Die Schmidts spielen Golf und machen weite Reisen. Hilde Geißler würde gern mal 100 Gramm Kochschinken beim Metzger kaufen. Reich und arm im Alter: Wovon es abhängen kann, auf welcher Seite man steht.

Gab es diesen Moment im Leben von Hilde Geißler, als feststand, dass sie arm sein wird im Alter? Sie kann sich nicht daran erinnern. Die Armut kam schleichend in ihr Leben.

Gab es diesen Moment im Leben von Günther und Margret Schmidt, als klar war, dass sie reich sein werden im Alter, das ihr Geld sich von alleine vermehrt? Sie können sich nicht an diesen Moment erinnern. Über Geld spricht man nicht.

Armut ist ebenso ein Tabuthema wie Reichtum. Die 86 Jahre alte Hilde Geißler möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. „Dann rufen Bekannte an und fragen: Hilde, geht es dir wirklich so schlecht?“ Das sei ihr unangenehm. Geißler hat nie viel über ihr Privatleben gesprochen. „Warum auch?“, sagt sie. Außerdem gebe es viele Menschen in der Stadt, denen es schlechter gehe als ihr.

Auch Margret Schmidt, 68, und ihr Mann Günther, 73, wollen nicht, dass die Leute über sie reden. Denn sie sind bekannt in der Hamburger Gesellschaft. Ihre Namen sind deshalb geändert, ihre Geschichte ist wahr. Sie wollen offen über das Thema sprechen – weil sie es wichtig finden, dass ihre Perspektive erzählt wird. Weil sie finden, dass der Wohlstand ihnen zusteht.

Wie kann es sein, dass Hamburg die deutsche Hauptstadt der armen Rentner ist und gleichzeitig eine der reichsten Städte Europas?

Hilde Geißler empfängt zum Gespräch in ihrer Zweizimmerwohnung in Eilbek, Klinkerbausiedlung, zweiter Stock, 51 Quadratmeter.

Die Schmidts laden in ihr Haus in Blankenese, drei Etagen, 180 Quadratmeter, schöne Bilder an den Wänden, der Blick geht raus ins Grüne, zum Elbstrand ist es nicht weit.

Zwischen dem Haus der Schmidts und der Wohnung von Frau Geißler liegen rund 20 Kilometer. 20 Kilometer von der Welt der Altersarmut in die Welt des Altersreichtums. Die Leben von Geißler und den Schmidts sind keine Randgeschichten dieser Stadt. Es sind normale Leben, wie sie etliche Tausend Male in Hamburg gelebt werden. 20 Millionen Rentner gibt es in Deutschland.

Hilde Geißler trägt eine blaue Bluse, ihre Haare sind grau, ihre dünnen Augenbrauen sind geschminkt. Die Armut sieht man ihr nicht an. Sie lebt die Eleganz der einfachen alten Dame. Geißler sorgt für sich selbst, mit 86 Jahren. „Noch einen Schluck Kaffee?“, fragt sie und serviert aus einer Kanne aus Porzellan. Dann setzt sie sich in ihrem Sessel mit den hohen Lehnen.

Was sie eint, ist die Flucht nach Westen, danach hatten sie nicht viel gemein

Hilde Geißler hat keinen Fernseher, kein Radio, nicht einmal einen Wecker. Sie besitzt kein Handy und keinen Computer. Und trotzdem muss Geißler einmal im Quartal 53,94 Euro Rundfunkgebühren zahlen. Sie zahlt genauso viel wie ein Millionär. Und hat nichts davon.

Im Regal aus dunklem Holz stehen Bücher von Rosamunde Pilcher, auch „Der Medicus“, einige Krimis. Auf dem Sofa liegt ein Buch. „Wohin der Wind uns trägt“, heißt der Titel. „Ich lese viel“, sagt Geißler.

Geißler erzählt, dass sie neulich beim Bäcker war. „Ein Brötchen kostet 60 Cent“, sagt sie. Früher, als sie klein war, da hat man zehn Pfennig bezahlt, für drei Schrippen.

