Juan Francisco Cuello Santacreu und Isaac Rafael Bañuls Llacer wollen der Krise in Spanien entfliehen. Sie ziehen von Valencia nach Hamburg. Sie werden für Frank Körbelin arbeiten, der eine Bauklempnerei leitet. Gesehen haben sich die drei noch nie.

Frank Körbelin suchte zwei neue Mitarbeiter. Er hatte mehrere Kandidaten zur Auswahl. Er hätte in den Lebensläufen lesen können, dass seine beiden Favoriten kaum eine richtige Berufsausbildung haben und dass sie schon lange arbeitslos sind. Er hat es aber nicht gelesen. Er hat die Lebensläufe gar nicht gelesen. Sondern sich nur die Bewerbungsfotos angesehen.

Es ist Anfang September 2013. In vier Wochen wird Frank Körbelin, Chef der Bauklempnerei „Auf der Hart“ in Hamburg-Jenfeld, seine beiden neuen Mitarbeiter Juan Francisco Cuello Santacreu und Isaac Rafael Bañuls Llacer zum ersten Mal sehen. Körbelin hat die beiden ausgewählt, weil er an ihren Bewerbungsfotos gesehen haben will, dass sie gute Klempner sind.

Frank Körbelin sagt, dass in Deutschland ein Boom in der Baubranche begonnen habe. Zehn goldene Jahre. In Hamburg entstehen neue Wohnungen, Schulen, Kitas. Körbelins Firma „Auf der Hart“, 50 Mitarbeiter, installiert die Haustechnik – von den Wasserrohren über die Heizungen bis zum Badezimmer. Früher bewarben sich auf einen Ausbildungsplatz 80 junge Menschen – heute nicht mal zehn, und viele seien nicht geeignet. Deshalb will er jetzt neue Wege gehen.

Frank Körbelin hat die neuen Mitarbeiter nicht selbst angeworben – sondern hat sie sich vermitteln lassen. 7000 Euro hat er dafür an den Personalberater Stephan Behringer gezahlt (Abendblatt berichtete).

„Spanier sind es gewohnt, robust zu arbeiten“, sagt Frank Körbelin. Er macht häufiger in Spanien Urlaub, hat die Krise dort gesehen. „Aber ich bin kein Gutmensch. Ich habe hohe Qualitätsansprüche“, sagt er. Und rechnen muss sich die Sache: Der Tariflohn liegt bei 12,26 Euro für Beschäftigte, die nach der Ausbildung zwei Gesellenjahre gearbeitet haben. Die beiden Spanier werden zunächst den Stundenlohn erhalten, den Auszubildende bekommen, wenn sie nach der Ausbildung übernommen werden: 9,88 Euro pro Stunde. Ausbeuten will er die beiden nicht, sagt Körbelin: „Wenn ich erkenne, dass sie gern bei mir arbeiten und bleiben wollen, erhöhe ich den Lohn.“

Er hat den Spaniern eine günstige Wohnung in Wilhelmsburg besorgt, seine Mitarbeiter werden sich in den ersten Tagen um die Spanier kümmern. Für Sprachprobleme hat er Verständnis. Auch dafür, dass die beiden Spanier zu Hause unter völlig anderen Bedingungen gearbeitet haben. „Was sie nicht können, das bringen ihnen meine Leute auf der Baustelle bei.“

Die wichtigste Frage für Frank Körbelin lautet: „Wie weit wollen sie sich integrieren lassen?“

Seit den 60er-Jahren kommen Menschen zum Arbeiten nach Deutschland. Sie hießen Gastarbeiter, weil sie hier zu Gast waren. Und weil man sie wieder wegschicken wollte, wenn man sie nicht mehr brauchte.

Im Jahr 2013 braucht Deutschland dringend Gastarbeiter – oder, wie man sie heute nennt: Arbeitsmigranten. Der Fachkräftemangel macht sich in allen Branchen bemerkbar. Im vergangenen Jahr kamen 30.000 Spanier nach Deutschland, davon 1400 nach Hamburg. Wichtig ist, dass die Fachkräfte nicht nur kommen – sondern auch bleiben. Während im vergangenen Jahr 1400 Spanier nach Hamburg kamen, zogen 500 Spanier wieder weg.

