An Hamburgs Schulen sind 18 ausländische Referendare im Einsatz. Sie können gute Vorbilder für ihre Schüler abgeben. In Hamburg gibt es einjährige Anpassungsqualifizierungen.

Harburg/Rissen. So eine Doppelstunde Englisch kann ganz schön lang sein. Vitali Zaretski hat einen schweren Aktenkoffer mitgebracht und eine Pinnwand mit bunten Zetteln. Darauf stehen die Punkte, die der Englischlehrer an diesem Schulmorgen behandeln will.

Routiniert gelangweilt sitzen die 20 Neuntklässler der Lessing Stadtteilschule in Harburg auf ihren Plätzen. Sie sprechen Türkisch, Russisch, Polnisch, Kurdisch und miteinander deutsch. Aber Englisch? Genau darum geht’s, und deshalb sollen sie erst einmal eine Konversationsübung machen. Während Ole und Yasmin über ihre Erlebnisse am Vortag radebrechen, mischt Zaretski sich unter die Schüler. „What did you do yesterday?“ Seine Aussprache ist britisch und sehr klar. Der Akzent des 38-Jährigen fällt im Englischen nicht auf.

Er ist einer von 18 sogenannten Weltlehrern, die seit diesem Schuljahr in Hamburg im Einsatz sind. Sie kommen aus Spanien, Großbritannien, dem Iran, Litauen, Polen, Russland, der Ukraine, Slowakei, Ungarn, Griechenland. Vitali Zaretski kommt aus Weißrussland. Wie die anderen hat er in seiner Heimat studiert und als Lehrer gearbeitet. Eine Chance auf einen Job im Schuldienst hatte er trotzdem nicht. Zwar ist sein Berufsabschluss inzwischen anerkannt worden, aber um als Pädagoge an einer Schule arbeiten zu dürfen, fehlt ihm die Unterrichtserfahrung im hiesigen Schulsystem.

Auch die Griechin Efi Lagou hat sich für Hamburg entschieden

In Hamburg gibt deshalb eine einjährige Anpassungsqualifizierung. Hinter dem sperrigen Namen steckt ein bundesweit einzigartiges Programm, das zur „Interkulturalität an Schulen“ beitragen soll, sagt Christiane Eiberger, Projektleiterin am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung. Denn: 65 Prozent der Hamburger Schüler kommen aus nicht-deutschen Familien. „Ein ausländischer Lehrer kann ein ganz anderes Vorbild sein und zwischen den unterschiedlichen Lern- und Lehrkulturen vermitteln“, so Eiberger. Bereits zum vierten Mal läuft die Maßnahme inzwischen, erstmals ist sie nicht mehr beschränkt auf EU-Bürger. „Globalisierung über Bildung“, nennt die Projektleiterin das.

Efi Lagou könnte jetzt auf der griechischen Insel Kreta unterrichten oder auf Naxos, bei Mittelmeer-Feeling und sommerlichen 22 Grad. Aber sie hat sich für Hamburg entschieden. Es ist noch fast dunkel, als die 27-jährige Griechin den Schulcontainer auf dem Gelände der Stadtteilschule Rissen aufschließt. Mit ihren knapp 1,60 Meter ist die Lehrerin für Deutsch und Philosophie kaum größer als die Sechstklässler, mit denen sie gleich das Jugendbuch Großstadtkrokodile behandeln wird. Insgesamt zwölf Stunden unterrichtet sie pro Woche, vor allem in der Unter- und Mittelstufe. Dazu kommen die Seminare am Landesinstitut. „Es läuft gut und macht mir viel Spaß“, sagt Efi Lagou.

