In Deutschland gibt es insgesamt 20 Aktivistinnen. Farbe, Menschen, Mut und nackte Körper sind es, was die Femen-Frauen nach eigenen Angaben für ihren friedlichen Protest für Menschenrechte brauchen.

Hamburg. Wofür sich Josephine Witt schämen würde, wären Fotos von ihr in der Zeitung, Bilder im Fernsehen, auf denen sie „nicht topless“ ist, sagt sie. Schließlich sind die Oben-ohne-Proteste von ihr und ihren weltweit etwa 200 Mitstreiterinnen das Markenzeichen einer Bewegung, die Femen heißt. Der nackte, vermeintlich ungeschützte Körper ist ihre Stärke.

Eine der letzten großen, publikumswirksamen Aktionen der Aktivistinnen in Hamburg war der Protest bei einem Auftritt von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) Ende Oktober, als Scholz über Flüchtlingspolitik sprach. Vor einem Jahr haben sich fünf Frauen in Hamburg zu einer Femen-Gruppe zusammengefunden. In ganz Deutschland gibt es um die 20 Aktivistinnen, neben Hamburg vor allem auch in Berlin. Für Femen allerdings spielt es keine Rolle, aus welcher Stadt die Frauen kommen, weil sie ohnehin über Ländergrenzen miteinander vernetzt sind.

Farbe, Menschen, Mut und nackte Körper sind es, was die Femen-Frauen nach eigenen Angaben für ihren friedlichen Protest für Menschenrechte brauchen. Das unterscheide sie von Demonstranten, die in der Masse eher untergingen. Sie bemalen ihre nackten Oberkörper mit Parolen und tragen Blumenkränze im Haar. So einen Blumenkranz wie ihn Josephine Witt beim Gespräch in der Gloria Bar in Eimsbüttel im langen braunen Haar trägt. Die Frauen tragen an diesem Abend schwarze T-Shirts mit dem Femen-Logo und mit der Parole Sextremismus. So nennen sie ihre Protestform.

Wer sich nackt vor Hamburgs Erstem Bürgermeister zeigt, wer auf der Hannover Messe Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Staatschef Wladimir Putin barbusig entgegenrennt oder in Heidi Klums Sendung „Germanys Next Topmodel“ die Hüllen fallen lässt, will mehr als nur protestieren. Die Frauen wollen auffallen – und für ihre Sache einen Schritt weiter gehen als andere. Sie sind jung und hübsch, zwischen 19 und 33 Jahre alt, und wütend auf das bestehende Gesellschaftssystem. „Wir zeigen unser Gesicht, und dadurch unsere Überzeugungen, mit Stimme und Körper“, sagt Irina Khanova, 33, Grafik-Designerin aus Harburg. Die gebürtige Russin engagiert sich für die Rechte von Frauen, seitdem sie die Prozesse gegen die russische Punkband Pussy Riot verfolgt hat. „Dass Frauen wegen eines friedlichen Protestes gegen Putin ins Gefängnis müssen, das hat mich sehr schockiert.“

Die Ursprünge von Femen liegen in der Ukraine. Nach der Gründung 2008 war die Gruppe zunächst nur dort aktiv und wandte sich mit der Parole „Die Ukraine ist kein Bordell“ gegen Sextourismus. Ein Thema, das Irina Khanova bewegt. „Dass es in Deutschland als normal angesehen wird, eine Frau für Sex kaufen zu können, ist ungerecht.“

Ihr Engagement habe weniger mit Feminismus zu tun, es richte sich gegen jegliche Ungerechtigkeit. Mit ihren Femen-Schwestern war Irina Khanova Anfang des Jahres nackt durch die Herbertstraße gezogen. Sie schrien laut „Die Frau ist keine Ware“. Wütend sehen sie bei solchen Protesten aus. Sie tragen eine Wut in sich, die allerdings auch trainiert werden muss. Sie proben, um ihre Wut mit Mimik auszudrücken. Regelmäßig treffen sich Irina und die anderen zu Protest-Trainings. Dabei machen sie nicht nur Liegestützen, um fit zu bleiben. Sie üben, richtig zu fallen und sich aus dem Griff von Polizisten oder Sicherheitsleuten zu winden, ohne dabei aktiv Widerstand zu leisten. Denn das wäre strafbar.

„Wir wehren uns nicht, lassen uns aber auch nicht so einfach wegzerren“, sagt Hellen Langhorst, 23, aus Wilhelmsburg. Man nutze die legalen Grenzen des friedlichen Protestes. Halbnackt zu demonstrieren, das ist in Deutschland erlaubt. Die Themen des Protestes werden nicht wahllos bestimmt. Hellen Langhorst: „Wir entscheiden uns nicht nur für eine Sache, die Themen sind weit gefächert.“ Protestpotenzial gebe es genügend. Mit ihrem Auftritt bei der Rede von Olaf Scholz wollten sie das Thema Flüchtlingspolitik „pushen“. „Frauenrechte sind Menschrechte. Eine Femen-Aktivistin kam selber als Flüchtling nach Deutschland und musste zwei Jahre warten, ehe ihr Aufenthaltsstatus geklärt war“, sagt Hellen.

Manche finden diese Protestform naiv. Dabei geht es den Femen-Frauen darum, mit einfachen Mitteln Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Wer mitmacht, müsse keine wissenschaftlichen Abhandlungen gelesen haben über Feminismus, sagt Irina Khanova. Das Handeln stehe im Mittelpunkt. Josephine Witt hatte sich mit dem theoretischen Feminismus beschäftigt und sich einer Gruppe angeschlossen. Das war ihr aber zu viel Gerede, zu wenig Aktion. „Die Probleme liegen auf der Straße, nicht in politischen Diskursen“, sagt die 20-Jährige. Nach ihrem Abitur war die Bergedorferin ein Jahr lang in Bolivien und hat dort mit Straßenmädchen gearbeitet. „Die arbeiten dort mit elf Jahren als Prostituierte, werden schwanger und müssen ihre Babys illegal abtreiben lassen. Auf diese Probleme habe ich Antworten gesucht“, sagt die Philosophiestudentin. Die Ungerechtigkeit, der diese Mädchen ausgesetzt seien, habe sie nach ihrer Rückkehr nach Hamburg nicht mehr losgelassen.

Ein halbes Jahr ist sie nun bei Femen. Eine Zeit, in der sehr viel passiert ist. 29 Tage lang war sie im tunesischen Gefängnis, weil sie sich in Tunis ausgezogen hatte, um für die Freilassung einer Frauenrechtlerin zu demonstrieren. Eingepfercht mit 30 anderen Frauen in einer Zelle, habe sie dort ständige Demütigungen durch Soldaten und Gefängniswärter erlebt. Sie musste nackt niederknien und sich von Wärterinnen begutachten lassen. Der Mangel an Platz, an Hygiene und frischer Luft, dazu die Ungewissheit, wann sie wieder rauskommt, hätten sie an ihre Grenzen gebracht. Aber sie sei auch entschlossener geworden. Ihre Eltern, bei denen sie lebt, seien zwar nicht sonderlich stolz auf das Engagement ihrer Tochter, „aber sie lieben mich und machen sich bei mir noch mehr Sorgen, als es Eltern ohnehin tun“, sagt Josephine.

Für den Oben-ohne-Protest gibt es kein Lehrbuch. Es koste jedes Mal aufs Neue Überwindung, sich auszuziehen und zu protestieren, sagt Josephine. Und schiebt hinterher: „Bislang habe ich es immer geschafft, mir rechtzeitig das Oberteil abzustreifen.“