Die Europäische Union macht es möglich. Die neuen Gastarbeiter aus Spanien, Griechenland oder Portugal können arbeiten, wo sie wollen. Wenn sie keine Lust mehr auf Deutschland haben, gehen sie in ein anderes EU-Land. Es geht also nicht nur um die Frage, ob sich die Arbeitsmigranten hier integrieren. Sondern auch um die Frage, welche Willkommenskultur Deutschland mittlerweile hat.

Die Region um Valencia war eine Boom-Region. Jeder wollte ein eigenes Haus, eine eigene Wohnung haben. Die Banken gaben Geld, die Menschen ließen bauen und konsumierten eifrig, Arbeitslosigkeit gab es nicht, allen ging es gut. Dann platzte die Blase. In der Region Valencia ist jeder Dritte arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen liegt bei 56 Prozent. Von einer „verlorenen Generation“ spricht man hier.

Benissa, eine Autostunde von Valencia entfernt. Juan Francisco Cuello Santacreu steht vor einer Bauruine. Er kann zeigen, wo die Krise begann: Als das Gebäude zur Hälfte fertig war. Es kam kein Geld mehr vom Auftraggeber, und deshalb ist das Gebäude zur Hälfte ein Wohnhaus – und zur anderen Hälfte eine Ruine. Im Innenhof sollte ein Swimmingpool gebaut werden. Juan Francisco Cuello Santacreu ist Klempner. Er hat an dem Haus mitgebaut. Jetzt ist er arbeitslos.

Juan schließt die Tür zu seinem Elternhaus auf. Es ist ein großes Haus, hier wohnen auch Juans Großeltern und ein Onkel mit seiner Familie. Im Alter von 30 Jahren ist Juan wieder hier eingezogen. Die Miete von 450 Euro im Monat für seine Wohnung war zu teuer. Jetzt ist er 32. Er hat sein Kinderzimmer wieder bezogen, seine Mutter kocht und wäscht seine Wäsche. Seine Eltern sind Rentner, von der Rente lebt jetzt auch Juan. So ist das bei vielen Familien in Spanien. In der Krise steht die Familie zusammen. Das ist das Gute an dem Ganzen. Das schlechte: Juans Lebensentwurf ist gescheitert.

Juan erzählt, dass schon sein Vater Klempner war. Es gab viel Arbeit, also stiegen auch Juan und sein Bruder in den Betrieb ein. An bis zu 30 Häusern bauten die Brüder im Jahr mit. Zuletzt waren es zwei Häuser im Jahr. Sein Bruder soll den Betrieb jetzt weiterführen, für Juan ist nicht genug Arbeit da.

Im April hat er im Internet gesehen, dass in Deutschland Klempner gesucht werden. In vier Wochen beginnt sein Job bei der Bauklempnerei „Auf der Hart“ von Frank Körbelin.

Mit Deutschland verbindet Juan: München, Oktoberfest. Aber Hamburg? Damit kann er nichts anfangen. Er war noch nie im Ausland. Er ist auch noch nie mit dem Flugzeug geflogen. Warum auch, sagt Juan. „Wenn es einem gut geht, hat man nicht das Bedürfnis, woanders zu sein.“

Juan setzt sich an den großen Tisch im Wohnzimmer, auch seine Eltern sind dabei. Juans Mutter sagt, dass Juan jetzt seinen Weg gehen muss. Sein Vater sagt, dass es nicht danach aussehe, dass die Lage hier besser wird. „Ein Kind vermisst man immer“, sagt die Mutter.

Seit Juan weiß, dass er nach Deutschland ziehen wird, lernt er Deutsch wie ein Besessener. In seiner Freizeit läuft er Marathon. Ab jetzt ist die deutsche Sprache wie ein Marathon für ihn. Er steht am Anfang. Eine andere Sprache hat er noch nie gelernt. Er hat eigentlich auch keinen Beruf gelernt: In den Job rutschte er so rein, es war ja genug Arbeit da. Bei seiner Vermittlung nach Deutschland ist auch ein Crashkurs Deutschland inklusive: 168 Stunden deutsche Sprache plus ein Kurs bei einem deutschen Klempner, der in der Nähe von Valencia lebt.