Früher, das war zu Zeiten der späten Weimarer Republik. 1927 wurde Geißler geboren, sie wuchs in Magdeburg auf. Ihre Eltern hatten ein Restaurant am Elbufer, es gab einen großen Garten und zwei Tanzflächen. Jeden Sonntag war Kindertanz, die kleine Hilde musste vortanzen mit ihrem Vater.

Dann kamen die Nazis, und nach den Nazis die Kommunisten. Die Eltern hatten ihr Restaurant schon vor dem Krieg verloren, nach dem Krieg kam die Familie bei einem Onkel in Magdeburg unter. „Eine schlimme Zeit war das“, sagt Geißler heute. Aber sie waren am Leben.

Die Kommunisten steckten Geißler in eine Strafbrigade, weil sie sich weigerte, für die Schutzpolizei als politische Kommissarin zu arbeiten. Sie musste Stromkabel für den Uranabbau im Osten verlegen. 1949 floh sie nach West-Berlin. Dass Geißler schwanger war, erfuhr sie erst nach ihrer Flucht. Der Vater ihres Sohnes arbeitete für einen russischen Staatskonzern im Uranabbau in der DDR. Eines Tages hatten ihn russische Soldaten abgeholt. Geißler hörte nie wieder etwas von ihm. Sie spricht nicht viel über den Vater ihres Kindes.

Nach ihrer Flucht war Berlin der Neubeginn für Geißler. Als Flüchtling. Sie hatte Mittlere Reife auf einer Mädchenschule gemacht und eine Ausbildung in der DDR zur Verkehrspolizistin. Aber DDR-Polizisten brauchte man im Westen nicht. Freundinnen vermittelten ihr einen Job als Model, sie führte Mäntel vor. Erst waren es nur einzelne Aufträge, und wenn die Saison vorbei war, ging Geißler zum Arbeitsamt. Später stellte sie eine Firma fest an, sie führte nicht nur Kleider vor, sondern übernahm auch die Kontrolle der Warenlieferungen und die Buchhaltung.

Geißler war damals das, was man heute Niedriglöhner nennt. Die Menschen verdienen weniger als 8,50 Euro pro Stunde, viele arbeiten ihr Leben lang – und sind am Ende ihrer Karriere dann doch vom Geld des Staates abhängig. Wer im Alter nicht zum Sozialfall werden will, muss mehr als zehn Euro pro Stunde verdienen und 45 Jahre in die Rente einzahlen. Ein Viertel der Bevölkerung verdient heute weniger als 6,88 Euro pro Stunde.

Als Hilde Geißler jung war, dachte sie nicht an die Rente. Sie verdiente am Tag Geld – und gab es abends in den Bars und Cafés der jungen Bundesrepublik wieder aus. Sie trug schöne Kleider und Armbänder aus Kristall. Wenn Geißler von damals erzählt, legt sie ihre Erinnerungen in ein Lächeln hinein.

Riestern – das gab es damals nicht. Und ein Sparbuch legte sie nicht an. Heute kann sie sich keine neuen Kleider mehr leisten. Keine Ohrringe oder schicke Schuhe. „Aber ich kann doch froh sein“, sagt sie. „Als ich jung und hübsch war, konnte ich mir das alles leisten. Heute stellt mir ja sowieso kein Mann mehr nach.“ Sie kichert leise.

Gleichheit in der Not

Zurück nach Blankenese, zu den Schmidts. Margrets Großeltern hatten es zu Wohlstand gebracht, der Großvater machte ein Vermögen mit dem Verkauf von Versicherungen. Ihr Vater stieg nach dem Krieg zum Geschäftsführer einer Papierfabrik auf. Die Familie lebte am Mittelweg, der Vater hatte einen Chauffeur, der Margret ins Internat fuhr. Nach der elften Klasse verließ sie die Schule. Sie wollte Kinderkrankenschwester werden. Gegen den Willen ihrer Eltern, die das für nicht standesgemäß hielten.

