit dem Bösen“, heißt es auf dem Hamburger Online-Portal. Und daneben steht der Hinweis auf eine Veranstaltung im Völkerkundemuseum am 21. Dezember, 19 Uhr, zum Thema „Wintersonnenwende – Die Nacht der Mystik“.

Pastor Pegelow hält zwar nicht alles für Humbug, was in der Esoterik-Szene verbreitet wird. Gerade der positive Gedanke an die Kräfte und Fähigkeiten der Menschen könne tatsächlich Mut und Hoffnung wecken. „Aber deutliche Kritik übe ich an dem esoterischen Versprechen, der Mensch könne mit bestimmten Methoden die universalen Kräfte in den Griff bekommen.“ Dabei werde der falsche Eindruck erweckt, man könne alle Probleme bewältigen, wenn man es nur wolle. „Den Himmel aber kann man aus eigener Kraft nicht erreichen“, betonte der Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte der Nordkirche. „Gott schenkt sich uns und lässt sich nicht in den Griff kriegen.“

Sektenexpertin Caberta hatte in ihrem „Schwarzbuch Esoterik“ zudem scharfe Kritik an einigen Prominenten mit ausgeprägtem Hang zur Esoterik geübt. In diesem Zusammenhang nannte sie den früheren TV-Pfarrer Jürgen Fliege, der regelmäßig in Bad Wörishofen die Stars der Esoterik-Szene wie Bert Hellinger und Eva Aschenbrenner zur Messe Fest für Körper, Geist und Seele einlädt.

Pastor Pegelow kann nicht ausschließen, dass auch bei Mitgliedern der Nordkirche Interesse an esoterischen Praktiken besteht – „zum Beispiel am Reiki“, sagt er. „Ich würde das als problematisch ansehen. Denn im Kern halte ich die Vorstellung einer universal wirkenden Energie, die man nach einer geheim zu haltenden Einweihungshandlung an andere weitergeben kann, für unvereinbar mit dem christlichen Gottesglauben.“

Darüber hinaus beobachtet Pegelow, dass sich gegenwärtig in Norddeutschland sogenannte neuheidnische Gruppen formieren. Die Zahl der Anhänger schätzt er im Norden auf einige Hundert.

Eine Auseinandersetzung mit diesen Anhängern fand während des Deutschen Evangelischen Kirchentages im vergangenen Mai im Rahmen eines Podiumsgespräches statt. Dabei distanzierte sich die heidnische Organisation Rabenclan ausdrücklich von den „kulturellen Reinheitskonzepten“ rechtsextremer heidnischer Gruppen. „Rabenclan“, betont Pastor Jörg Pegelow, „versteht sich dagegen als nicht-rassistisch.“ Dieses Neuheidentum wende sich gegen völkische Ideologien und Antisemitismus.

Es verknüpft verschiedene keltische, germanische, aber auch indianische Überlieferungen und stellt sie in neue Zusammenhänge. „Weil die historische Quellenlage oft dünn ist, wird die Ausgestaltung von Feiern und Festen konstruiert“, sagt Pegelow. Das gelte zum Beispiel für die Sonnenwendfeier, die nach heutigen Vorstellungen und nicht auf der Basis gesicherter historischer Fakten gefeiert werde. Zum Jahreswechsel vor zwei Jahren lud Rabenclan sogar zu einem Sexseminar ein. Die Zahl der Anhänger des Neuheidentums wird in Deutschland auf 5000 beziffert.