Knappe Mehrheit für Rückkauf der Versorgungsleitungen. SPD kündigt erste Schritte zur Umsetzung für diese Woche an

St. Pauli. Um 22.50 Uhr gibt es die ersten Sprechchöre: „Unser Hamburg, unser Netz“, skandieren lautstark mehr als 200 Anhänger der Netzinitiative. In der „Hamburger Botschaft“ im Schanzenviertel hat sich eine bunte Schar von Hamburgern versammelt, die seit drei Jahren dafür gekämpft haben, dass die Stadt ihre Energienetze zurückkauft. Jetzt steigt die Stimmung von Minute zu Minute. „Es sieht so aus, als wenn sich unser Kampf gelohnt hat“, jubelt Manfred Braasch, einer der drei Vertrauensleute der Kampagne.

Auf der Großbildleinwand erscheint um 23.42 Uhr die Auszählung zum Volksentscheid: 425.489 Ja-Stimmen (50,9 Prozent) stehen 410.967 Nein-Stimmen (49,1 Prozent) gegenüber. Damit stand der Sieg nach Auszählung von 1625 der 1686 Stimmbezirke fest: Eine Mehrheit von knapp 15.000 Hamburgern ist für den Rückkauf der Energienetze. Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen, aber der Trend zeichnete sich ab. Drei Jahre lang hatten sie für den Rückkauf gestritten. Im Frühjahr stimmten laut einer Umfrage noch 64Prozent der Hamburger für den Rückkauf der Netze von Vattenfall und Eon, doch dann kam der Gegenwind. „Das hat uns schon überrascht“, sagt Braasch zu der „millionenschweren Werbekampagne, mit denen sich die Initiative auseinanderzusetzen hatte“. Und mit deren Wucht sie nicht gerechnet haben. Nun spricht Braasch von einem „Meilenstein für die direkte Demokratie“. Es habe sich gezeigt, „dass die öffentliche Meinung nicht käuflich ist“.

Auch wenn er es nicht wollte: SPD-Bürgermeister Olaf Scholz wird nun „fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte unternehmen, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen“. So verlangt es der Volksentscheid. Scholz hatte vehement für die 25,1-Prozent-Lösung gekämpft, deshalb ist das Votum der Bürger auch eine Niederlage für ihn. Aber Scholz hatte auch immer zugesichert, das von den Hamburgern nun mehrheitlich beschlossene Vorhaben im Falle eines erfolgreichen Entscheids auch umzusetzen. Das sieht auch Braasch so: „Olaf Scholz hat immer gesagt, er weiß was zu tun ist, wenn die Mehrheit der Hamburger für den Rückkauf stimmt.“

Diese Einschätzung bestätigte Scholz noch am späten Abend: „Volksentscheide sind Abstimmungen über Sachfragen, und in dieser Frage hat das Volk anders entschieden als Senat und Bürgerschaft zuvor. Diesem Votum sieht sich der Senat verpflichtet. Er hat Vorsorge für diesen Fall getroffen. Er hat er wiederholt betont, dass er einen Volksentscheid über den vollständigen Rückkauf der Versorgungsnetze nicht ins Leere laufen lassen wird. Der Senat hält seine Zusagen ein.“

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel kündigte an, die Fraktion werde schon am Montag einen Antrag beschließen, mit dem der Senat beauftragt wird, erste Schritte zur Gründung einer eigenen Netzgesellschaft einzuleiten. „Die Bürger haben sich nach kontroverser Debatte mit äußert knapper Mehrheit entschieden: Hamburg soll sich auf den Weg machen, die Strom-, Gas- und Fernwärmenetze wieder in die öffentliche Hand zu übernehmen", heißt es in dem Antrag. Konkret wird der Senat aufgefordert, mit Vattenfall und Eon über den Zukauf von 74,9 Prozent zu verhandeln. Anderenfalls sollen die geschlossenen Verträge wieder rückabgewickelt werden, nach denen sich Hamburg mit 25,1 Prozent an den Netzen beteiligt hat. Zugleich wird der Rechtsstreit um die Fernwärme mit Vattenfall wieder aufgenommen. „Wir sind vorbereitet und haben einen Plan B", sagte Dressel. Marcel Schweitzer vom Bund der Steuerzahler, sagte, das Ergebnis sei „keine Katastrophe für Hamburg“. Zwar habe der Steuerzahlerbund vor den Risiken gewarnt, und diese Risiken gebe es auch weiterhin. Nun aber sei der Senat aufgefordert, die Entscheidung des Souveräns so umzusetzen, dass die Risiken möglichst gering blieben. Dabei gehe es zum Beispiel darum, gutes Personal für die neue eigene Netzgesellschaft einzustellen, damit die Stadt bei der Vergabe der Konzession auch wirklich den Zuschlag erhalte.

„Dies ist kein guter Tag für die Zukunft unseres Standorts“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Industrieverbands Hamburg, Michael Westhagemann. „Auf Hamburg wird eine lange und riskante Phase mit Planungsunsicherheit zukommen.“ Er erwarte langwierige politische und juristische Verfahren. „Wir bedauern dieses Ergebnis. Was es im Detail bedeutet bedarf einer genauen Prüfung“, sagte EON-Sprecher Ove Struck.