Manfred Braasch von der Volksinitiative zum Netzerückkauf gibt sich fünf Tage vor dem Volksentscheid kämpferisch und erklärt im Interview, warum der Rückkauf aus seiner Sicht sinnvoll ist.

Hamburg. Es sah schon mal besser aus für die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“. Während im Februar nach einer Abendblatt-Umfrage noch fast zwei Drittel der Hamburger für einen vollständigen Rückkauf der Energienetze waren, hat die Zustimmung laut jüngeren Erhebungen abgenommen. Manfred Braasch, BUND-Geschäftsführer und Sprecher der Initiative, erklärt im Interview, warum der Rückkauf aus seiner Sicht sinnvoll ist – und äußert sich zu Vorwürfen bezüglich der Finanzierung der Kampagne.

Hamburger Abendblatt: Herr Braasch, die Zustimmung zum Netzerückkauf nimmt kontinuierlich ab. Hat die Initiative Fehler bei der Kampagne gemacht?

Manfred Braasch: Nein, das glaube ich nicht. Die Gegenseite hat massiv aufgerüstet und auf eine Kampagne gesetzt, die zu großer Verunsicherung bei vielen Menschen geführt hat. Wir wissen aber, dass wir die besseren Argumente haben und eine gute Chance beim Volksentscheid.

Hat Ihnen die Debatte über die umstrittene 25.000 Euro-Bürgschaft der Kirche für die Initiative geschadet?

Braasch: Das weiß ich nicht. Aber ich verstehe die Aufregung nicht. Es ist seit 2010 bekannt, dass die Diakonie ein wesentlicher Teil der Initiative ist. Ich denke, es ist richtig, dass kirchliche Institutionen gesellschaftlich bedeutsame Diskussionen fördern. Die Frage der Netze wäre sonst in Hinterzimmern entschieden worden. Und wenn wir die Verhältnismäßigkeit betrachten, dann verstehe ich die Empörung schon überhaupt nicht mehr. Denn auf der Gegenseite läuft eine millionenschwere Werbekampagne. Auch die Unternehmensverbände engagieren sich massiv und sammeln anonyme Spenden ein.

Vattenfall selbst will über seinen Werbeetat nicht sprechen. Sagen Sie uns, was Sie für Ihre Kampagne ausgeben?

Braasch: Wir haben einen Etat von 180-190.000 Euro zur Verfügung. Der setzt sich zusammen aus 40.000 Euro Erstattungen aus Steuermitteln, da gibt es 10 Cent pro Stimme. Hinzu kommen die Bürgschaft der Diakonie und Spenden. Wir haben insgesamt 4000 Plakate aufgestellt und mehr als 350.000 Flyer verteilt.

Der Bürgermeister sagt: „Ich weiß gar nicht, was wir mit den Energienetzen machen sollten.“ Was antworten Sie ihm?

Braasch: Diese Frage können ihm am besten rund 800 seiner Kollegen beantworten, die Stadtwerke betreiben. Wir brauchen die Netze für eine aktive Gestaltung der Energiewende. Bei Strom und Gas müssen die Netze so angepasst werden, dass sie stärker Energie aus Wind und Sonne einspeisen können. Bei der Fernwärme geht es auch um die Erzeugungsanlagen, die dazugehören. Das Fernwärmesystem kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Vattenfall setzt weiterhin auf zentrale Großkraftwerke und fossile Verbrennung. Außerdem werden Gewinne nicht zur Preissenkung für die Kunden genutzt. Deswegen müssen wir es als Kommune selber übernehmen. Und: Ein „JA“ beim Volksentscheid ist auf alle Ewigkeit die letzte Chance, wieder eine städtische Fernwärmeversorgung aufzubauen.

Wie soll die Stadt all diese Investitionen bezahlen, die nach dem Scholz-Modell Vattenfall und E.on übernehmen?

