Schon jeder zweite Richter und Staatsanwalt ist weiblich. Vier Gerichte haben Präsidentinnen – und Senatorin Jana Schiedek will den Anteil weiter steigern.

Neustadt. Es war einmal eine Hamburger Richterin, jung, blond und ehrgeizig, die in ihrem Büro saß und von Anwälten gefragt wurde: „Wo ist denn hier der Richter?“ Und eine Strafverteidigerin, die als „junges Küken“ mit wohlwollender Neugier beäugt wurde. Es konnte aber auch geschehen, dass sich Frauen abschätzige Bemerkungen anhören mussten wie das unschöne Attribut „blondes Gift“ oder die provokante Frage: „Sind Sie hier richtig? Was wollen Sie bloß in diesem Beruf?“

Etwas bewegen, natürlich, sich für die Gerechtigkeit einsetzen, genauso wie die Männer. Und so wie Frauen das mittlerweile ganz selbstbewusst tun, auch an der Spitze der Justiz. Eine, die ganz oben angekommen ist, ist Erika Andreß, die als Präsidentin des Hanseatischen Oberlandesgerichts neben dem Verfassungsgerichtspräsidenten das höchste Richteramt in Hamburg bekleidet. „Ich halte den Richterberuf nach wie vor für den schönsten Beruf, den man haben kann“, sagt Andreß.

Das Richteramt sei ein verantwortungsvolles, hoch attraktives Amt, mit gleichen Aufstiegschancen für Frauen und Männer, gleicher Bezahlung und einem gleichen Spektrum von Aufgaben. Außerdem lasse es sich wegen der Flexibilität der Arbeitszeit gut mit der Familie vereinbaren. „Es gibt viele Möglichkeit im Rahmen von Elternzeit und Teilzeitarbeit, und die Gleichstellung ist sehr weit fortgeschritten“, betont Andreß.

Als die OLG-Präsidentin vor 24 Jahren im Richterdienst begann, „brachen die alten, noch überwiegend von männlichen Richtern geprägten Strukturen schon auf. Ich hatte nie Schwierigkeiten, weil ich eine Frau bin“, erzählt die 59-Jährige. „Und an unangemessene Sprüche kann ich mich nicht erinnern. Ich hätte mir das aber sicher auch kaum gefallen lassen. Von anderen Frauen habe ich aber natürlich schon gehört, dass sie früher auch mal mit abschätzigen Bemerkungen konfrontiert wurden.“

Es sei wichtig, dass in der Vergangenheit das Augenmerk darauf gelegt wurde, Frauen zu fördern, sonst „wären wir heute nicht da, wo wir sind“, ist Andreß überzeugt. „Aber Frauen müssen das auch ein bisschen selber in die Hand nehmen, sich um das, was sie anstreben, bemühen. Wir müssen es anpacken.“ Dass Frauen in der Justiz anders verhandeln würden als Männer, sei vielleicht die Außenwahrnehmung, meint Andreß. „Aber ich sehe nicht so große Unterschiede. Es gibt einfühlsame männliche Familienrichter und streng analytische Frauen, die Wirtschaftssachen machen. Es ist immer eine Frage der Persönlichkeit.“

Das sah man früher vollkommen anders. Noch zu Beginn der Weimarer Republik meinten die Vertreter der Länder in Berlin, dass Frauen für die Justiz generell nicht geeignet seien, unter anderem weil sie „an Entschlussfähigkeit und der Kraft zu energischem Durchgreifen vielfach hinter dem Manne zurückstehen. Dies birgt die Gefahr einer Verweichlichung in der Strafrechtspflege“. Erst 1922 wurden Frauen zum Richteramt zugelassen, dann in der Zeit des Nationalsozialismus jedoch wieder aus diesem Beruf ausgeschlossen mit der Begründung, sie seien „ein Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates“.