Juan weiß jetzt, dass die Deutschen anders arbeiten als die Spanier. In Spanien gibt es zwei Stunden Mittagspause, der Arbeitstag dauert bis in den Abend hinein. Die Deutschen beginnen früher, haben weniger Pause und eher Feierabend. „Das größte Problem ist das Wetter“, sagt er. 30 Grad hat es im Oktober in Valencia, in Deutschland soll es ja kalt sein. Außerdem hat er gehört, dass die Deutschen früh und schnell zu Abend essen. In Spanien isst man bis spät in die Nacht. Kochen kann er nicht. Das macht auch seiner Mutter Sorgen. Ihre Hoffnung gründet darauf, dass Juan nicht allein nach Deutschland fährt.

Eine halbe Autostunde von Valencia entfernt, in der kleinen Stadt Canals, lebt Isaac Rafael Bañuls Llacer. Bislang haben er und Juan nur Kurznachrichten per Handy ausgetauscht. Ab Oktober sollen sie in Hamburg in einer WG leben. Die Krise führt sie zusammen.

Isaac, 29, ist ein fröhlicher Mensch. Er zeigt die Vierzimmerwohnung, in der er mit seiner Mutter lebt: Sein Zimmer sieht aus wie ein Jugendzimmer: ein Bett, ein Schrank, Boxerhandschuhe. Das Terrarium hat er selbst gebaut: hier wohnt Leguan Susanna. So hieß seine Ex-Freundin, sagt er und lacht.

Wenn Isaac über die Krise spricht, lacht er nicht. Sein Vater ist vor zehn Jahren gestorben, seine Mutter lebt von der Witwenrente. Die Wohnung gehört der Familie. Noch. Die Raten können sie kaum noch zahlen. Isaac führt ins Esszimmer der Familie, auch sein Bruder ist da. Auch er ist arbeitslos. Die Mutter stellt Paella, Tortilla und Tapas auf den Tisch. Die meisten Zutaten kommen aus dem Garten.

Isaac will wissen, ob in Hamburg schon Schnee liegt. Er weiß nichts über Hamburg. Er braucht Geld – egal woher. Vor zwei Wochen ist er aus der Schweiz zurückgekehrt. Dort hat er einen Monat Aprikosen gepflückt, für 12 Franken die Stunde, knapp zehn Euro. Spaß hat es ihm nicht gemacht. Er ist kein Aprikosen-Pflücker. An der Tür zu seinem Zimmer klebt ein Aufkleber mit seinem Namen drauf – daneben steht das Wort „Fontanero“, Klempner.

Vor neun Jahren hat er angefangen, als Klempner zu arbeiten – wie sein Vater. Er wollte immer einen eigenen Betrieb haben – wie sein Vater. Es reichte nur zum Angestellten. Er war der letzte von zehn Beschäftigten, der 2010 entlassen wurde. Seine Mutter sagt, dass Isaac in den vergangenen Monaten deprimiert war. Er hat die Küche in der Wohnung renoviert, um Zeit rumzukriegen. „Aber seit er weiß, dass er nach Deutschland geht, hat er Hoffnung.“

Deutschland ist ein kaltes Land, sagt Isaac. Er spricht nicht nur von der Temperatur. Er rechnet mit Ablehnung. Es wird Leute in Hamburg geben, die nicht langsam sprechen wollen, weil Isaac sie nicht versteht.

Aber er will es schaffen. Er muss es schaffen. Damit es mit dem Heimweh nicht so schlimm wird, will er Reis mitnehmen für Paella. Denn kochen kann er. Seiner Mutter will er bis zur Abreise noch das Computerprogramm Skype beibringen. Damit er mit ihr per Internet telefonieren kann. Isaac will drei Jahre in Deutschland bleiben, die Sprache lernen. Wenn es dann gut läuft, dann will er ganz bleiben. Auch seine Freundin könnte nachkommen. Sie jobbt bei McDonald’s, geht putzen, verkauft Orangen, um über die Runden zu kommen. Für Isaac steht fest: „Spanien ist für mich ab jetzt ein Urlaubsland.“

„Hamburgs neue Gastarbeiter“ ist eine Serie in loser Reihenfolge. In der kommenden Woche lesen Sie, wie die spanischen Klempner Hamburg kennenlernen.