Welch ein Fund: Der Sammler Henner Dingfelder hat per Zufall ein Unikat gefunden – eine Scharfrichtermünze von 1767.

Rahlstedt. Es war ein Glücksgefühl, das nur leidenschaftliche Sammler kennen. Als Henner Dingfelder bei einem Antikhändler in Rathausmarktnähe das Objekt seines Begehrens entdeckte, frohlockte seine Sammlerseele: Der Hamburger Scharfrichterpfennig von anno 1767 ist ein Unikat von enormem historischen Wert. Jahrelang hatte er auf dem freien Markt danach gesucht. Denn eigentlich lagern solche Schätze ausschließlich in Museen – gut verwahrt und unverkäuflich.

Und da Dingfelder den Fund nicht für sich behalten, sondern mit den Freunden norddeutscher Geschichte teilen möchte, hat er im Eigenverlag ein Fachbuch veröffentlicht: „Der Dank der Scharfrichter.“ Mit Detailliebe und Sachverstand wird eine Ära der Hansestadt am Leben gehalten, in der Henkersknechte und Todesstrafen eine niederschmetternde Rolle spielten. Zwar stammt der Begriff Henker ursprünglich vom „Henken“, dennoch meinte der Volksmund damit einen Vollstrecker generell.

Dingfelders Chronik ist angereichert mit gruseligen Facetten strenger Gerichtsbarkeit. Wer am Ende durch Schwertes Klinge kurz und relativ schmerzlos einen Kopf kürzer war, konnte sich noch gut bedient fühlen. Wer zuvor gerädert oder gevierteilt wurde oder auf einem Scheiterhaufen dahinschied, musste ärgere Qualen erdulden. „Jede Medaille ist ein Stück Geschichte“, sagt Dingfelder bei einem Besuch in seinem Haus in Rahlstedt.

Das Arbeitszimmer wirkt wie eine Schatzkammer, gespickt mit Relikten fast vergessener Tage: Medaillen, historische Prägungen, Urkundenrollen, Plaketten, Stiche und Figuren. Der historische Wert ist oft unermesslich, der materielle teilweise bescheiden. Man muss ein Herz dafür haben. Kostbare Besitztümer hat der 73-jährige Schlossermeister, Betriebswirt und Unternehmer im Ruhestand im Tresor einer Bank deponiert. Sicher ist sicher.

Tatsächlich mit Samthandschuhen zieht „Schatzmeister“ Dingfelder den 236 Jahre alten Scharfrichterpfennig aus einer gut versteckten Schatulle hervor. Die Silbermedaille mit einem Durchmesser von knapp fünf Zentimetern und 51 Gramm Gewicht ist erstaunlich gut erhalten und reich an Inschriften und Verzierungen. Die eine zeigt die Hammaburg mit dem Tor zur Welt, die andere ein verschnörkeltes Wappen mit dem Namen des Senators Rudolph Michael Ridel. Ridel oblag die Vollstreckung sämtlicher Gerichtsurteile innerhalb Hamburgs. Dazu gehörte neben Haft und Folter die Todesstrafe, vollstreckt von einem Frohn, der sich später Scharfrichter nannte.

Hamburger Tradition gemäß pflegte dieser Henker seinem Geldgeber und Schutzherrn mit einer Medaille für sichere Aufträge und ein anständiges Auskommen zu danken. Diskret ließ der Folterknecht und Sensenmann seine Initialen in die Turmspitzen der Hammaburg gravieren: HJH für Hans Jürgen Hennings. Dieser Dank an den Prätor zählte von 1541 bis 1810 zum guten Ton. Es handelt sich um die deutschlandweit einzige bekannte Sitte dieser Art. 101 dieser Scharfrichterpfennige sind bekannt. Das Gros befindet sich im Museum für Hamburgische Geschichte, vereinzelte im Staatsarchiv sowie in der Eremitage in St. Petersburg und im Bode-Museum in Berlin.