Doch es kam nicht nur zum Einbruch, sondern quasi zum Durchmarsch, und das, obwohl noch bis 1977 die Ehemänner ihre Zustimmung erteilen mussten, wenn ihre Frau arbeiten gehen wollte. Heute erleben es die Angeklagten sogar immer öfter, dass Frauen über sie Urteile sprechen – bei einem konstant hohen Anteil der männlichen Angeklagten, rund 81 Prozent in Hamburg im vergangenen Jahr, für manch einen durchaus nicht leicht zu verdauen.

So war es beispielsweise eine Vorsitzende Richterin, deren Kammer den Fall des Unfallfahrers von Eppendorf verhandelte, der im März 2011 das verheerende Verkehrsunglück mit vier Toten verursachte und der zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Und auch das Verfahren gegen einen 35-jährigen Serienvergewaltiger, der kurz nach seiner Haftentlassung wieder eine Frau missbrauchte, wurde von einer Richterin geleitet. Auch beim Schwurgericht, wo Tötungsdelikte verhandelt werden, hat eine der Kammern eine Frau als Vorsitzende, bei den übrigen beiden Kammern gibt es jeweils zwei Beisitzende Richterinnen.

Insgesamt habe sie gute Erfahrungen mit Kammern, in denen Frauen vertreten sind, sagt Rechtsanwältin Kathrin Schulz, die zurzeit einen der Angeklagten im viel beachteten Prozess gegen den ehemaligen Vorstand der HSH Nordbank verteidigt. „Aber die Mischung ist gut, vor allem für den Umgang miteinander.“ Schulz hat in ihren ersten Jahren als Strafverteidigerin auch schon den Spruch gehört: „Wollen Sie Hausfrau sein, oder wollen Sie in Ihrem Beruf was reißen?“

„Das war eine Unverschämtheit“, sagt die Anwältin. Dabei habe sie in einer Zeit begonnen, „als man dachte, die Emanzipation ist durch“. Doch als damals junge Mutter eines schulpflichtigen Kindes habe sie öfter vergeblich um Rücksichtnahme bei der Verhandlungsführung gebeten, wenn sie eigentlich ihren Sohn von der Schule abholen musste. „Da hatte ich schon den Eindruck, dass männliche Vorsitzende mich haben auflaufen lassen.“

Als Sibylle Umlauf, heute Präsidentin des Landgerichts, 1979 in der Justiz anfing, war es auch noch die Ausnahme, dass Frauen im Strafrecht eingesetzt wurden, sondern eher im Zivilrecht, beim Jugend- oder Familienrecht. „Das hat sich sehr, sehr geändert“, sagt die Juristin. Heute sind 47 Prozent der Richter am Landgericht Frauen, davon mehrere als Vorsitzende von Großen Strafkammern. Der Richterberuf sei deshalb so attraktiv, weil er mit Familie vereinbar ist, „ohne Stechuhr, mit der Möglichkeit, halbtags zu arbeiten oder für einige Zeit auszusetzen“, betont die 61-jährige Landgerichtspräsidentin. Wichtig sei es nach ihrer Überzeugung, „dass es ein Gleichgewicht gibt zwischen Frauen und Männern. Es ist förderlich für die Entscheidungsfindung, wenn es unterschiedliche Sichtweisen gibt.“ Im Übrigen seien Frauen und Männer gleichermaßen professionell.

Früher habe sie schon mal merkwürdige Sprüche zu hören bekommen, erzählt die Chefin des Landgerichts. „Ich hatte lange, blonde Haare und wurde tatsächlich gefragt: Wie tragen Sie die Haare in der Sitzung?“ Auch sei ihr erzählt worden, dass es Zeugen gab, die fragten: „Hat die Frau das nötig, berufstätig zu sein?“ Und sie war jene junge blonde Richterin, zu der Anwälte ins Büro kamen und fragten: „Wo ist denn der Richter?“ „Aber das ist heute passé“, sagt Umlauf. „Das erlebe ich nicht mehr.“

Mittlerweile ist das Verhältnis von Frauen und Männern in der Hamburger Justiz sogar nahezu ausgeglichen. Gut 48 Prozent der Staatsanwälte und rund 50 Prozent der Richter sind Frauen, bei den Vorsitzenden Richtern am Oberlandesgericht sind es immerhin noch gut 31 Prozent. Auch in höchster Position sind Frauen sehr stark vertreten: Neben dem Oberlandesgericht und dem Landgericht haben das Arbeits- und das Sozialgericht Frauen als Präsidenten, das Amtsgericht, Verwaltungs- und das Finanzgericht jeweils Vizepräsidentinnen.

