Vor 65 Jahren wurde Adolf Grimme Chef des Nordwestdeutschen Rundfunks. Eine Erinnerung an die wegweisenden Schritte seiner Amtszeit, die bis heute mit einem der wichtigsten TV-Preise gewürdigt werden.

Wer Grimme sagt, muss eigentlich auch Preis sagen. Sogar Menschen, die sich in der Welt der Medien nicht so auskennen, haben schon von der Auszeichnung gehört, mit der jedes Jahr besonders gelungene Fernsehsendungen belohnt werden. Wer der Mann war, dem der Preis seinen Namen verdankt, ist dagegen ein wenig in Vergessenheit geraten. Adolf Grimme war ein Kulturpolitiker, der einige Jahre seines Lebens in Hamburg verbracht und hier wichtige Entscheidungen getroffen hat. Vor 65 Jahren wurde er als erster und einziger Deutscher zum Generaldirektor des NDR-Vorläufers NWDR gewählt.

Wer zum NDR-Fernsehen in Lokstedt fährt, kommt an Adolf Grimmes Vorgänger kaum vorbei. Der Weg zum Sendergelände führt über den Hugh-Greene-Weg. Greene sollte nach dem Kriegsende in der britischen Besatzungszone einen Hörfunksender nach dem Vorbild der BBC aufbauen. Eine große und wichtige Aufgabe, denn die Deutschen waren aus der NS-Zeit an den Hörfunk als Propagandainstrument gewöhnt. Jetzt wurde der Kriegsgegner von einst zum Lehrmeister in Sachen Demokratie und Meinungsfreiheit. Greene wurde der erste Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Senders NWDR, der ein großes Sendegebiet umfasste: Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Berlin und Nordrhein-Westfalen.

Im November 1948 übergab Greene das Amt des Generaldirektors an Adolf Grimme. Der war zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt und vorher Vorsitzender des NWDR-Verwaltungsrats, aber eigentlich kein Rundfunkmann. Grimme hatte damals schon mehrere Karrieren hinter sich. Er war ehemaliges SPD-Vorstandsmitglied, theologisch interessiert und Reformpädagoge. Bis 1932 war er der letzte preußische Kulturminister, bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Während des Krieges hatte er Kontakt zu einem Studienfreund aus der kommunistischen Widerstandsgruppe Rote Kapelle. Weil er ein Flugblatt dieser Gruppe nicht sofort an die Gestapo weiterreichte, wurde er zu drei Jahren Haft und zum Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Die Briten befreiten ihn 1945 aus dem Gefängnis in Fuhlsbüttel. Anschließend wurde er Kulturminister in Niedersachsen.

Als Grimme zum Generaldirektor gewählt wurde, hielten viele ihn für eine gute Wahl. „Er war für viele Leute tragbar und sehr integer. Dazu trug auch sein väterlicher Habitus bei“, sagt Hans-Ulrich Wagner, Referent am Hans-Bredow-Institut und Leiter der Forschungsstelle Geschichte des Rundfunks. „Grimme hat Rundfunk als Kultur- und Bildungsinstrument begriffen.“ Das war auch nötig, denn ständig versuchten die Parteien im Nachkriegsdeutschland ihren Einfluss auf die Berichterstattung besonders über politische Themen auszuüben. Geschickt agierte Grimme, wenn es um die Ausgestaltung des Rundfunks ging. In seiner Amtszeit wurden zwölf UKW-Sender gebaut, und das teure neue Medium Fernsehen wurde technisch so weiterentwickelt, dass ab 1952 gesendet werden konnte. Am Tag nach Sendebeginn, am 26. Dezember 1952, wurde das erste Fußballspiel live übertragen. Es war die DFB-Pokal-Partie FC St. Pauli gegen Hamborn 07. 1953 wurde in Lokstedt das neue Studiogelände eingeweiht, nachdem der Bunker auf dem Heiligengeistfeld für die TV-Leute des NWDR zu klein geworden war.

Die Zerfallserscheinungen des NWDR beschleunigten sich während Grimmes zwei Amtszeiten. Berlin scherte aus dem Verbund aus und gründete einen eigenen Sender, der als Sender Freies Berlin (SFB) 1954 seinen Betrieb aufnahm. Im Februar 1955 unterschrieben die Chefs der verbliebenen Bundesländer das Ende des NWDR. Grimme ging sang- und klanglos in den Ruhestand. Kurz darauf wurden der NDR und der WDR gegründet.

Trotz des trostlosen Endes fällt Wagners Fazit über Grimmes Zeit als NWDR-Generaldirektor positiv aus. „Die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks musste erst bekannt gemacht werden. Letztlich wusste in Deutschland keiner, was das genau ist und wie das gut funktionieren kann. Die Parteien wussten das am allerwenigsten.“ Hier setzte sich Grimme nachhaltig für das Medium ein, kämpfte für die Selbstverwaltung und für einen Journalismus, der genau zwischen Kommentar und Nachrichten, zwischen Meinung und sachlicher Information trennt.

1963 ist Grimme gestorben. Ein Jahr später wurde der Fernsehpreis nach ihm benannt, der vom Grimme-Institut in Marl vergeben wird. Im kommenden April feiert er sein 50. Jubiläum. Rekordpreisträger Dominik Graf, der bisher schon zehn dieser Auszeichnungen gewann, wird einen Film über Marl drehen. Endlich Genugtuung für die 84.000 Einwohner große Stadt in Nordrhein-Westfalen, die die Preiszeremonie in ihrem Theater beherbergt. Vielleicht wird der Film ja ein Gegengewicht zum etwas ketzerischen Motto, das den Unterschied im Ansehen des Preises im Vergleich mit der Stadt beschreibt: „Jeder will den Grimme-Preis, aber keiner will nach Marl.“