Günther Schmidt sagt, dass er im Alter von acht Jahren mit dem Arbeiten angefangen habe. Ein Verwandter hatte eine Blumensamenzucht. Für 25 Pfennig pro Stunde zupfte und bestäubte Schmidt Petunien und Begonien. Nach vier Jahren hatte er ein Fahrrad zusammengespart. So ging es weiter, auch später. Seine Familie stammt aus Schlesien, als die Russen im Zweiten Weltkrieg näher rückten, floh sie nach Niedersachsen. In Schlesien waren die Schmidts wohlhabend – in Niedersachsen Flüchtlinge. Studieren durfte Günther nicht, seine Eltern hatten kein Geld. Und so machte er eine Lehre bei der Bank. Das war sein Glück.

Die Flucht ist eine Parallele in den Geschichten der Schmidts und von Hilde Geißler. Der Krieg setzte das Leben aller Deutschen auf Neustart. Für einen Moment herrschte Gleichheit in der Not. Doch dann ging jeder wieder seiner Wege.

Anfang der 70er-Jahre zog Geißler mit ihrem Sohn von Berlin nach Hamburg. In den Kaufhäusern der Stadt führte sie Suppen von Knorr vor oder Wischmobs von Vileda, um Geld zu verdienen. Später arbeitete sie für einen Waschmittelhersteller. Viel Geld verdiente sie damals nie. „Vielleicht 1000 Mark“, sagt Geißler heute. Genau erinnert sie sich nicht. Tarife in ihrer Branche gab es damals nicht, wie heute verdienten Frauen damals weniger als Männer. Und auch die Gewerkschaften interessierten sich nicht sonderlich für Beschäftigte wie Geißler.

Sie lernte wieder einen Mann kennen, heiratete ihn, aber die Ehe ging schon nach kurzer Zeit in die Brüche. „Eine Dummheit war das mit dem“, sagt sie. Ihren Sohn zog Geißler allein groß. Unterhalt bekam sie nie.

Auch für Margret und Günther Schmidt ist es nicht die erste Ehe. Margret heiratete einen wohlhabenden Adligen, da hatte sie ihre Ausbildung gerade abgeschlossen. Sie hatten sich auf einer Jagd kennengelernt. Sie gab ihren Job auf, zog zu ihm aufs Land, ein Jahr nach der Hochzeit wurde ihr Sohn geboren. Zwei Jahre nach der Hochzeit verunglückte ihr Mann beim Fallschirmspringen. Er überlebte, trug jedoch schwere Hirnschäden davon. Zehn Jahre hielt die Ehe noch. „Dann konnte ich nicht mehr“, sagt Margret. Sie ging zurück nach Hamburg, zog mit ihrem zehnjährigen Sohn in ein Reihenhaus, zur Miete. Sie fing wieder als Krankenschwester an, arbeitete in Teilzeit. Ihr Ex-Mann sei beim Unterhalt alles andere als großzügig gewesen, sagt sie.

Ihren Günther lernte sie in den 80er-Jahren kennen. Auf einer Düne auf der Insel Föhr, im Urlaub. Margret war mit ihrem Sohn und ihren Patenkindern da, Günther mit seiner damaligen Frau und seinen Kindern. Sie mussten sich wiedersehen, zunächst noch heimlich.

Bis dahin hatte Günther eine steile Karriere in der Bank gemacht. Vom Lehrling hatte er sich bis zum Direktor hochgearbeitet. Ohne Studium. „Ich habe riesiges Glück gehabt, dass ich in dieser aufstrebenden Bundesrepublik leben durfte“, sagt er. Alles passierte von alleine: Das Gehalt stieg, es gab Boni. Es kam vor, dass ein Bonus sich im folgenden Jahr verdoppelte. 500.000 „Marken“ habe er schon mal bekommen, sagt er. Natürlich kein Vergleich zu den Millionen-Bonuszahlungen der Banker heute, aber trotzdem. „Ich fand, mir stand das zu“, sagt er. Schließlich habe seine Abteilung hohe Umsätze erzielt. Unter den Bankern selbst war das viele Geld kein Thema. „Wir waren eine Art Club dort.“ Alle verdienten so viel.

Günther Schmidt zahlt seiner Frau 1500 Euro Haushaltsgeld im Monat

Schmidt konnte seinen Sohn auf die Summer University in Los Angeles schicken und seine Tochter auf die Sprachschule nach London.

