Lieber hier Bürgermeister als Minister in Berlin. Olaf Scholz über die Bedeutung von Zeitungen, Mietpreise, Versäumnisse der Politik und seine persönliche Zukunft

Hamburg. Entspannung findet Olaf Scholz (SPD) neuerdings auch beim Rudern. So gewinnt der Erste Bürgermeister einen neuen Blick auf seine Heimatstadt.

Hamburger Abendblatt:

Herr Bürgermeister, Sie rudern neuerdings. Sind Sie während Wahlkampf und Berliner Sondierungsgesprächen zum Training gekommen?

Olaf Scholz:

Ja. Es passt am besten frühmorgens, und das kann ich einmal pro Woche gut einrichten. Ansonsten jogge ich. Aber das Rudern ist für mich eine neue, faszinierende Sache.

Was fasziniert Sie daran?

Scholz:

Die Bewegung. Der Sport auf dem Wasser. Die neue Möglichkeit, die Stadt aus einer anderen Perspektive zu sehen und zu verstehen. Hamburg ist nicht vorstellbar ohne seine Wasserwege. Da draußen merkt man, dass die Wasserwege einmal Arbeitswege gewesen sind. Als es das Auto noch nicht gab, waren die Wasserläufe der Stadt schnelle Transportwege. Von dort aus gesehen zeigt Hamburg ein ganz interessantes, eben dem Wasser zugewandtes Gesicht.

Sie gehören zu den Menschen, denen innerhalb der SPD eine wachsende Rolle zugesprochen wird. Wie dringend ist der Ruf aus Berlin?

Scholz:

Ich bin ganz gelassen. Als Hamburger Bürgermeister habe ich eine großartige Aufgabe. Es passiert mir oft, dass andere, die mich aus Berlin oder aus anderen Gegenden Deutschlands hier besuchen, sagen: „Ich verstehe, warum du hier nicht wegwillst.“

Wer sich in diesem Raum im Senatsgehege umsieht, in dem wir unser Gespräch führen, könnte das nachvollziehen. Aber Sie gehören auch zur Sondierungskommission, mit der Ihre Partei die Regierungsbeteiligung in Berlin auslotet. Wie groß ist die Verlockung?

Scholz:

Ich empfinde sie nicht als groß. Ich habe gesagt, dass ich nicht für einen Posten im Kabinett zur Verfügung stehe, weil ich den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt versprochen habe, nicht nur als Bürgermeister zu kandidieren, sondern das Amt auch die ganze Legislaturperiode auszuüben und 2015 erneut zu kandidieren. Ich werde das einhalten…

… eine spätere Kanzlerkandidatur aber schließen Sie nicht aus?

Scholz:

Ach, das sind immer Fragen… Ich bin Hamburger Bürgermeister. Das nächste Mal würde ich für fünf Jahre gewählt werden, wenn die Hamburgerinnen und Hamburger das wollen, und das ist eine gute Perspektive.

Herr Scholz, das Hamburger Abendblatt begeht den 65. Jahrestag seiner Gründung. Erinnern Sie sich, wann Sie das erste Mal Abendblatt gelesen haben?

Scholz:

An das Datum erinnere ich mich nicht. Die Zeitung aber war täglich in meinem Elternhaus. Ich habe sie schon als Schüler gelesen. Andere Zeitungen auch, aber eben ganz besonders das Abendblatt.

Sie waren dann Juso. An einer bürgerlichen Zeitung müssten Sie sich irgendwann gerieben haben…

Scholz:

Weiß ich nicht. Letztendlich ist mir sehr früh ein Satz begegnet: Die meisten, die das Abendblatt oder auch „Bild“ lesen, wählen SPD.

Eben Blätter, die einen Querschnitt der Hamburger Bevölkerung abbilden…

Scholz:

Ja, das kann einem Politiker auch einen entspannten Umgang mit Medien ermöglichen. Die Medien haben eine wichtige Aufgabe für das Gemeinwesen – zu informieren, aufzuklären und ein bisschen zu unterhalten. Wenn’s gut geht, alles auf einmal. Zeitungen, die wie das Hamburger Abendblatt in einer Region eine große Bedeutung haben, sind für das Selbstbild der Bürger in der Metropolregion von größter Wichtigkeit. Es gibt die Theorie, dass eine Stadt, über die nicht geschrieben wird, sich nicht als Stadt begreifen würde. Insofern ist das Hamburger Abendblatt unverzichtbar für Hamburg.

Das ist eine schöne Theorie. Nun hat sich das Haus Springer nach Berlin verlegt, zieht sich weitestgehend aus Hamburg zurück. Der Zeitschriftenverlag Gruner und Jahr ringt mit der Anpassung an das digitale Zeitalter. Sehen Sie Hamburg noch als Medienhauptstadt?

Scholz:

Hamburg ist die größte Medienstadt in Deutschland. Sie hat eine Qualität, die es so an keiner anderen Stelle des Landes gibt. Am Standort Hamburg spielen alle Medien in relevanter Größenordnung eine Rolle: Buchverlage, Zeitschriften, Zeitungen, Werbeagenturen, Social Media, Fernsehen, Radio, Film – diese Bandbreite gibt es kein zweites Mal. Sie macht die eigentliche Stärke des Medienstandortes Hamburg aus. Und sie wird wichtiger: Mit den neuen digitalen Möglichkeiten verbunden ist die Konvergenz, das Zusammenrücken verschiedener Medientypen. Wo kann das besser geschehen als an einem Ort, wo die neuen wie auch die alten Medientypen alle vorhanden sind?

Bei ihrem Rückzug aus Hamburg hat die Springer AG auch das Hamburger Abendblatt an die Essener Funke-Gruppe verkauft. Haben Sie mit den kommenden Inhabern oder deren Managern schon über standortsichernde Maßnahmen gesprochen?

