Sie nehmen entgegen, was keiner mehr haben will. Was die Hamburger ausmisten und in ihren Gärten wegschneiden, landet bei den Sammelstellen der Stadtreinigung. Am Sonnabend ist Hochbetrieb am Krähenweg.

Am Sonnabend braucht Norbert Radü immer einen sechsten Mann. Die Woche über sind sie zu fünft, aber am Wochenende reicht das nicht. Dann haben nämlich immer zahllose Leute das Bedürfnis, sich von Überflüssigem zu trennen. Wer nichts Besseres vorhat, fährt sonnabends zum Recyclinghof. Norbert Radü, 50, der seit 1989 hier am Krähenweg in Niendorf arbeitet, und seine Kollegen nehmen geduldig an, was in den Haushalten und Gärten der umliegenden Stadtteile über ist.

Um elf Uhr ist richtig was los. Am Kassenhäuschen kommt nur vorbei, wer kurz erklärt, welche Fuhre er geladen hat. Netter kleiner Schnack meist inbegriffen, egal, wie lang die Schlange ist. Viele sind Stammkunden. „50, 60 Prozent mindestens kennt man vom Sehen“, sagt Radü.

Er steht an der Einfahrt, während seine Kollegen auf dem Hof mit anpacken. Haben es die Frauen unter den Kunden leichter? Bei der Antwort zögert der Vorarbeiter nicht: „Ja, sicher. Da stellt man sich nicht daneben und guckt zu.“ Beispielsweise wenn Frauen sich mit prallen Säcken voller Gartenabfälle abmühen. Die kosten 50 Cent Gebühr je angefangene 100 Liter, das war früher mal teurer. Grünzeug kommt hier viel an. Mehr als ein Drittel des gesamten Mülls, der hier abgegeben wird – insgesamt 4335 Tonnen – waren hier im vergangenen Jahr Grünabfälle. „Es gibt hier ringsum viele Einzelhäuser und viele Gärten", erklärt Radü und deutet auf die vielen Anhänger an den Autos, die warten, bis sie an die Reihe kommen. Weitere 20 Prozent sind Sperrmüll, dazu kommen Schrott (5,2 Prozent), Hausmüll (14,8 Prozent), Altmetall (12,4 Prozent), hat der Sprecher der Stadtreinigung mir vorab mitgeteilt, damit die Dimensionen klar werden.

Wenn was Neues ins Haus kommt, muss das Alte weg. 11.15 Uhr ist es jetzt. Ein Mann und sein Sohn haben ihren Opel vollgeladen und stehen vor dem Sperrmüllcontainer. Die Sitze sind umgeklappt, obenauf liegt ein Bilderrahmen, darunter ein zerlegter Schrank. „Bisschen Kunst, ein echter van Gogh", sagt der Kunde aus Groß Borstel und zeigt auf den Bilderrahmen. Früher wäre er zum Offakamp in Lokstedt gefahren; seit der dortige Recyclinghof geschlossen wurde, muss er eben nach Niendorf. Bedauern um das alte Zeug ist ihm fremd. „Etwas anderes hat ja dafür Einzug gehalten", sagt er fröhlich.

Anstatt in den Sperrmüll weist ihn einer der Mitarbeiter an, das Bild in den Restmüll-Container werfen, der eigentlich kostenpflichtig ist. Aber die Glassplitter könnten jene gefährden, die später den Sperrmüll sortieren, wird mir erklärt. In diesem Fall muss der Kunde also nicht bezahlen. Als der Mann den Kofferraumdeckel zugeklappt hat, kommt er noch einmal vorbei und sagt: „Wissen Sie, was ich super finde: Die sind hier immer gut drauf.“ 437 Kunden kommen im Schnitt pro Tag, an manchen Tagen waren es im vergangenen Jahr bis zu 724 Kunden, das machte 132.000 Besucher im gesamten Jahr. Echte Miesepeter seien selten darunter, sagt Radü. Heute sei noch keiner dabei gewesen.

Arno Paulokat hat am Vortag seine Hecke geschnitten. Vier Säcke hat der Niendorfer geladen, jetzt, um 11.20 Uhr, will er sie loswerden. Ihm bleibe ja nichts anderes übrig, sagt er, als sie am Sonnabend abzugeben. Also hat er sich in die Autoschlange eingereiht, die oft zig Meter fast bis zur Paul-Sorge-Straße zurück reicht. An diesem Sonnabend ist es ein wenig entspannter, weil es bis in den Vormittag hinein geregnet hat. „Das merkt man sofort", sagt Radü. Sonst würden jetzt gegen halb zwölf auch noch die Gartenbesitzer in der Schlange stehen, die frühmorgens Rasen mähen oder ihre Hecke schneiden.