Als er Margret kennenlernte, verließ er seine Frau. Die Scheidung sei teuer gewesen, sagt er. Aber das war es ihm wert. An die Altersvorsorge dachte Günther Schmidt damals nicht.

Für Hilde Geißler lief es Mitte der 70er-Jahre besser. Sie bekam einen Job bei einer großen Versicherung in Hamburg. Als Angestellte gab es ein gutes Gehalt, ihr Chef übernahm die Spesen, Geißler zahlte in die Rentenkasse ein, konnte sogar Geld sparen. Sie war damals Ende 40. „Vielleicht hätte ich nur ein paar Jahre länger in diesem Job arbeiten müssen, dann wäre heute alles gut.“ Ein paar Jahre weniger Niedriglohn, ein paar Jahre länger solide vorsorgen fürs Alter.

1986 ging Geißler in Rente, mit 58. Wie hoch ihre Rente damals war, weiß sie heute nicht mehr. Was sie weiß: Das Geld reichte damals locker zum Leben. Sie verdiente sich noch ein paar Hundert Mark extra dazu, als Aushilfe in einem Blutspendelabor. Sie ging öfter ins Kino, in die Oper, ins Ohnsorg-Theater. Das Leben im Alter fühlte sich gut an. Günther Schmidt ging mit 63 in Rente. Er bekommt: die gesetzliche Rente und Betriebsrenten von zwei Banken, für die er gearbeitet hat. Die Rente seiner Frau Margret ist niedrig, weil sie viele Jahre nicht in die Rentenkasse eingezahlt hat. Rund 200 Euro bekommt sie monatlich. Wie hoch Günthers Einkünfte im Alter sind, wollen die Schmidts nicht sagen. Ehepaare in Deutschland haben laut dem Alterssicherungsbericht der Bundesregierung ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 2433 Euro im Monat. Die Schmidts dürften deutlich mehr haben.

Geißler lebt ohne Schulden

Alleinstehende Frauen haben der Bundesregierung zufolge 1292 Euro netto im Monat.

Hilde Geißler hat weniger. Auf dem Kontoauszug stehen heute 810 Euro Rente. Doch das Geld sieht nicht nur auf dem Papier wenig aus.

86 ist Geißler heute, ein stolzes Alter. So hart das klingt: Ein Grund für Geißlers Armut im Alter ist gerade ihr Alter. Fast 30 Jahre ist sie nun schon Rentnerin. Doch jedes Jahr steigen in Hamburg die Preise, die Gebühren, die Nebenkosten. Die Rente stieg vor allem in den vergangenen Jahren nicht mit, es gab einige Nullrunden. Hilde Geißler sagt: „Spätestens seitdem der Euro da ist, spüre ich, dass ich immer ärmer werde.“

410 Euro zahlt Geißler jeden Monat an Miete. Knapp die Hälfte der Rente bleibt ihr zum Leben. Wenn das Geld vom Staat jeden Monat frisch auf dem Konto ist, hebt Hilde Geißler 250 Euro ab. Ist das Geld aufgebraucht, hebt sie nur noch kleinere Beträge ab. Sie hat sich selbst eine Regel aufgestellt: Fünf Euro müssen auf dem Konto bleiben. Geißler lebt ohne Schulden.

Gerne würde Geißler sich mal wieder beim Metzger an der Theke 100 Gramm frischen gekochten Schinken kaufen. Aber dafür ist kein Geld da. Sie kauft bei Aldi oder bei Penny abgepackten Schinken.

Die Schmidts haben sich das Haus in Blankenese gekauft. Außerdem haben sie eine Wohnung auf Föhr – auf ihrer Insel. Und mehrere Wohnungen in Ostdeutschland. Die beiden haben ein Aktienpaket, mit guten DAX-Papieren, die stete Erträge bringen. Margret Schmidt hat aufgehört zu arbeiten, als sie Günther kennenlernte. „Ich bewundere bei ihm das Gefühl für Geld. Mich interessiert Geld nicht“, sagt sie.

Günther Schmidt zahlt seiner Frau Haushaltsgeld: 1500 Euro im Monat.

Nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung könnte man die Schmidts zu den vermögensstärksten zehn Prozent der deutschen Haushalte zählen. Diese Haushalte verfügen über die Hälfte des gesamten deutschen Privatvermögens.

Hilde Geißler gehört zur unteren Hälfte der Haushalte. Diese verfügen zusammen nur über gut ein Prozent des gesamten deutschen Privatvermögens.

Neulich wollte Geißler einen Kinofilm im Abaton anschauen. „Vergiss mein nicht“, eine Dokumentation über ein Frau, die an Alzheimer erkrankt. Geißler erinnerte das Thema des Films an einen 88 Jahre alten Mann, zweimal in der Woche besucht sie ihn und seine Ehefrau, pflegt ihn, sodass die Frau mal aus dem Haus kommt. Es sind ein paar der vielen Stunden, die Geißler in ihrem Leben Menschen in Not geholfen hat. Sogar von der Stadt wurde sie dafür vor einigen Jahren ausgezeichnet.

Geißler ist dann aber doch nicht ins Kino gegangen. „Acht Euro hat die Eintrittskarte gekostet. Das ist nicht drin.“

Fast eine halbe Million Menschen über 65 Jahre haben so wenig Rente, dass es nicht zum Leben reicht. Sie müssen Grundsicherung beziehen – Hartz IV für Alte. Mit vier Milliarden Euro finanziert der Staat die Minirenten – Jahr für Jahr wird der Betrag größer. Die Zahl der Hartz-IV-Rentner hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Hamburg ist die deutsche Hauptstadt der armen Rentner: 6,2 Prozent der Hamburger über 65 Jahre bekommen Grundsicherung. Das sind 21.000 Menschen. Doch das sind längst nicht alle. Viele schämen sich für ihre Armut und gehen nicht zum Sozialamt.

Hilde Geißler würde gerne Geld vom Staat bekommen. Aber am Sozialamt hat man ihr gesagt, dass ihre Rente dafür zehn Euro zu hoch sei.

„Was? Du machst das ohne Bezahlung?“

Die Schmidts haben eine feste Woche. Morgens frühstücken sie zusammen. Dann geht jeder seiner Wege: Günther Schmidt betreibt Familienforschung, die letzte Chronik ist um 1900 geschrieben worden und voller Fehler. Außerdem interessiert er sich für Mittelamerika: Er spürt der Geschichte der Maya nach. Er hat dazu schon mehrere Vorlesungen an der Uni Hamburg besucht. Günther Schmidt ist es auch, der in der Zeitung die Werbeprospekte nach Angeboten für Duschgel, Brotaufstrich oder Milch durchforstet. Er hat sich ausgiebig mit der Frage beschäftigt, welchen Teppich er im Wohnzimmer verlegt haben will – und welchen Handwerker er damit beauftragt. Um 13 Uhr geht er mit dem Hund in Blankenese spazieren. An manchen Tagen besucht er Freunde, denen es gesundheitlich nicht mehr so gut geht. An anderen Tagen sitzt er im Wohnzimmer und liest Zeitung oder ein gutes Buch.

Seine Frau Margret ist an drei Tagen in der Woche unterwegs: Vor 16 Jahren hat sie den Vorsitz in einer Hilfsorganisation übernommen. Sie macht sich für benachteiligte Menschen stark, organisiert Benefizveranstaltungen, spricht mit Politikern und Prominenten, sammelt Spenden. Die Arbeit macht ihr großen Spaß.

Manchmal kommen die Kinder vorbei, außerdem gibt es fünf Enkelkinder. Die Schmidts spielen Golf, ab und zu fahren sie nach Berlin, gehen ins Museum, besuchen Konzerte. Manchmal fahren sie nach Föhr, in ihre Wohnung. Sie blicken direkt aufs Meer und erinnern sich an den Tag, als sie sich hier zum ersten Mal sahen.

Die Schmidts reisen gern. Sie haben herausgefunden, dass Kreuzfahrten eher nichts für sie sind. Auf dem Schiff waren Menschen, die sich von ihren 200.000-Euro-Autos erzählten. Das hat die Schmidts abgestoßen. Sie reisen lieber alleine: Flug nach Windhuk, übernachten in der Lodge, Safaris. Und wenn ein Platz im Flieger frei ist für einen Rundflug über die Namibwüste, dann fliegen die Schmidts mit. „Das ist dann ganz selbstverständlich“, sagt Günther Schmidt.

