1103 Schüler und Lehrer wurden in der Hansestadt im vergangenen Schuljahr verprügelt, bedroht, beleidigt, bestohlen oder Opfer sexuellen Missbrauchs.

Hamburg. Gewalt kennt offenbar kein Alter. Schon an den Grundschulen der Hansestadt werden Kinder häufig von Mitschülern beleidigt und bedroht, verprügelt und bestohlen. Insgesamt 485 Gewalttaten hat die Behörde im vergangenen Schuljahr an Grundschulen verzeichnet, darunter 76 schwerwiegende Delikte. Das bedeutet auch: Nicht nur die Opfer sind noch sehr jung und machen bereits in den ersten Schuljahren Gewalterfahrungen; die Täter sind es ebenfalls. 480 Tatverdächtige waren zehn Jahre alt oder jünger.

Und Gewalt ist überwiegend männlich: Unter den 1250 ermittelten Tätern an allen Schulformen waren gerade einmal 124 Mädchen. Betroffen sind besonders die Stadtteilschulen mit 486 Fällen, weniger hingegen die Gymnasien (41 Fälle). Kaum Ärger gab es an den Beruflichen Schulen (19), die von älteren Jugendlichen besucht werden. Immerhin 123 Gewalttaten richteten sich nicht gegen Mitschüler, sondern gegen die Lehrer. Im Schuljahr 2012/13 stieg die Zahl der Gewalttaten um insgesamt 13,4 Prozent auf 1103.

Die Behörde stuft die Gewalttaten in zwei Schweregrade ein. Sexualdelikte (von der sexuellen Beleidigung bis zur Vergewaltigung), Raub und Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung, Drogenkonsum, schwerer Diebstahl und der Einsatz von Waffen gelten als gravierende Delikte, von denen 221 Fälle gezählt wurden. Insgesamt 882 Mal gab es Fälle von gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, politischen Straftaten, einfacher Körperverletzung, schwerer Beleidigung und Sachbeschädigung. Bei 20 Gewalttaten kam sogar ein Kriseninterventionsteam an die Schule.

„Insgesamt sind diese Ergebnisse alarmierend“, sagt der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries, der die Zahlen beim Senat erfragt hatte. Körperverletzungen, Bedrohungen und sexuelle Übergriffe hätten nichts auf den Schulhöfen zu suchen – auch weil sie zu einem Klima der Angst bei den Kindern führten und den schulischen Erfolg gefährdeten. De Vries fordert: „Der Senat muss die weitere Ausbreitung von Gewaltdelikten an Hamburgs Schulen endlich ernst nehmen und mit mehr Präventionsmaßnahmen und früher einsetzenden Sanktionen gegen die Täter konsequent gegensteuern.“

Seit dem Schuljahr 2009/10 hat sich die Zahl der gemeldeten Gewaltvorfälle mehr als verdoppelt. Damals, im September 2009, wurde die Meldung von Gewalttaten für die Schulen verpflichtend. Daraufhin stiegen die Zahlen: von 507 Meldungen im Schuljahr 2009/10 auf 973 Gewaltmeldungen im Schuljahr 2011/12. Dies hatte die Politik zunächst zumindest teilweise auf die neue Meldepflicht zurückgeführt – als eine Aufhellung des bisherigen Dunkelfeldes. Als Begründung für den abermaligen Anstieg im vergangenen Schuljahr aber taugt die 2011 noch einmal geänderte Meldepflicht nicht mehr, findet der CDU-Politiker de Vries. „Die Zunahme von Gewaltvorfällen ist ganz real und nicht Folge eines veränderten Meldeverhaltens“, sagt er.

Das sieht man in der Schulbehörde völlig anders: „Die steigenden Zahlen sind keineswegs ein Zeichen für mehr Gewalt, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, dass heute wesentlich genauer hingeguckt wird“, sagt Senator Ties Rabe (SPD).

Auch habe sich der Anstieg der Zahlen abgeschwächt, und es gebe kaum mehr schwere Gewaltvorfälle. Gestiegen seien vielmehr die Meldungen von geringfügigeren Gewaltvorfällen, von 662 in 2010/11 auf jetzt 822. „Wir haben mit mehreren Initiativen die Schulen aufgefordert, Gewaltvorfälle nicht länger zu verschweigen, damit unsere Beratungslehrkräfte zielgenauer helfen können“, so Rabe. „Heute wird genauer hingeguckt, Fußtritte und Schläge werden nicht als schulübliches Gerangel abgetan, sondern immer häufiger den Beratungslehrkräften und der Schulleitung gemeldet.“ Rabe scheinen die Zahlen sogar noch „ungewöhnlich niedrig“: Es sei unwahrscheinlich, dass es unter mehr als 50.000 Gymnasiasten in einem ganzen Jahr nur 41 Rangeleien und Prügeleien gegeben haben soll.

Rückhalt bekommt Rabe vom Kriminologen Professor Christian Pfeiffer. Nur vordergründig habe die Gewalt an Schulen in Hamburg zugenommen, sagt der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Im Abstand von fünf Jahren durchgeführte Dunkelfeldstudien in mehreren deutschen Städten bestätigten, dass bundesweit die Gewalt an Schulen zurückgehe. Wenn in Hamburg nun mehr Straftaten angezeigt werden, so spreche dies vermutlich für eine erhöhte Anzeigebereitschaft, so Pfeiffer. Daten der kommunalen Unfallversicherungsverbände über Schüler, die bei Gewalttaten mittel- oder schwer verletzt wurden, zeigten, dass die Zahl der krankenhausreif geschlagenen Schüler seit 1997 um 61 Prozent gesunken sei, sagt Pfeiffer.