Einzig die oberste Spitze der Staatsanwaltschaft ist noch auf allen vier Posten männlich besetzt. Aber die Frauen holen auf, 34,8 Prozent der Oberstaatsanwälte sind heute weiblich, bei den überwiegend jüngeren Kollegen sind es sogar 62,2 Prozent Frauen. Oberstaatsanwältin Nana Frombach hat gute Erfahrungen gemacht: „Mein Eindruck ist, dass ich als Frau in der Behörde genau so geachtet und anerkannt werde wie meine männlichen Kollegen. Insofern würde ich schon von einer Gleichbehandlung sprechen“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, die schon seit mehr als 18 Jahren in der Behörde ist.

Allerdings sei es vereinzelt auch schon zu kritischen Bemerkungen männlicher Kollegen gekommen, wenn Frauen befördert worden sind, erzählt die 46-Jährige. Sie finde indes nicht, dass man die Qualität eines Staatsanwalts am Geschlecht festmachen könne. „Es handelt sich um individuelle Fähigkeiten, die Männer und Frauen gleichermaßen haben können.“

Diese Einstellung wäre anno 1969, als Leonore Gottschalk-Solger in Hamburg als Rechtsanwältin anfing, geradezu revolutionär gewesen. „Ich habe eine Zeit erlebt, da waren wir Frauen für die Richter etwas Ungewöhnliches. Die Richter waren meist ältere Herren und ich aus ihrer Sicht ein junges Küken“, erinnert sich Gottschalk-Solger an ihre ersten Jahre als Anwältin in Hamburg. „Man hat sich richtig ein bisschen um mich gesorgt.“

Neben ihr habe es damals nur zwei weitere Strafverteidigerinnen gegeben. „Wir waren schon so etwas wie Exoten.“ Sie habe aber „eigentlich nie Nachteile gehabt, und ich bin immer mit Respekt behandelt worden“, sagt die 77-jährige Anwältin. Von Anfang an habe sie auch die „richtig schweren Jungs verteidigt“, Männer, die des Mordes angeklagt waren, Drogenbosse oder auch RAF-Terroristen. „Die hatten einfach Vertrauen. Manchmal denke ich, dass Frauen mehr Vertrauen ausströmen“, sagt Gottschalk-Solger. Sie finde es „toll, dass viele Frauen mittlerweile in der Justiz Karriere machen“. Frauen hätten oft mehr „Instinkt und Einfühlungsvermögen. Aber sie sind zum Teil auch härter, nicht das schwache Geschlecht.“

Auch im Strafvollzug haben sich Frauen in Hamburg längst gut etabliert. So werden die Untersuchungshaftanstalt der Hansestadt am Hostenglacis, die sozialtherapeutische Anstalt und das Frauen- und Jugendgefängnis Hahnöfersand von Frauen geleitet, in den Haftanstalten Fuhlsbüttel und Billwerder sind jeweils die Stellvertreter der Anstaltsleiter weiblich. Und in der Justizbehörde mit ihren rund 260 Mitarbeitern stehen Frauen mehreren Abteilungen vor, unter anderem denen für Strafrecht und für Finanzen.

Ganz im Sinne von Justiz- und Gleichstellungssenatorin Jana Schiedek (SPD): „Als Justiz- und Gleichstellungssenatorin ist es mir ein besonderes Anliegen, Frauen wie Männern in gleichem Maße berufliche Perspektiven bieten zu können“, betont die Senatorin. Erfreulich sei, dass es in allen Bereichen der Justiz schon „viele Frauen in Spitzenpostionen“ gebe. Es werde weiterhin daran gearbeitet, so Schiedek, „die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Hamburgischen Justiz für alle Berufsgruppen zu verbessern“.