Margret Schmidt sagt, dass sie beim Golfspielen viele gelangweilte Ehefrauen trifft. Dass sie sich für andere Menschen einsetzt, löst bei den Frauen Erstaunen aus. „Was? Du machst das ohne Bezahlung?“, hätten sie gefragt.

Margret Schmidt möchte nicht, dass in der Zeitung steht, für wen sie sich ehrenamtlich engagiert. Dann könnte man herausfinden, wie sie heißt. Nur so viel: Sie engagiert sich nicht für bedürftige alte Menschen. Kennt sie denn arme Rentner? Margret Schmidt denkt nach, geht im Geiste die Straßen in ihrem Viertel durch, denkt an den Markt, die Freunde, die Bekannten und sagt schließlich: „Wir kommen nicht mit solchen Menschen zusammen.“

Ihr Mann Günther sagt, dass die Gesetze in Deutschland so gemacht seien, dass keiner im Alter arm sein muss. Er habe kein Mitleid mit Trunksüchtigen oder Menschen, die keinen Beruf auf die Reihe bekommen. Bettlern gebe er nie etwas. Er habe kein Mitleid mit Menschen, die keine Lust haben, etwas aus ihren Möglichkeiten zu machen. „Aber ich bedaure die Menschen, wenn sie es nicht selbst verschuldet haben.“

Kein Neid auf Reiche

Hilde Geißler macht die Reichen nicht für ihre eigene Armut verantwortlich. „Ich habe keinen Neid und keine Wut auf reiche Menschen. In Hamburg gibt es viele Wohlhabende, die Gutes tun, Geld spenden und Menschen helfen. Das sollten wir nicht vergessen.“

Manche Monate in Geißlers Rentnerleben waren teuer. Manchmal war das Geld so knapp, dass Geißler ihren Schmuck verkaufen musste. Zuletzt war das so vor ein paar Jahren. Sie fuhr am Ende des Monats mit der Bahn in die Innenstadt, zum Juwelier an der Mönckebergstraße. In ihrer Tasche trug sie eine lange Halskette aus Gold, mit einem dicken glitzernden Bernstein in der Mitte. Einst hatte Geißler ihrer Schwester die Kette im Wert von 400 Mark zum Geburtstag geschenkt. Als die Schwester starb, erbte Geißler die Kette zurück. Sie legte dem Juwelier das Schmuckstück auf die Theke, er wog es, prüfte den Goldgehalt. Dann gab er ihr 100 Euro. Der Monat war gerettet. Den Bernstein hat Geißler behalten.

Auch Schmidts mit Geldsorgen

Auch Günther Schmidt hat Geldsorgen. Die Wohnungen in Ostdeutschland kosten mehr Geld, als die Mieten hereinbringen, außerdem hat er ein anderes Investment in den Sand gesetzt. Schmidt sagt, dass er fast eine Million nachzahlen muss. Was für andere den Ruin bedeuten würde, ist für Schmidt einfach nur ärgerlich. Er hat genug Reserven, jetzt muss das Aktienpaket die Verluste wieder wettmachen. Er hat eine Regel aufgestellt: Die Aktien werden nicht verkauft, es wird aus den Erträgen gelebt. Vorsorglich hat er die Fernreisen in diesem Jahr gestrichen.

Margret Schmidt hat Angst davor, im Alter krank zu werden. Ihre Mutter hatte Alzheimer, sie hat sie bis zu deren Tod gepflegt. Aber man muss kämpfen, wenn man krank wird, sagt Margret.

Sie werden ihren Kindern ein gutes Vermögen vererben. Aber um die Finanzen ihrer Kinder brauchen sie sich sowieso keine Sorgen zu machen: Alle Kinder haben gute Jobs. Die gute Ausbildung hat sich ausgezahlt.

