Tim R. hatte offenbar den Ehrgeiz richtig schick und flott daherzukommen. Das machte den 21-Jährigen verdächtig. Amtsrichterin: „Seinen Arbeitgeber zu beklauen, das geht gar nicht.“

Neustadt. Unglücklich sieht der Mann aus und sorgenvoll. Kein Geld, kein Job, keine Perspektive, aber dafür ein Strafverfahren, das ihn eine Menge kosten könnte – tatsächlich gibt es im Leben des Tim R. (Name geändert) im Augenblick nichts, was bei dem 21-Jährigen für Optimismus sorgen könnte. Und so klammert sich der junge Mann an die Hoffnung, doch noch ungeschoren davonzukommen. Es geht um die relativ übersichtliche Summe von 22,75 Euro, die ihm zum endgültigen Verhängnis werden könnte. „Dafür lohnt es sich doch nicht, seinen Job zu riskieren“, argumentiert der Hamburger verzweifelt. Tatsächlich aber steht er im Verdacht, genau dieses Wagnis eingegangen zu sein.

Denn Tim R. ist im August in einer Filiale eines Discounters von seinen Chefs einem sogenannten „Ehrlichkeitstest“ unterzogen worden. Sein Arbeitgeber beschuldigt ihn, einen Zwanzig-Euro-Schein gestohlen zu haben. Zudem habe der 21-Jährige einen Pfandgutschein über 2,75 Euro, den er gefunden hatte, entgegen der Vorschriften nicht abgegeben. Damit wurde der junge Mann nicht nur seinen Job los, sondern bekam auch eine Anzeige. Im Strafbefehlsverfahren wurde deswegen gegen ihn bereits eine Geldstrafe verhängt, doch weil er gegen die Entscheidung Einspruch einlegte, wird die Sache jetzt vor dem Amtsgericht verhandelt.

Als „Ehrlichkeitstest“ wurde ein 20-Euro-Schein im Laden versteckt

Die Hände ineinander verkrampft und die Wangen vor Aufregung gerötet, schildert der Mann, wie er seinerzeit gerade den Laden wischte, als seine Chefin bei ihm eine Taschenkontrolle gemacht habe. Sie habe in seiner Arbeitstasche den Pfandgutschein gefunden. „Den hatte ich völlig vergessen abzugeben. Der hat da wohl schon mehrere Tage drin gelegen. Manchmal vergisst man das einfach bei dem Stress“, rechtfertigt sich Tim R. „Und wie der 20-Euro-Schein in meinen Rucksack gekommen ist, weiß ich nicht. Den muss mir da jemand reingepackt haben“, entwirft er eine Verschwörungstheorie. Seine Chefin habe schon „öfter mit Angestellten Probleme gehabt. Manche haben sogar ihretwegen die Filiale gewechselt.“

Doch die Verkaufsstellenleiterin weist in ihrer Zeugenaussage diesen Verdacht weit von sich. „Ich habe eigentlich Vertrauen zu meinen Mitarbeitern.“ Nur bei Tim R. habe sie so ein „Bauch- und Verdachtsgefühl gehabt. Und in der Filiale ist viel los, da dürfen wir Ehrlichkeitstests machen.“ Also habe sie einen 20-Euro-Schein, dessen Seriennummer sie zuvor notiert hatte, unmittelbar nach Geschäftsschluss an einer Stelle nahe eines Regals platziert, wo eigentlich nur Tim R. ihn beim Putzen habe finden können. „Später kontrollierte ich, ob der Schein dort noch lag, aber das war nicht der Fall.“

Anschließend fragte sie gemeinsam mit der von ihr alarmierten Bezirksleiterin den jungen Mitarbeiter nach dem Geldschein. „Er sagte, er habe ihn nicht.“ Im Spind des Angeklagten hätten sie dann erst den Leergutbon gefunden. „Er meinte, er habe vergessen, ihn abzugeben.“ Der 20-Euro-Schein blieb indes zunächst verschwunden – obwohl sie den Mitarbeiter sehr gründlich inspizierten. So musste Tim R. sogar seine Schuhe ausziehen und seine Hosentaschen nach außen drehen. Schließlich habe man den Rucksack des Angeklagten gefunden und darin letztlich den gesuchten Geldschein. „Er sagte erst, es sei seiner“, berichtet die Zeugin. „Doch als wir ihn damit konfrontierten, dass es die von uns vorab notierte Seriennummer war, behauptete er, ich hätte ihm den in den Rucksack gesteckt.“ Das liege ihr aber fern, versichert die Zeugin. „Wissen Sie“, meint sie und lehnt sich vertraulich zur Amtsrichterin vor: „Ich habe da keine Ambitionen dazu.“

Einen besonderen Ehrgeiz hat einer Bezirksleiterin des Discounters zufolge jedoch Tim R. gehabt: nämlich richtig schick und flott daherzukommen. Ein relativ bescheidenes Gehalt habe er bekommen – „und dann fährt er diesen riesengroßen Mercedes“, erklärt die Chefin ihr besonderes Augenmerk auf den Mitarbeiter. Und auch seine früheren Chefs aus anderen Filialen „hatten bei ihm ein ungutes Gefühl. Deshalb habe ich den Ehrlichkeitstest angeordnet“, erläutert die Zeugin.

Nun sehen auch der bereits mehrfach unter anderem wegen Diebstahls vorbestrafte Angeklagte und sein Verteidiger endgültig die Felle davon schwimmen. Sie nehmen ihren Einspruch gegen den Strafbefehl zurück, damit wird die ursprüngliche Verurteilung zu 300 Euro Geldstrafe (30 Tagessätze zu zehn Euro) rechtskräftig. Die Amtsrichterin macht Tim R. deutlich, was sie von der Tat hält: „Seinen Arbeitgeber zu beklauen, das geht gar nicht.“

Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall