Hohe Mieten, sinkende Erlöse und die mächtige Konkurrenz aus dem Internet rauben ihnen nicht den Mut: Die stationären Buchhandlungen der Stadt glauben an ihre Zukunft.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Geschichte zu erzählen. Die eine könnte mit dem Hinweis beginnen, dass eigentlich jeder seine Bücher am liebsten in der Buchhandlung um die Ecke kauft. Na ja, oder zumindest kaufen würde. Manchmal fehlt halt die Zeit. Aber letztlich gehen doch die meisten gern dahin, wo es kompetente Beratung gibt und wo man sich zum Teil seit Jahren mit Vornamen kennt.

Der zweite Möglichkeit wäre ein eher staubtrockenes Zahlenwerk: Während die Umsätze der Buchbranche insgesamt (bis auf 2012) steigen, so hieße es dort, leidet der stationäre Buchhandel seit drei Jahren unter Umsatzverlusten – 2012 gar von 3,7 Prozent. Die Erlöse im Internet dagegen steigen. Jedes sechste Buch wird mittlerweile per Mausklick gekauft – eine Entwicklung, die sich auch am Hamburger Straßenbild ablesen lässt: Seit den 70er-Jahren hat sich die Zahl der Buchhandlungen fast halbiert. Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat es 1972 noch 171 Buchhändler in Hamburg gegeben. Jetzt sind es nur noch 94.

Aber es gibt noch eine dritte Art, diese Geschichte zu erzählen. Und in deren Mittelpunkt stehen vier Buchhandlungen mit unterschiedlichen Konzepten und Strategien.

1. Kapitel: Der Beständige

Buchhandlung Ulrich Hoffmann, Fuhlsbüttler Straße, Barmbek: Von der Straße her stürmen vier Kinder in die Buchhandlung Ulrich Hoffmann. Jedes mit einer Postkarte in der Hand, draußen vom Ständer. Hoffmann kennt sie mit Vornamen. Genau wie ihre Eltern. Kein Wunder: Mit seiner Buchhandlung – ein Vollsortiment auf 120 Quadratmetern – ist er seit mehr als 30 Jahren an der Fuhlsbüttler Straße. „Damals war richtig Bedarf an der Straße“, sagt Hoffmann.

Von Christian Heymann, dem Chef der gleichnamigen Hamburger Buchhandels-Kette, hatte er sich das „hanseatische Kaufmannsehrenwort“ geben lassen, dass dessen Unternehmen nicht nach Barmbek kommt. Bis heute wurde es nicht gebrochen. Seitdem hat Hoffmann den Wandel an der Straße miterlebt. Hat gesehen, wie kleine Geschäfte gingen und Ketten – viele Bäckereien und Drogerien – kamen. „Auch ich wäre heute auch nicht mehr da, wenn ich damals nicht die Chance gehabt hätte, die Immobilie zu kaufen.“ Die Miete könne er sich heute nicht mehr leisten.

Selbst ohne den Mietdruck sei es schon schwer. Wegen sinkender Umsätze lastet heute mehr Arbeit auf ihm und seinem kleinen Team. „Früher hatte ich fünf feste Mitarbeiter, heute sind es nur noch drei.“ Ulrich sieht die Herausforderung darin, seine Kunden zu halten und neue hinzuzugewinnen. „Das geht nur mit persönlicher Präsenz und Einsatz.“ Das heißt zum Beispiel, dass er älteren Kunden die Bücher nach Feierabend auf Wunsch nach Hause bringt, dass er Lesungen und andere Kulturveranstaltungen organisiert. Aber manche Dinge machen Ulrich Sorgen: etwa, dass er immer häufiger erlebt, dass Kinder das erste Mal eine Buchhandlung betreten, wenn sie ein Reclamheft für die Schule bestellen. Gleichzeitig ist er aber auch zuversichtlich. Weil er überzeugt ist, dass Buchhandlungen nach besonderen Parametern funktionieren: „Sie verkaufen nicht nur Produkte, sondern machen glücklich und sind für viele Kunden wie ein zweites Zuhause – und da zieht man nicht so einfach aus.“

2. Kapitel: Der Spezialist

Männerschwarm, Lange Reihe, St. Georg: „Mein Kind lebt anders“, „Der heilige Schein“, „Zwischen den Geschlechtern“ – so und so ähnlich lauten viele Titel, die in der Buchhandlung Männerschwarm in den Regalen stehen. Die Fachbuchhandlung ist auf homosexuelle Literatur spezialisiert. Dass sie ihren Sitz auch noch in Hamburgs „Regenbogenviertel“ – der Langen Reihe – hat, müsste eigentlich ein Selbstläufer sein. Doch ganz so einfach ist es eben nicht. „Früher hat schwule Beratungs- und Aufklärungsliteratur eine deutlich größere Rolle gespielt. Da waren wir richtig politisch. Heute erledigen die Leute das Coming-out ja fast schon nebenbei“, sagt Hans-Jürgen Köster, einer der beiden Geschäftsführer.

Selbstverständlich spiele die Abwanderung ins Internet eine große Rolle, andererseits hätten die Menschen aber auch einfach weniger Zeit zum Lesen. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren bei Männerschwarm spricht jedenfalls eine klare Sprache. Erst weniger Umsatz, dann weniger Personal, Köster selbst verdient schon länger in einem Nebenjob dazu. Doch das reichte nicht. „Es ist an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen“, sagt er. Derzeit sucht er nach einer neuen, kleineren und günstigeren Ladenfläche – abseits der Langen Reihe. Dabei sei die Miete von unter 30 Euro pro Quadratmeter für die Lage „eigentlich okay“.

Die Geschichte des Männerschwarm beginnt in den frühen 80er-Jahren am Pferdemarkt. Als die Szene dann zunehmend Richtung St. Georg wanderte – zog Männerschwarm hinterher. Zunächst verstand man sich eher als „politisches Projekt“. Doch so nach und nach wurde das Projekt von der Zeit überholt. Und so erweiterte Männerschwarm das Sortiment. Nun stehen jetzt auch „normale“ Krimis im Regal. Köster findet dennoch, dass ein schwul-lesbischer Buchhandel heute immer noch wichtig und notwendig ist. „Dafür müssen wir jetzt ein geschäftlich tragfähiges Konzept finden.“ Ob die Schließung des Geschäfts auch eine Option gewesen sei? „Darüber nachgedacht habe ich“, sagt Köster. „Aber es ist einfach schwer, sich davon zu trennen.“

3. Kapitel: Die Idealistin

Lesesaal, Lappenbergsallee, Eimsbüttel: Einige würden das, was Stephanie Krawehl gemacht hat, als verrückt bezeichnen: Die 49-Jährige hat vor zwei Jahren eine kleine Buchhandlung eröffnet. Nur 40 Quadratmeter groß, ein paar Gehminuten von der trubeligen Osterstraße in einem Wohngebiet gelegen. Ratgeberliteratur? Reise? Pädagogik? Gibt’s hier alles nicht. Stattdessen jede Menge Bücher, deren Titel es womöglich nie auf eine Bestsellerliste schaffen werden.

Krawehl findet das gar nicht so verrückt. Sie ist überzeugt davon, dass sie mit ihrem Konzept richtig liegt. Ihr Konzept, das sind ausgewählte Titel, unbekannte Autoren und unabhängige Verlage. Kann das gut gehen? Krawehl sagt: Ja. „Zu mir kommen eher seltener Kunden, die nach dem neuen Regener fragen“, obwohl sie den sogar im Regal stehen hat. Gelesen hat sie ihn aber nicht. Ebenso wenig wie Titel von Boyle oder Kehlmann. „Die werden doch ohnehin schon rauf und runter rezensiert.“ Stattdessen hat die ehemalige Vertriebsleiterin eine spezielle Ecke für kleine Verlage eingerichtet. Hier stellt sie ihren „Verlag des Monats“ vor. Dieses Mal: Lilienfeld – ein kleiner Verlag aus Düsseldorf.