Braasch: Auch Vattenfall und E.on wollen das eingesetzte Geld wiedersehen. Die Stadt würde den Ausbaubedarf für Strom und Gas genauso bei der Bundesnetzagentur anmelden. Die Rendite ist dort bei Neuinvestitionen höher. Das heißt: Die Investitionen rechnen sich. Bei der Fernwärme zieht sich der Umbau über viele Jahre hin, das ist gut machbar. Die Versorgung muss dezentraler organisiert werden, es müssen andere Anbieter in den Markt gelassen werden, und erneuerbare Energien eingespeist werden können. Das alles funktioniert mit dem heutigen Netz nicht.

Der vollständige Rückkauf würde insgesamt zwei Milliarden Euro kosten. Die Gegner sagen: lieber Kitas statt Kabel.

Braasch: Das ist eine bewusste Falschaussage der Rückkaufgegner, um den Hamburgerinnen und Hamburgern Angst zu machen. Der Senat hat 25,1 Prozent der Netze bereits gekauft und zwar nach eigener Aussage haushaltsneutral. Die 543,5 Millionen Euro wurden nämlich über einen Kredit der Gesellschaft für Vermögensverwaltung finanziert. Genauso wäre es beim Rückkauf des gesamten Netzes. Es würde keine einzige Kita weniger öffnen, wenn das Netz wieder im Besitz der Stadt ist. Im Gegenteil: Wenn die Netzgesellschaft Gewinne erwirtschaftet, können Kitas sogar davon profitieren.

Unabhängig vom Kaufpreis: Es gibt Kommunen, die rote Zahlen beim Betrieb der Energienetze schreiben. Die Gegner des Rückkaufs führen die Beispiele Hannover, Leipzig und Saarbrücken an.

Braasch: Diese Zahlen bedürfen einer näheren Betrachtung. Nehmen wir Hannover: Da wird der Jahresabschluss einer Drei-Mann-Gesellschaft herangezogen, die das Netz pachtet und den Betrieb an die Muttergesellschaft vergibt. Diese Konstruktion ist auf den ersten Blick ein Minusgeschäft. Es werden jedoch erhebliche Pachtzahlungen an die Muttergesellschaft abgeliefert. Wenn sie diese mit einbeziehen, macht das Netz ein deutliches Plus. Ähnliches gilt für die anderen Beispiele.

Hand aufs Herz: Würden Sie das Risiko des Netzekaufs auch dann eingehen, wenn Sie mit eigenem Geld und privater Haftung reingehen müssten?

Braasch: Eine private Haftung ist abwegig. Falls sich Bürger direkt am Netzerückkauf beteiligen könnten, wäre ich gerne dabei, da ich von einer guten Rendite überzeugt bin.

Können Sie wirklich Ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass mit den Energienetzen keine Verluste gemacht werden?

Braasch: Ja. Unter der Voraussetzung, dass die Netze professionell gemanagt werden, würde Hamburg keine Verluste, sondern Gewinne mit den Netzen machen.

Auch in absehbarer Zukunft?

Braasch: Auch in absehbarer Zukunft. Schon weil auch die Bundesnetzagentur kein Interesse daran hat, die Bedingungen so zu verschärfen, dass der Netzbetrieb in Deutschland zum Verlustgeschäft wird.

Der Bürgermeister sagt: 25,1 Prozent an den Netzen reichen. Sie sichern uns Einfluss und vermeiden Ausgaben und Risiken. Hört sich plausibel an.

Braasch: Dieser Anteil ermöglicht es lediglich, Investitionsentscheidung mit einem Veto zu belegen. Das ist keine aktive Gestaltung. Bei der Anhörung in der Bürgerschaft haben alle Experten gesagt, man brauche mindestens 50,1 Prozent, um Herr im eigenen Hause zu sein. Wir sind für 100 Prozent, damit man die komplette Verfügung über die Netze hat und die Modernisierung vorantreiben kann. Auch die Überschüsse bleiben dann zu 100 Prozent bei der Stadt.

