Die Hamburgerin wurde am 14. Oktober 1948 geboren. Sie ist genauso alt wie das Abendblatt und hat viel erlebt

Farmsen-Berne. Als das Hamburger Abendblatt am Nachmittag des 14.Oktober 1948 zum ersten Mal von Zeitungsjungen lauthals angepriesen wurde, hatte Elke Horn ihren ersten Schrei schon getan. Wenige Stunden zuvor, um 3.45Uhr in der Früh, war sie in der Frauenklinik Finkenau zur Welt gekommen. 65 Jahre später sitzt Elke Horn lächelnd in Famsen-Berne an ihrem Esstisch. Blaue Augen blitzen hinter der Brille hervor. „Frisch gedruckt war ich damals, könnte man sagen“, sagt sie mit einem schelmischen Lächeln.

Elke Horn erinnert sich. Zusammen reisen wir durch die Zeit.

Zurück in die 50er. Elke ist sechs, sieben Jahre alt. Mit Oma und Tante wächst sie in einer winzigen Wohnung im zerbombten Komponistenviertel in Barmbek-Uhlenhorst auf. „Gar nichts hatten wir, gar nichts.“ Und dennoch: das Kinderleben ist schön: Elke spielt Verstecken in den Hinterhöfen der Historismusbauten oder Kippel-Kappel auf dem Winterhuder Weg, auf dem fast nur die Straßenbahn fährt.

Luxus? Das ist die eine Kugel Eis, die Oma bei Spaziergängen an der Alster spendiert. Oder die fünf Pfennig, die ihr die Tante schenkt. „Dafür gab’s beim Bäcker die Kante vom Butterkuchen oder beim Kaufmann Sauerkraut in Papier oder – ach, das Schönste! – Salmis zum Ablecken auf die Hand geklebt“, sagt Elke Horn. In den 60er-Jahren entdeckt sie, dass ihr das Lernen liegt. Ihr Lehrer auf der Volksschule Wandsbek empfiehlt das Mädchen für die Realschule. „Ohne Prüfung. Weil ich so ein gutes Zeugnis hatte.“ Sein Rat: „Nimm dir keinen Freund, du willst doch was werden.“

Elke, inzwischen 16, würde das gern beherzigen. Wenn da nicht dieser Zeitungsjunge gewesen wäre, der jede Woche die „Hörzu“ bringt. Sieben Jahre später, 1971, heiratet sie den gleichaltrigen Heiner Horn aus Wandsbek. Das Paar ist fleißig. Will etwas aus seinem Leben machen. Elke Horn hat inzwischen die Fachschule für Ernährung und Hauswirtschaft in Borgfelde absolviert. Während sie erst die Küche eines Kindervollheims und dann eines Jugendwohnheim leitet, studiert Heiner an der Abendschule Ingenieurswesen.

1975 wird Elke schwanger. Es wird eine schwere Schwangerschaft. Im Februar 1976 bringt sie Zwillinge zur Welt. Das Mädchen ist gesund, aber der Junge ist zu klein und zu schwach und verbringt mehrere Wochen auf der Intensivstation. Er schafft es! Die Eltern sind überglücklich. Und sorgen sich. Wie alle Nachkriegskinder wissen die Horns, was Hunger ist, wie es ist, keine Zukunft zu haben. Sie müssen arbeiten. Für sich, für ihre Kinder und für die Rente. „Ich habe miterlebt, dass meine Oma, die alles für die Familie gegeben hat, am Ende nichts zum Leben hatte“, sagt Elke Horn. „Und das wollte ich nicht.“

Mit zwölf Wochen bringen die Horns ihre Zwillinge in die Kinderkrippe. Elke Horn arbeitet Vollzeit, wie sie es bis zu ihrer Rente tun wird. „Natürlich war das hart“, sagte sie, „aber irgendwie ist es immer gegangen. In den 80ern geht es ihnen richtig gut. So gut, dass sie ihre Genossenschaftswohnung in einem Farmsener Hochhaus aufgeben, ein kleines Einfamilienhaus kaufen und jedes Jahr in Österreich Urlaub machen können. Ausgerechnet dort, auf einem See der Alpenrepublik, werden sie mit einem Virus infiziert, den sie sich auch gut in Hamburg hätten holen können: dem Segler-Virus.

„Die Kinder waren verrückt danach“, sagt Elke Horn. Von nun an gehört jede Sekunde ihrer Freizeit der Elbe und dem Segel-Club Vierlande e. V. Die Horns machen so ziemlich jeden Sportbootschein, den es gibt, kaufen sich eine Segelyacht und segeln Regatten. Die Zwillinge holen mit ihren Optimisten-Jollen mehr Pokale, als die Familie in ihrem Haus unterbringen kann.

Doch dann Ende der 80er, Anfang der 90er geht es Elke Horn nicht gut. Nach 19 glücklichen Jahren im Dienst der Stadt und der Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten GmbH (www.elbkinder-kitas.de) macht ihr Rücken schlapp. „Ich hatte wohl all die Jahre zu viele Kisten mit Obst und Gemüse geschleppt“, sagt sie. 42 Jahre ist sie alt und hat einen schweren Bandscheibenvorfall.

Jammern? Nein. Das hat sie auch gar nicht gelernt. Sie rappelt sich auf. Das Leben geht weiter. 1991 schließt sie eine Umschulung zur Bürokauffrau nach nur 18 Monaten ab. Weil sie die Beste ihres Jahrgangs ist, ergattert sie einen Job bei Vattenfall.

Bis 2004. „Da hatte ich die Gelegenheit, vorzeitig in Rente zu gehen. Und wissen Sie was! Das habe ich gemacht!“ Natürlich hat sie Abzüge. Aber sie hatte genug eingezahlt, um sich das leisten zu können. „Dass ich damals keine Pause gemacht habe, als die Kinder klein waren, war die richtige Entscheidung!“, sagt Elke Horn heute.

Nun hat sie Zeit für alles, was sie liebt. Für ihre Familie. Für die Musik, Und scharfe Lakritze. Für NDR-Comedy „Frühstück bei Stefanie“, für die sie jeden Tag den Wecker stellt. Und für all die Gewässer, die sie braucht, um durchzuatmen: die Elbe, auf der sie segelt. Die Alster, an der das Kanu liegt. Und der Plöner See, an dem der Wohnwagen der Familie steht.

Als Heiner ihr dieses Jahr zum Hochzeitstag die Reise schenken will, die sie 1971 nicht machen konnten, wünscht Elke sich nur eins: eine Reise auf dem Meer. Und so machten die Horns die erste Kreuzfahrt ihres Lebens. Was war die schönste Zeit ihres Lebens? „Ich glaube, die ist genau jetzt“, sagt sie und lacht. Heute wird sie 65 Jahre alt. Sie verbringt diesen Tag zusammen mit ihrer Familie. Allerdings nicht zu Hause. Wo sie ist? Na, raten Sie mal. Genau. Am Wasser.

Liebe Elke Horn, wir wünschen alles Gute und allzeit eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!

Birgit Schmidt-Harder, 42, war von 2000 bis 2001 in der Polizeiredaktion. Heute arbeitet sie als freie Journalistin