Während sie erzählt, laufen vor ihrem Schaufenster Leute vorbei, winken kurz, einige bleiben vor ihrem Aufsteller stehen. Darauf steht: „Wir bestellen jedes Buch.“ In Zeiten, in denen eigentlich jeder jedes Buch bestellen kann, wirkt es fast banal. Krawehl sieht das anders. „Viele Leute, die seit Jahren schon nur noch im Internet kaufen, wissen gar nicht mehr, dass wir im Grunde dasselbe können.“ Und gerade deswegen empört sie sich oft über die großen Versandhändler – besonders Amazon. „Das ist ein Riesenunternehmen, das noch nicht mal in Deutschland Steuern zahlt und gleichzeitig die lokalen Geschäfte um die Ecke kaputt macht.“

Einen Online-Shop hat Krawehl nicht. „Ich möchte mit meinen Kunden doch über die Bücher sprechen“, sagt sie. Besonders gerne auch über Kinder- und Jugendliteratur, die ihr sehr am Herzen liegt. Im Beratungsgespräch und auf den Leseabenden, die sie regelmäßig organisiert. Und was ist mit E-Books? „Ich bin noch nie von meinen Kunden danach gefragt worden.“

4. Kapitel: Die Moderne

Stories!, Straßenbahnring, Eppendorf: Annerose Beurich hat ihre Bücher nicht einfach im Regal stehen. Sie hat sie in Szene gesetzt. Im Lesesaal etwa lehnen die Bücher an schweren, dunklen Holzplatten, die bis zur Decke reichen. Großformatige Bildbände, Architektur, Design, dazwischen „Shades of Grey“. Inmitten der „Büchergalerie“ steht ein langer Lesetisch. Massiv und dunkel. Wie in einer Bibliothek. Ein paar Meter weiter sieht es eher aus wie in einem trendigen Café. Da sitzen ein paar Kundinnen auf Barhockern bei Latte macchiato zusammen. Genau so hat es sich Inhaberin Annerose Beurich ausgemalt, als sie an den Planungen zu ihrer ersten eigenen Buchhandlung saß, die sie 2008 eröffnet hat. „Ich wollte eine Mischung zwischen Tante-Emma-Laden und urbanem eleganten Flair hinbekommen“, sagt die 49-Jährige. „Ein Ambiente, in dem man theoretisch auch Kaschmirpullis verkaufen könnte.“ Die Immobilie am Straßenbahnring – an der Grenze zwischen Eimsbüttel und Eppendorf – schien ihr perfekt dafür.

„Das erste Jahr war mühsam“, erzählt sie. „Es dauert einfach, bis sich eine Buchhandlung in ein Viertel integriert hat, bis sich die Wege der Menschen ändern und bis die Kunden Vertrauen zum Buchhändler aufgebaut haben.“ Und das sei wichtig, weil man als Kunde bei Buchkauf eben viel von sich preisgebe. „Indirekt teilt man über die Buchwahl mit, nach was man sich sehnt und was einen gerade beschäftigt.“

Und weil beim Thema Beratung gerade die kleinen Fachbuchhandlungen punkten können, glaubt Beurich, dass es diese auch in vielen Jahren noch geben wird. Aber: „Nur weil ich lokal bin, heißt es nicht, dass ich weniger bieten muss als die großen Anbieter. “ Im Gegenteil. „Natürlich habe ich einen Online-Shop, natürlich kann man bei mit mir Kreditkarte bezahlen, natürlich bestelle ich auch Ansichtsexemplare, natürlich versende ich Newsletter.“

Beurich hat mittlerweile eine zweite Stories!-Buchhandlung im Hanseviertel eröffnet – wohl auch kein so schlechter Standort für das „Kaschmir“-Konzept.