Menschenhandel gilt als Wachstumsbranche des organisierten Verbrechens, wie ein neuer Lagebericht der Polizei zeigt. Hamburg ist für das organisierte Verbrechen ein hoch attraktiver Standort.

Hamburg. Schleuserkriminalität ist die Wachstumsbranche des professionellen Verbrechens in der Hansestadt. Das geht aus dem Lagebericht Organisierte Kriminalität (OK) 2012 hervor, den die Polizei erstmals seit 2009 zusammengestellt hat und der dem Abendblatt vorliegt. Schleuserkriminalität steht mittlerweile auf Platz 3 der Aktivitätsfelder von OK und hat sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Das Landeskriminalamt hat reagiert und zur Bekämpfung mit dem LKA 64 eine eigene Dienststelle in der OK-Abteilung eingerichtet.

Hamburg ist für das organisierte Verbrechen ein hoch attraktiver Standort. Nicht wegen des Rotlichtmilieus, das gern als Hauptbetätigungsfeld der organisierten Kriminalität betrachtet wird. Hamburg, weiß Wolfgang Dürre, Chef der Abteilung gegen organisierte Kriminalität (LKA 6), ist ein starker Wirtschaftsstandort. Hier kann man Geld verdienen. Das, nur das ist das Ziel der Täter. Mit allen Mitteln. 30 Verfahren führte das LKA 6 im vergangenen Jahr. 40 Prozent der organisierten Kriminalität bezog sich auf Drogenschmuggel. Das liegt daran, dass die Gewinnspanne riesig ist. Ein Kilo Kokain, das hier zum Preis von 40.000 Euro gehandelt wird, ist in Südamerika für gerade mal 1000 Euro zu haben.

Wirtschaftskriminalität spielt bei 23,3 Prozent der Fälle eine Rolle. Schleuserkriminalität in 13,3 Prozent, und „Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben“, wie es im Polizeideutsch heißt, hat nur einen Anteil von 6,7 Prozent an den Hamburger OK-Verfahren und rangiert damit auf den hinteren Plätzen. „Es ist festzustellen, dass die OK-Täter stärker geschäftsmäßig handeln“, sagt Dürre. Die Durchsetzung krimineller Interessen unter Einsatz massiver Gewalt sei hingegen seltener festzustellen. „Kommt es dazu, ist es meistens eine Art Betriebsunfall“, so Dürre. Denn Gewalt ruft Polizei auf den Plan – und das stört die Geschäfte.

Diese werden international abgewickelt. Nur vier der OK-Verfahren 2012 hatten rein regionalen Bezug. Das passt auch zu den Nationalitäten, die bei der OK in Hamburg mitmischen. Von den 201 ermittelten Tatverdächtigen im vergangenen Jahr hatten 62 einen deutschen Pass. 54 von ihnen besaßen allerdings bei ihrer Geburt eine andere Staatsangehörigkeit. Das ist keine Besonderheit. 2011 hatten von 181 Tatverdächtigen fünf keinen Migrationshintergrund, im Jahr davor waren es von 2013 Tatverdächtigen zwölf.

Rotlichtkriminalität rangiert in Hamburg dagegen auch deshalb auf den hinteren Plätzen, weil es – wie es Dürre ausdrückt – wenig „polizeiliche Anfasser“ gibt. Die Masse der rund 2500 Frauen, die nach Erkenntnissen der Polizei in der Hansestadt auf dem Straßenstrich, in 230 Modellwohnungen, 22 Klubs und vier Laufhäusern dem „ältesten Gewerbe der Welt“ nachgehen, sind durch die EU-Erweiterung mittlerweile legal in Deutschland. Prostitution selbst ist 2002 von der damaligen Bundesregierung legalisiert worden. Vor allem Frauen aus Rumänien oder Bulgarien sind zunehmend in Hamburg als Prostituierte anzutreffen. „Oft sind sie mit den Zuhältern verwandtschaftlich verbandelt“, weiß Dürre. Das macht die Frauen nicht gerade aussagewilliger und die Ermittlungen damit schwerer. „In dem Bereich ist Prävention mit unsere wichtigste Aufgabe“, sagt Dürre. Man sei auch dadurch „sehr nah“ an dem Milieu dran. Außerdem hat man noch die Rauschgiftkriminalität, in die gern die Herren mit den breiten Schultern und den dicken Muskeln aus dem Milieu verstrickt sind. Auch das gewährt Einblick.

Insgesamt, so das Fazit des OK-Chefs, sei das LKA 6 sehr gut aufgestellt. Über 300 Beamte arbeiten in dem Bereich, der von der Analyse über die Ermittlung bis zur Vermögensabschöpfung reicht und über eigene Observationstruppen und eingebundene Beamte von Zoll, Bundespolizei und Steuerfahndung verfügt. Hilfreich wäre es, wenn gerade bei der Gewinnabschöpfung „mehr gehen würde“. Deutschland und damit Hamburg sei wegen der im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eher seichten Gesetzgebung zur Gewinnabschöpfung für OK-Täter hoch attraktiv. Dazu sei, so steht es im Bericht, „zu beobachten, dass die Schwelle, von der an Ermittlungen überhaupt geführt und die für OK-Verfahren erforderlichen Eingriffsmaßnahmen angeordnet werden können, gestiegen“. „Wir gehen sehr gezielt vor, das sieht man schon an der überschaubaren Zahl der Verfahren“, so Dürre.