Gesundheitsbehörde legt erstmals Analyse zu ärztlicher Versorgung der Hamburger vor. Lage in den Walddörfern und Elbvororten sehr gut

Hamburg. In Hamburgs Süden, in Heimfeld, Eißendorf, Cranz und Altenwerder, erkranken besonders viele Kinder an Asthma und Bronchitis. „Und man sollte erwarten, dass in diesen Stadtteilen auch besonders viele Kinderärzte niedergelassen sind. Das ist in Hamburg jedoch nicht der Fall“, sagt Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Die Erkenntnis der Senatorin ist das ernüchternde Ergebnis eines Gutachtens, das erstmals die Krankheitslast und die ärztliche Versorgung der Hamburger in den einzelnen Stadtteilen analysiert. Demnach gibt es deutliche regionale Unterschiede – sowohl bei den betroffenen Regionen mit Kinder- und Volkskrankheiten als auch bei der Anzahl der vorhandenen Ärzte. Die Folge: Insbesondere sozial benachteiligte Stadtteile sind deutlich unterversorgt.

In Auftrag gegeben hat das Gutachten zum „kleinräumigen Versorgungsbedarf in Hamburg“ die Gesundheitsbehörde. Dabei hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) die Diagnosen und Leistungen aus den ambulanten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) von 2011 einbezogen. Untersucht wurden die Arztbesuche der gesetzlich Krankenversicherten. Diese Gruppe macht etwa 90 Prozent der Hamburger aus, also 1,5 Millionen Menschen. Die restlichen rund zehn Prozent, die Privatversicherten, sind nicht Bestandteil des Gutachtens.

Mit dem nun vorliegenden Papier „können wir die nächsten Schritte einleiten, um durch eine gezielte Versorgungsplanung die Situation insbesondere für unterversorgte Stadtgebiete zu verbessern“, sagt Prüfer-Storcks. So ist die Lage in den südlichen Stadtteilen Heimfeld, Eißendorf, Cranz und Altenwerder dramatisch, denn dort gibt es keinen Kinderarzt. 8000 junge Hamburger leben aber dort. Kaum besser ist die Situation in Lurup, wo ein Kinderarzt auf 3274 Kinder kommt, oder auf der Veddel und in Wilhelmsburg, wo das Verhältnis 1:2978 ist. Dort übernehmen oft die Hausärzte die Aufgaben der Kindermediziner. Im Durchschnitt kommt in Hamburg ein Kinderarzt auf 1839 Einwohner. Die Stadtteile mit der höchsten Krankheitsdichte im Kindes- und Jugendalter sind Wilhelmsburg-Veddel, Poppenbüttel, Harburg und Lurup. In Neuallermöhe findet sich die niedrigste Erkrankungsdichte.

Auch bei den Volkskrankheiten Herzinsuffizienz, Diabetes und Bluthochdruck gibt es bei den Hamburgern ab 18 Jahre besonders stark betroffene Stadtteile, die eine unterdurchschnittliche Versorgung durch Hausärzte haben. In Hausbruch etwa kommt ein Hausarzt auf 3401 Einwohner. Deutlich über dem Hamburger Durchschnitt liegen wiederum Steilshoop, Farmsen-Berne und Tonndorf. Im Durchschnitt kommt in der Hansestadt ein Hausarzt auf 1211 Einwohner.

Deutliche regionale Unterschiede sind zudem bei den 65- bis 79-Jährigen erkennbar, die unter Herzinsuffizienz, Diabetes, Bluthochdruck, Depression und/oder Demenz leiden. Besonders oft betroffen sind die Menschen in Horn, den Regionen um Rothenburgsort und Wilhelmsburg, Billstedt, Borgfelde/St. Georg und Jenfeld. Weniger betroffen sind die Stadtteile im Südosten, im Norden und im Westen Hamburgs. Unterversorgt sind Steilshoop (1:414), Tonndorf (1:323) und Hamm (1:289). Durchschnittlich kümmert sich in Hamburg ein Hausarzt um 201 Patienten im Alter von 65 bis 79 Jahren.

Prüfer-Storcks zufolge steht die ungleiche Verteilung der Ärzte „in einem deutlichen Zusammenhang“ mit sozialen Faktoren wie die Zahl der Hartz-IV-Empfänger oder die Wohnfläche pro Person. Das betrifft insbesondere Neuallermöhe, Wilhelmsburg, Harburg, Hausbruch, Dulsberg, Steilshoop und Jenfeld. Kaum zu spüren ist die Belastung in den Walddörfern, den Elbvororten, rund um die Alster, in Eppendorf, Lokstedt und Alsterdorf.

„Was wir in einer ersten Analyse des Gutachtens sehen, ist, dass die hausärztlichen und kinderärztlichen Leistungen nicht immer in den Stadtteilen erbracht werden, in denen die Menschen den größten Bedarf haben“, sagt die Senatorin und spricht von einem „alarmierenden Ergebnis“. Es bestehe Handlungsbedarf. „Wir müssen bei der künftigen Bedarfsplanung stärker den regionalen Bedarf in den Blick nehmen und Ärztinnen und Ärzte dahin bringen, wo sie am dringendsten gebraucht werden“, fordert Prüfer-Storcks. Man müsse sich bei jeder Schließung oder Verlegung einer Arztpraxis fragen, ob das an dieser Stelle hinnehmbar sei. „Brauchen wir diese Praxis an dieser Stelle, oder ist es möglich, dass sie in einen anderen Stadtteil verlegt wird?“ So hofft die Senatorin, dass sich die Kassenärztliche Vereinigung bei der Planung der Arztsitze in Hamburg künftig stärker um die sozial benachteiligten Stadtteile kümmert.

Weitere Ursachen für die ungleiche Verteilung sind laut Senatorin Prüfer-Storcks das Versicherungssystem und die ungleichen Honorarordnungen. „Es gibt einen deutlichen finanziellen Anreiz, sich in Stadtteilen niederzulassen, die eine hohe Quote von Privatversicherten haben.“ Darum setze sie sich mittelfristig für eine einheitliche Honorarordnung ein, in der der Behandlungsbedarf der Patienten zähle.