Hintergrund war die gesellschaftliche Ächtung der Todesknechte. Zwar wurden richterliche Abschreckung und Schutz vor Verbrechern durchaus geschätzt, das einschneidende Handwerk der Frohne aber umso weniger. Der Mann mit dem Schwert war nämlich auch Abdecker für Tierkadaver, Müllbeseitiger und Totengräber. Das Haus der Scharfrichter war die Frohnerei auf einem Hügel nahe der St. Petri-Kirche.

„Diese Aufgaben führten zur öffentlichen Ächtung, von der auch seine Familie und die Knechte betroffen waren“, sagt Henner Dingfelder. Doch auch unehrenhafte Staatsdiener brauchten Schutz. Der Prätor sorgte dafür, dass sie in der Kirche, im Wirtshaus und letztlich auf dem Friedhof einen Platz bekamen. Beschimpfungen, Hohn und Spott waren der Alltag. Zeitweise war die sogenannte Henkerstube im Alten Ratsweinkeller der einzige Ort außer Haus, in dem der Aussätzige unbehelligt sein Feierabendbier trinken konnte.

Dieses und noch viel mehr steht in Dingfelders Buch. Über Bürgermeistermünzen, die nach dem Tod des Amtsträgers an Familie und Freunde verschenkt wurden, historische Prägungen und Ehrungen dankbarer Hamburger, hat er Fachbücher veröffentlicht. Alle sind ausgestattet mit Details der hanseatischen Geschichte, die einem heutzutage den Atem stocken lässt.

Dass die Arbeit mit dem Schwert begehrt war, lag an der Vergütung. Zwar lebte ein Scharfrichter abseits der Gesellschaft, er musste indes keine materielle Not leiden. Ganz im Gegenteil. Als der Henker Frantz Wilhelm Hennings, ein Verwandter des oben genannten Hans Jürgen Hennings, anno 1772 starb, hinterließ er drei Ehefrauen, zehn Kinder und ein damals sagenhaftes Vermögen von 50.000 Mark. Es hatte sich bezahlt gemacht, dass der Mann nebenbei mit Fellen und Tierfetten handelte, die er zudem als Heilmittel verkaufte. Der Sippe gefiel der Job so gut, dass sie das Scharfrichteramt in Hamburg 108 Jahre fest im Griff hatte — ebenso wie das todbringende Schwert.

Zwischen 1400 und 1580 erhielten die Scharfrichter in Hamburg pro Jahr im Schnitt nur etwa fünf bis zehn Hinrichtungsaufträge. Lukrativer war das Köpfen von Seeräubern, was in diesem Zeitraum fast 500 Mal geschah. Am 20.Oktober 1400 waren auf dem Grasbrook Klaus Störtebeker und 36 seiner Kumpanen dran. Am 30. Oktober war das Volk schaudernd Zeuge, als der dänische Pirat und Admiral Klaus Kniphof mit 71 Männern unters Schwert kam. Kein Wunder, dass die Nordsee-Piraterie für lange Zeit überwunden war.

Akkurat hat Henner Dingfelder die Dienst- und wenn man so will Schaffensjahre der Scharfrichter und ihrer ganz persönlichen Danksagungen an ihre Schutzherren zusammengetragen — zum Großteil mit Fotos. „Eine solche Zusammenstellung gibt es in der Literatur bisher noch nicht“, sagt Dr. Ralf Wiechmann, Numismatik-Experte der Stiftung Historische Museen Hamburg mit Sitz Holstenwall 24.

Einmal monatlich, demnächst am kommenden Dienstag, treffen sich dort Münz- und Medaillenfreunde. Sie eint Sammelleidenschaft und Begeisterung für die Geschichte der Hansestadt. Acht Scharfrichterpfennige sind bisher nicht bekannt und dokumentiert. Vielleicht liegen sie irgendwo in einer Flohmarktkiste oder gerieten auf einem Dachboden in Vergessenheit.

Fast alle Opfer der Scharfrichter, von Störtebeker einmal abgesehen, teilen dieses Schicksal.

Das Buch ist zum Selbstkostenpreis von 45 Euro über h.dingfelder@hamburg.de zu beziehen.