Hamburg. Zeugen können sich kaum noch erinnern, Richter urteilen milder, weil die Tat so weit zurückliegt: Beim Hamburger Landgericht spitzt sich die Lage wegen der hohen Belastung zu. Nach Abendblatt-Informationen musste jetzt ein Verdächtiger aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil sein Verfahren nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von sechs Monaten terminiert werden konnte. „Es ist mittlerweile Tagesgeschäft, hin- und herzujonglieren, wie wir die Sachen retten können“, bestätigt die Präsidentin des Landgerichts, Sibylle Umlauf, dem Abendblatt. „Wir sind am Limit“, heißt es bei den meisten der 24 Großen Strafkammern.

Laut Verfassungsgericht müssen Verfahren, bei denen die Verdächtigen in Untersuchungshaft sitzen, bevorzugt verhandelt werden. Allein im Jahr 2013 sind beim Landgericht in solchen dringenden Haftsachen 110Anklagen gefertigt worden. Die Folge: Verfahren, bei denen niemand in Haft sitzt, bleiben zum Teil jahrelang liegen. Aus dem Jahr 2008 sind noch drei Verfahren bei den Großen Strafkammern anhängig, aus dem Jahr 2009 noch vier, aus 2010 elf, aus 2011 noch 23 und aus dem vergangenen Jahr sogar 59. Auch in den Urteilen machen sich überlange Verfahren bemerkbar: In solchen Fällen muss dann in der Regel das Strafmaß drei Monate geringer ausfallen als eigentlich angemessen wäre – diese Zeit gilt als „vollstreckt“.