Wenn der Volksentscheid erfolgreich ist, hat man noch lange nicht die Strom-Konzession, die 2015 neu vergeben wird, argumentieren die Gegner. Die könnte wieder an Vattenfall gehen, die haben schließlich jahrzehntelange Erfahrung.

Braasch: Viele andere Kommunen haben es erfolgreich vorgemacht: Die Stadt gründet eine eigene Gesellschaft und bewirbt sich. Da Hamburg selbst die Konzession vergibt, hat die Stadt Einfluss auf das Verfahren. Ich habe da hohes Vertrauen in den Bürgermeister, der zugesichert hat, die nötigen Schritte mit aller Verwaltungskompetenz zu gehen. Sie müssen zunächst nur ihr Interesse bekunden. Im zweiten Schritt müssen Sie belegen, dass Sie in der Lage sind, das Netz qualifiziert zu betreiben. Dazu kann die Stadt sich etwa einen externen Dienstleister an die Seite stellen. Außerdem übernimmt sie im Rahmen eines Betriebsübergangs das Unternehmen mit einem Großteil des Personals.

Hört sich nach vielen Unwägbarkeiten an, zumal Vattenfall und E.on wohl vor Gericht ziehen dürften.

Braasch: Das ist ein sehr klar geregelter Prozess, das Prozedere findet nicht zum ersten Mal statt. Sehr viele Kommunen haben es erfolgreich vorgemacht, auch das CDU-regierte Dresden. Es geht um solides Handwerk – das trauen wir dem Bürgermeister durchaus zu.

Würde die Energie für die Hamburger billiger, wenn das Netz der Stadt gehört?

Braasch: Nein, das kann man für Strom und Gas nicht behaupten, weil die Netzentgelte nur etwa ein Viertel des Preises ausmachen. Bei der Fernwärme hätte die Stadt allerdings Gestaltungsspielraum, da sie ja auch Teile der Erzeugung und die Kunden übernähme.

Der BUND betreibt nicht nur den Netzrückkauf, er verhindert auch per Klage derzeit die Elbvertiefung. CDU-Fraktionschef Wersich hat Ihnen vorgeworfen, Sie akzeptierten demokratische Mehrheitsentscheidungen nicht.

Braasch: Was ist demokratischer als einen Volksentscheid zu organisieren? Und was die Elbvertiefung angeht: Natürlich respektieren wir die Mehrheitsentscheidungen der Parlamente. Wir klagen gegen den Verwaltungsakt. Wie fehlerhaft der war, sieht man daran, dass er schon viermal nachgebessert werden musste. Die Umweltverbände gehen von einer Verletzung des Europäischen Umweltrechts aus und nutzen daher das Instrument der Verbandsklage. Dieses ist im Bundesnaturschutzgesetz verankert und somit demokratisch legitimiert. Übrigens hat doch gerade die CDU die Gerichte bemüht, um den Volksentscheid zu verhindern. Das fand Herr Wersich in Ordnung. Man darf den Rechtsweg offenbar nur beschreiten, wenn es der CDU in den Kram passt.

Herr Braasch, sagen Sie den Lesern des Hamburger Abendblatts zum Abschluss bitte in wenigen Sätzen, warum sie Ihres Erachtens am kommenden Sonntag für den Netzerückkauf stimmen sollten – und nicht dagegen.

Braasch: Es geht um eine wichtige Entscheidung, die nur alle 20 Jahre möglich ist. Wir meinen: Die Energienetze sind besser bei der Stadt aufgehoben als bei einem Unternehmen wie Vattenfall, das durch die Klage gegen den Atomausstieg, durch massiven Braunkohletagebau und durch die Fehlplanung beim Kraftwerk Moorburg Ziele hat, die nicht denen der Hamburger Bürger und nicht denen des Klimaschutzes entsprechen. Wir sagen: Lieber selber machen, dann ist man Herr im Hause.