Seit etlichen Monaten ist die Straße zwischen Recyclinghof und dem gegenüberliegenden Parkplatz von Baumarkt und Supermarkt mit einer durchgezogenen Linie versehen. „Das haben nicht wir veranlasst", betont Radü, „das waren die von drüben, Plaza und Edeka, damit die Kunden vom Parkplatz wegkommen". Das funktioniert nur nicht. Die eine Spur ist auch jetzt wieder verstopft, und wer vom Supermarktparkplatz raus will, muss an den Recyclinghof-Kunden, die in der Schlange stehen, vorbei – auf der Gegenfahrbahn, anders geht es nicht.

Ein ständiges Kommen und Gehen

Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, Autos fahren auf den Hof, parken, laden aus, fahren wieder. Eine Frau wirft gerade zwei Korbstühle in den Container mit der Aufschrift: „A IV Holz". Ganz falsch. Der Recyclinghofmitarbeiter Thorsten Clemens, 48, klettert in den Container und holt die Korbstühle wieder raus. „Aber da steht doch Holz dran", sagt die Kundin irritiert. „Ja, aber das ist nur für belastetes Holz, also für Gartenzäune zum Beispiel", erklärt Clemens geduldig. Er wirft die Stühle eigenhändig in den Container für unbelastetes Holz.

Gegen viertel vor 12 wird es plötzlich ruhig auf dem Gelände, die Autoschlange kommt ins Stocken. Zwei Container müssen getauscht werden, das dauert fast zehn Minuten. In dieser Zeit darf niemand auf den Hof. Zehn Container werden pro Tag im Schnitt ausgewechselt. Normalerweise wird vorher eine Metallschranke heruntergelassen, aber dafür war es jetzt zu spät. „Zwei sind schon auf den Hof gefahren", sagt Radü, und deutet auf zwei Fahrzeuge, die nicht schnell genug auf seine Handzeichen reagiert haben. Vielleicht hatten sie auch gehofft, es doch noch zu schaffen. Kennt manch einer ja vielleicht von sich selbst. Warten müssen sie trotzdem. Auch Meike Kramer, die sonst immer an den Autos vorbei radelt, muss sich gedulden. In einem Kinderradanhänger hat sie zwei Säcke Grünabfälle. „Ich transportiere mit dem Anhänger auch meine Einkäufe", sagt die dreifache Mutter aus Niendorf. Also der Hof wieder frei ist, ist sie dafür die Erste am Grüncontainer.

Es geht jetzt auf zwölf Uhr zu, der Kundenparkplatz auf der anderen Straßenseite ist rappelvoll. Wer ihn ordnungsgemäß verlassen will, müsste nach rechts abbiegen, aber das ignorieren mehrere Autofahrer. Aber heute ist keine Polizei zu sehen. Obwohl: Manchmal seien die Beamten Verkehrssündern schon mal bis auf den Hof hinterhergefahren, um abzukassieren, sagt Radü. Lautes Gehupe gibt es nur, als ein Autofahrer versucht, sich in die Recyclinghof-Einfahrt reinzudrängeln. Da wird kein Millimeter Platz gemacht.

12 Uhr: Zwei Stunden müssen die sechs Mitarbeiter noch arbeiten. Nur jeden dritten Sonnabend haben die insgesamt sieben Männer und eine Frau vom Krähenweg frei. „Ich mag den Sonnabend, weil es ein kurzer Tag ist, und man hat dann in der Woche frei", sagt Radü.

Der Fahrer des weißen Transporters übrigens, der schon in der vergangenen Stunde immer mal wieder zu sehen war, ist immer noch vor Ort. Der 48-Jährige ist so etwas wie der siebte Mann. Manchmal steht er verborgen hinter einer Hecke, aber heute versteckt er sich nicht. Er sei Serbe, erzählt er. Als Hausmeister arbeite er täglich sechs Stunden. Vor dem Recyclinghof versucht er, sein Einkommen aufzubessern, indem er bei den Wartenden elektrische Geräte abstaubt, um sie zu reparieren und zu verkaufen.

Norbert Radü kennt den Mann vor der Pforte. „Der Jäger und Sammler ist wieder da", sagt er gelassen. Zwar verkaufe auch die Stadtreinigung Elektroschrott weiter, aber Radü lässt den Mann vor der Pforte gewähren."

12.05 ist es jetzt. Der siebte Mann hat heute noch knapp zwei Stunden. „Ich bin nicht arbeitslos, deshalb muss ich mich hierfür nicht schämen", sagt er. Heute läuft es zäh, aber manchmal lohnt es sich. Je älter ihre Autos, umso eher würden ihm Recyclinghofkunden etwas überlassen, sagt er. „Aber die mit den neuen großen Autos, die blicken stur geradeaus. Die geben mir nichts.“

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