Erzieher gesteht Missbrauch von Kita-Kindern und geht Deal mit Gericht ein. So kommen die traumatisierten Jungen und Mädchen um Aussage herum.

Hamburg. Stefan H. sitzt da, als ginge ihn das alles nichts an. Sein Blick wandert von den Zuschauern über das Gericht und dann zu jenen Eltern, deren Kinder er missbraucht hat. Es ist ein ausdrucksloser, halb gelangweilter Blick. Einige Eltern, die als Nebenkläger im Saal sind, brechen in Tränen aus, andere wenden ihre Augen ab.

Von Reue oder Scham ist bei dem pädophilen Ex-Erzieher nichts zu spüren. Im Gegenteil: Der 30-Jährige mit dem blonden Pferdeschwanz und dem roten Kapuzenpullover bemüht sich, seine Taten herunterzuspielen – bis dem Vorsitzenden Richter Ulrich Weißmann der Kragen platzt.

Der hochgewachsene 30-Jährige mit den weichen Gesichtszügen steht seit Montag vor dem Landgericht, weil er als Kita-Erzieher mehrere seiner Schützlinge sexuell missbraucht haben soll. Betroffen sind Jungen und Mädchen im Alter von drei bis neun Jahren. Ohne dass seine Kollegen Verdacht schöpften, verging sich der 30-Jährige in der Kita am Kriegerdankweg (Schnelsen) an ihnen. Zudem missbrauchte er in seiner Wohnung in Norderstedt eine Vierjährige.

Bereits Mitte September hat das Gericht eine sogenannte verfahrensabkürzende Verständigung erörtert. Ein Instrument der Strafprozessordnung, das sich bei Verfahren bewährt hat, in denen Kinder derart massiv betroffen sind wie in den Stefan H. zur Last gelegten Taten. Gesteht der Angeklagte die Vorwürfe, kann das Gericht von einer Zeugenvernehmung seiner Opfer absehen und ihnen eine Retraumatisierung ersparen. Als Gegenleistung stellt es dem Täter eine Strafobergrenze in Aussicht – in diesem Fall sind das fünfeinhalb Jahre Haft und ein Berufsverbot.

Doch auf den „Deal“, so erzählt es Weißmann nach zähen Beratungen hinter verschlossenen Türen, wolle der 30-Jährige nur eingehen, wenn das Verfahren zu Anklagepunkt fünf eingestellt wird. Im Kern wird Stefan H. in diesem Punkt zur Last gelegt, einen Jungen zu schwersten sexuellen Handlungen gezwungen zu haben. Werde der Vorwurf aufrechterhalten, werde er sowohl diesen Fall wie auch zwei weitere Fälle nicht einräumen, kündigt Stefan H. über seine Verteidiger an. Um den Jungen vor einer traumatischen Vernehmung inklusive psychologischem Glaubwürdigkeitsgutachten zu schützen, stimmen Gericht und Staatsanwaltschaft seinen Bedingungen zu. Die Logik des Systems bedingt, dass durch diesen Winkelzug des Angeklagten Opfer- letztlich auch zu Täterschutz wird. „Da macht man nicht nur eine, da macht man zwei Fäuste in der Tasche“, sagt Hans-Ulrich Stracke, Anwalt des Kindes, am Rande des Prozesses. „Aber am Strafmaß hätte das nicht viel geändert. Hauptsache, der Junge ist aus der Schusslinie.“

Bevor Stefan H. in Schnelsen anfing, hatte die Staatsanwaltschaft bereits wegen eines Missbrauchsverdachts in einer Winsener Kita gegen ihn ermittelt, das Verfahren wurde jedoch schnell eingestellt. 2011 kam er nach Schnelsen, Anfang 2013 nach Norderstedt. Einige Eltern verpflichteten den „ruhigen und sympathischen“ Erzieher sogar als Babysitter. Sie sollten sich grundlegend getäuscht haben, Stefan H. nutzte immer wieder Gelegenheiten für sexuelle Zwecke aus. Von zwei kleinen Mädchen, darunter einem Wickelkind, machte er in einem abgetrennten Raum der Kita pornografische Fotos und berührte sie unsittlich. Einem Jungen langte er im von ihm „Gruselkeller“ getauften Waschkeller der Kita in die Hose, ebenso einem Neunjährigen. Im Februar 2013 betreute er übers Wochenende eine Vierjährige in seiner Wohnung, nötigte sie zu sexuellen Handlungen, fotografierte sie fast 300-mal und filmte sie in aufreizenden Posen.

Auf seinem Computer fanden Ermittler zudem „brutalste Gewaltbilder"

Am Nachmittag ist Stefan H. zu einem Geständnis bereit. Mit tonloser Stimme erzählt er von seiner „problematischen Kindheit“. Wie er in der Schule gemobbt und ausgegrenzt worden sei, wie er erst als Erzieher Anerkennung gefunden habe. Und wie er irgendwann merkte, dass er sich zu Kindern hingezogen fühlte, ihm aber der Mut fehlte, sich Hilfe zu holen.

Es ist ein irritierender Auftritt des Angeklagten: Mitten in der Aussage fängt er an zu weinen, doch auf Nachfragen wirkt er urplötzlich wieder sachlich und sehr gefasst. Auf seinem Computer fanden die Ermittler zudem Fotos, die Weißmann als „brutalste Gewaltbilder“ bezeichnet. Bilder, auf denen Kinder mit Genitalverstümmelungen zu sehen sind. Er habe sich nicht an den Fotos ergötzt, sagt Stefan H., er habe daraus ein Video für YouTube machen wollen: „Damit wollte ich Menschen aufrütteln.“

Sicherheitshalber fragt Weißmann nach, ob er richtig gehört hat. Dass er Kita-Kinder auch geschlagen haben soll, wie einige Kinder aussagten, bestreitet Stefan H. indes. „Wenn man sich das alles vor Augen hält“, so Weißmann, „muss man sich fragen: Was schlummert da noch in Ihnen?“

Weil Stefan H. die Taten nur häppchenweise einräumt, können einige Kita-Eltern im Zuschauerraum ihre Entrüstung kaum verbergen. Mal will er sich vor der Vierjährigen nicht entblößt haben, mal soll sie während des Missbrauchs geschlafen haben – das Mädchen hat es genau andersherum erzählt. „Das war nur ein halbes Geständnis“, sagt der Richter. Wenn sich Stefan H. nicht an die Vereinbarung halte, müsse man den „Deal“ kündigen. Schließlich besinnt sich Stefan H. eines Besseren und räumt die Taten ein.

Auch Uwe Büth, Chef des Kita-Werks Niendorf-Norderstedt, verfolgt den Prozess, der am Donnerstag mit der Vernehmung der Eltern fortgesetzt wird. 400 Mitarbeiter sind in den 22 Kitas des Unternehmens beschäftigt. „Den Ex-Kollegen des Angeklagten geht es immer noch schlecht, die Unsicherheit ist groß“, sagt Büth. „Wir wünschen uns jetzt einen Neustart.“