Sie weiß, wie die deutsche Schule funktioniert. Efi Lagou wurde in Frankfurt geboren, hat dort Abitur gemacht. „Ich sprach besser Deutsch als Griechisch“, sagt sie. Trotzdem entschied sie sich für ein Studium in Thessaloniki. Wegen ihres Freundes, auch ein Grieche, kam sie Ende 2011 nach Hamburg zurück. „Ich habe mir das damals nicht so schwierig vorgestellt. Ich hatte ja Diplom- und Masterabschluss“, sagt sie. Um sich durchzuschlagen, machte Lagou Integrationskurse für die AWO, gab Nachhilfe. Dann hörte sie von dem Programm, bewarb sich und wurde unter den 120 Kandidaten ausgewählt. Dass sie mit knapp 900 Euro Referendariatssalär auskommen muss, stört sie nicht. „Es ist eine tolle Chance.“

Vieles ist ganz anders als in den Schulen in der Heimat. „In Weißrussland sind Lehrer eine absolute Autoritätsperson. Da muss man nicht viel diskutieren“, sagt Vitali Zaretski. „Hier muss man sich Respekt und Autorität hart erarbeiten.“ Vor 13 Jahren war der junge Lehrer für Englisch und Deutsch aus dem von dem autoritären Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko regierten Land über ein internationales Projekt nach Hannover gekommen. Deutschland, sagt Zaretski in einer bedächtigen und höflichen Art, habe ihn immer interessiert. Er blieb, fing noch einmal an zu studieren, wieder Anglistik und Germanistik. Nebenbei jobbte er bei einem Sprachinstitut, bekam eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Auch Vitali Zaretski bewarb sich sofort, als er von dem Anpassungslehrgang hörte. „Auch, weil Hamburg meine Traumstadt ist.“ Jeden Tag fährt er jetzt 45 Minuten von seiner kleinen Wohnung in Alsterdorf nach Harburg. Er sagt, dass der Start gut war, viele Kollegen unterstützten ihn. „Aber es ist nicht einfach. Ich muss noch viel lernen“, sagt Zaretski. Er spricht sehr gut Deutsch, aber man hört den Akzent deutlich. Es gibt auch noch vieles andere Unbekannte. „Auch Kleinigkeiten“, sagt er und erzählt mit einem Augenzwinkern, wie ihm zum ersten Mal jemand was von „WAZ“ erzählt hat. Er habe gar nicht kapiert, um was es ging. Inzwischen weiß er, dass das „Wochenarbeitszeit“ bedeutet und für Lehrer sehr wichtig ist.

„Es kann uns nur gut tun, wenn jemand aus einem anderen Kulturkreis kommt und neue Ideen einbringt“, sagt Schulleiter Claas Grot von der Stadtteilschule Rissen, wo Efi Lagou jetzt im Einsatz ist. Voraussetzung sei für ihn, dass die Lehrer, die im ganz normalen Stundenkontingent und nicht zusätzlich eingesetzt werden, fließend Deutsch sprächen. Trotzdem gibt es in den Lehrerzimmern der Stadt auch immer wieder Irritationen über die ausländischen Kollegen. Auch wenn offen darüber niemand sprechen will, auch manche Eltern sind skeptisch. „Das ist ein Prozess. Wir müssen ihnen die Chance geben, sich zu entwickeln“, sagt Rudolf Kauer, der die Lessing Stadtteilschule mit Kindern aus 22 Nationen leitet, darunter etliche mit Wurzeln in den ehemaligen Sowjetrepubliken – so wie Vitali Zaretski.

Zwölf Schulen machen im Augenblick mit. Bezahlt werden die Weltlehrer aus dem Topf für Referendare. Das bedeutet allerdings auch, dass zehn Prozent der ohnehin knappen Plätze weniger für die deutschen Bewerber zur Verfügung stehen. „Nicht alle finden das gut“, weiß Projektleiterin Eiberger. Sie betont, dass inzwischen auch andere Bundesländer sich für den Hamburger Weg interessieren. Denn die Erfolgsquote ist hoch. Von den 33 ausländischen Lehrern, die bislang das Projekt absolviert haben, haben nur drei nicht bestanden. Alle anderen haben danach Arbeit gefunden.

Auch Efi Lagou möchte in Hamburg bleiben. Sie sieht sich als „Multiplikatorin für die kulturelle Vielfalt“. Bei ihren Schülern ist die junge Griechin sehr beliebt. „Sie kann gut erklären“, sagen die Rissener Sechstklässlerinnen Sara und Katja. Ganz ähnlich fällt das Urteil von Neuntklässler Sebastian aus Harburg aus: „Herr Zaretski ist weniger umständlich.“ „Ich möchte den Jugendlichen Fachwissen und Erziehung vermitteln“, sagt dieser. „Und ich möchte sie ermutigen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Dafür stehe ich, das ist mein Auftrag.“