Scholz:

Klar. Ich habe entschieden, dass die Zuständigkeit für Medien wieder in der Senatskanzlei wahrgenommen wir, und verstehe mich sehr bewusst als der für Medien zuständige Senator. Nachdem mich die Verlagsleitung des Hauses Springer über den Verkauf informiert hat, habe ich mich sofort mit den Käufern in Verbindung gesetzt, mich mit ihnen auch getroffen.

Was war Ihre Botschaft an die Käuferseite?

Scholz:

Die wichtigste Botschaft ist, dass wir eng kooperieren wollen, um dem Abendblatt und den Zeitschriften, die auch an die Funke-Gruppe verkauft worden sind, in Hamburg eine gute Entwicklung zu ermöglichen.

Was müssen die neuen Eigentümer beachten, um diese gute Entwicklung der Zeitung zu ermöglichen?

Scholz:

Soweit es um das Abendblatt geht, beweist schon der Kaufpreis, dass es sich um eine Perle des deutschen Journalismus handelt. Um eine Zeitung, die zu Recht in jüngster Zeit mit vielen Preisen ausgezeichnet worden ist. Ein nach wie vor hochprofitables Unternehmen, was im Medienbereich nicht selbstverständlich ist. Für das Abendblatt ist offenbar mehr gezahlt worden als Amazon-Gründer Jeff Beezos für die weltbekannte „Washington Post“ gezahlt hat. Es ist seinen Preis wert, und es wäre gut, wenn Redaktion und Verantwortliche beim Abendblatt, die Vertreter der Funke Mediengruppe und ganz Hamburg es zusammen so weiterentwickeln, dass das Hamburger Abendblatt seine Mission auch in Zukunft erfüllen kann.

Was verstehen Sie unter Mission? Bitte erläutern Sie diese Funktion des Hamburger Abendblatts.

Scholz:

Es ist – wie auch andere, die über Hamburg berichten – wichtig für das Selbstbild der Stadt. Die Stadt empfindet sich als wirtschaftlich erfolgreich, liberal, weltoffen, und diese Haltung hat eine lange Tradition. Dieses Selbstbild stellt den Zusammenhang zwischen den Bürgern her, ob sie nun im Westen, Osten, Süden oder Norden Hamburgs leben oder in unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft. Mir hat beispielsweise die Stadtteilserie im Abendblatt sehr gut gefallen. Sie hat Lesern, egal wo sie wohnen, einen tiefen Einblick in ihnen vielleicht auch unbekannte Stadtteile gegeben. Ohne die Medien, die zum Beispiel über die Gartenschau und die Internationale Bauausstellung berichtet haben und berichten, könnte der Versuch, die Elbinsel Wilhelmsburg als attraktiven Ort inmitten der Stadt neu zu entdecken, nicht gelingen. Und für die Vermittlung des Hamburger Wir-Gefühls ist das Hamburger Abendblatt unverzichtbar.

Sie sind in Hamburg-Rahlstedt zur Schule gegangen, kennen die Stadt früher und heute. Welche Aufgabe leiten Sie daraus für sich als Bürgermeister ab?

Scholz:

Seit Hamburg nicht nur eine Republik, sondern auch eine Demokratie ist, hat es Hamburg immer geschafft, eine Stadt für alle ihre Bürger zu sein. Neben der liberalen Lebensauffassung drückt sich das am stärksten über unsere Stadtteile aus. Es hat immer schon sehr wohlhabende und solche gegeben, in denen nicht so viel Geld zur Verfügung steht. Aber es haben auch immer in den wohlhabenden Stadtteilen Familien gelebt, die weniger hatten. Und in denjenigen Stadtteilen, wo es wirtschaftlich nicht so gut läuft, hat es trotzdem Familien gegeben, die gut zurechtkommen. Diese Mischung und die daraus resultierende Form des Zusammenhalts zu erhalten ist eine ständige Aufgabe. Das gilt auch für den Bürgermeister.

Und was sehen Sie als Versäumnisse der Hamburger Politik?

Scholz:

Das größte Versäumnis der letzten Jahre ist der Rückgang beim Neubau von Wohnungen. Das hat zu dem großen Preisdruck auf dem Wohnungsmarkt geführt, dem viele jetzt ausgesetzt sind. Rechtliche Möglichkeiten, die wir nutzen können, um den Mietpreisanstieg zu begrenzen, helfen nur eine Zeit lang. Letztlich hilft gegen steigende Mieten nur der Bau bezahlbarer Wohnungen, zu denen auch Sozialwohnungen gehören. Das nachzuholen ist derzeit die größte Herausforderung.

Im Wahlkampf hatten Sie den Bau von jährlich 6000 Wohnungen versprochen. Man liest viel von erteilten Baugenehmigungen, aber wie viel Wohnungen stehen denn schon?

Scholz:

Da die Pflicht zur Meldung fertiggestellter Wohnungen im Zuge der „Deregulierung“ in der Vergangenheit abgeschafft wurde, hängt die Statistik hier hinterher. Wir hatten im vergangenen Jahr über 8000 Genehmigungen, bis Ende September dieses Jahres schon über 7200. Die Zahl der gebauten Wohnungen kennen wir noch nicht genau. Aber überall in der Stadt sehen Sie Baukräne. Ein Drittel der größeren Wohnraumprojekte ist öffentlich gefördert, damit es nicht Stadtviertel gibt, wo nur eine Einkommensschicht lebt. Wir wollen keine Stadt, in der es in manchen Vierteln nur wohlhabend und in anderen nur bescheiden zugeht.

Menso Heyl, 64, war von 2001 bis 2008 Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. Er ist Herausgeber der Segelzeitschrift „Yacht“.