Wer ein paar Stunden mit Hilde Geißler in ihrem kleinen Wohnzimmer in Eilbek verbringt, der hört viele Geschichten eines langen Lebens, man lacht oder schüttelt den Kopf. Und man staunt. Vor allem darüber, dass Geißler nicht verbittert klingt, sie trägt keine Wut in sich.

Warum ist sie arm im Alter? Weil sie eine von vielen alleinstehenden Frauen in Hamburg ist. Weil sie viele Jahre eine Niedriglöhnerin war und ab und zu arbeitslos. Weil sie nicht fürs Alter vorsorgen konnte und nicht geerbt hat, denn nur jeder zweite Rentner in Deutschland hat ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung. Und schließlich, weil sie mittlerweile ein hohes Alter erreicht hat und die Inflation ihre Rente auffrisst. Die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch in Hamburg.

Wer ein paar Stunden mit den Schmidts in Blankenese zusammensitzt, lernt sympathische Menschen kennen. Sie haben sich immer sehr für das Wohl ihrer Kinder eingesetzt und geben viel an ihre Enkelkinder weiter, sie engagieren sich ehrenamtlich – und sie spenden. Sie protzen nicht mit ihrem Wohlstand – sie genießen einfach nur ihr Leben. Schließlich haben auch sie einiges durchgemacht.

Der Sohn bringt Hilde Geißler hin und wieder eine Tüte voll Lebensmittel

Warum also geht es ihnen so gut im Alter? Zunächst einmal sind sie zu zweit – Günther Schmidt gleicht die niedrige Rente seiner Frau aus. Er hat in seinem Beruf viel Geld verdient und konnte Immobilien und Aktien erwerben – wie viele Menschen in Hamburg. Außerdem bekommt er eine betriebliche Altersrente. Und schließlich hat Margret Schmidt von ihren Eltern geerbt.

Für die ganz verschiedenen Wege, die Hilde Geißler und die Schmidts gegangen sind, haben deutsche Journalisten, Politiker und Soziologen schon vor vielen Jahren ein Bild gefunden: die Schere. Die beiden Klingen reißen auseinander, immer weiter. Und alle sind sich einig: Die Schere zwischen Armen und Reichen gefährdet den sozialen Frieden, ein Abgleiten in eine Armutsgesellschaft muss verhindert werden, genauso wie die Exzesse der Elite.

Wer in Deutschland 2012 zu arbeiten beginnt und sein Leben lang Rentenbeiträge zahlt, kann als Rentner 42 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens erwarten. Das ist nicht einmal halb so viel wie in den Niederlanden: Dort kommen künftige Rentner auf 89 Prozent ihres Einkommens.

Es muss etwas getan werden für künftige und aktuelle Rentner, darüber sind sich Union und SPD bei ihren Koalitionsverhandlungen einig. Die Parteien haben sich auf einen Mindestlohn geeinigt. Wer ein langes Erwerbsleben hatte und trotzdem wenig Rente bekommt, soll jetzt mehr Geld erhalten, bis zu 850 Euro. Vorausgesetzt, ein Rentner hat 40 Jahre Beiträge gezahlt.

Der Sohn von Hilde Geißler kommt manchmal mit einer Tüte Lebensmittel vom Supermarkt vorbei, ein anderes Mal lädt er die Mutter zum Essen ins Restaurant ein. Der Sohn arbeitet seit 30 Jahren als Sozialpädagoge mit schwer erziehbaren Jugendlichen zusammen. Hilde Geißler, früher Model, eine, die gerne und viel in Bars tanzte, eine, die das Leben liebt. Sie hat ihrem Leben einen Duft gegeben. Chanel No. 5., Eau de Parfum. Kaum ein anderes hat sie aufgetragen in all der Zeit. Jedes Jahr zu Weihnachten bringt der Sohn ihr eine neue Flasche mit.

Das Herz macht Probleme, die Beine auch ein wenig. Hilde Geißler hat eine große Sorge: „Ich will niemandem zur Last fallen“, sagt sie. Schon gar nicht dem eigenen Sohn, schon gar nicht finanziell. Sie legt jetzt jeden Monat ein bisschen Geld zur Seite. Es soll mal für die drei Monate Miete reichen, die noch zu zahlen sind, wenn Geißler stirbt.