Norddeutsche Industrie und Versorger wollen Wasserstoff aus Windkraft-Strom erzeugen. Rund 530 Millionen Euro Investitionen bis 2025. Hochbahn testet seit 2003 Busse mit Brennstoffzellenantrieb.

Hamburg. Die Metropolregion Hamburg soll bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts eine führende Position bei der Nutzung von Wasserstoff erreichen. Das ist das Ziel einer Initiative von 19 Unternehmen aus der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft, die in Norddeutschland tätig sind, darunter Vattenfall, Linde, Dow Chemical oder Aurubis. Das Projekt wird koordiniert von ChemCoast, einer Organisation des Landesverbandes Nord der chemischen Industrie (VCI).

„Die Region Unterelbe hat ideale Bedingungen für den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft“, sagte Dieter Schnepel, Geschäftsführer der Dow Deutschland Anlagengesellschaft und Vorstandsvorsitzender von ChemCoast, am Montag bei einer Konferenz im Hamburger Rathaus. „Es gibt viel Strom aus Windkraftwerken, der für die Erzeugung von Wasserstoff per Elektrolyse genutzt werden kann. Und es gibt für diesen Wasserstoff in der regionalen Industrie und im Verkehr etliche Abnehmer. Zudem existieren in Niedersachsen geeignete Standorte für Kavernen, um Wasserstoff zu speichern.“

Per Zugabe von elektrischem Strom kann Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten werden. Wasserstoff lässt sich in Kolbenmotoren verbrennen, zu Methangas beimischen oder aber in einer chemoelektrischen Reaktion mit Sauerstoff wieder in Wasser zurückverwandeln. Bei diesem Prozess in Brennstoffzellen entstehen Strom, Wärme und als Abgas Wasserdampf. Wasserstoff gilt seit vielen Jahren als mögliches Speichermedium für die schwankenden Stromerträge aus Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen. Bislang allerdings wurde das Gas noch nirgends im industriellen Maßstab mit Ökostrom erzeugt. Der dafür nötige Prozess galt als unwirtschaftlich.

Nun aber könnte die Wasserstoffwirtschaft mit breiter Unterstützung aus Wirtschaft und Politik in Gang kommen. „Wasserstoff bietet aus unserer Sicht die einzige Möglichkeit, große Energiemengen zu speichern“, sagte Oliver Weinmann vom Energieversorger Vattenfall. „Sämtliche Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland könnten heute für das gesamte Land nur für insgesamt 17 Minuten Strom liefern.“ Vattenfall ist in Deutschland der führende Betreiber von Pumpspeicherkraftwerken, unter anderem am Standort Geesthacht. Dort wird Wasser in höher gelegene Wasserbecken gepumpt. Umgekehrt fließt das Wasser über Röhren auf Turbinen und erzeugt wieder Strom, wenn dieser benötigt wird.

In Norddeutschland wird mittlerweile an vielen Tagen weit mehr Strom mit Windkraftanlagen produziert, als die regionalen Verbraucher aufnehmen können. Umgekehrt fehlt Strom bei Flaute. Anstatt überschüssigen Windstrom zu verschenken, soll er künftig in Form von Wasserstoff gespeichert werden. Die Beteiligten von ChemCoast wollen von 2015 an zunächst in Hamburg und dann in Brunsbüttel neue Elektrolyseanlagen bauen. Gebraucht werden zudem neue Pipelines und ein Kavernenspeicher in Niedersachsen. Rund 531 Millionen Euro müssten dafür bis 2025 investiert werden. Das ist das Ergebnis einer Studie, die im Rathaus präsentiert wurde. Erarbeitet haben das Papier im Auftrag von ChemCoast die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, das Unternehmen Ludwig-Bölkow Systemtechnik und die Kanzlei Becker Büttner Held.

Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft bleibt trotz guter Voraussetzungen in der Region hoch ambitioniert. „Es wird zunächst politischer Hilfe und geeigneter Rahmenbedingungen bedürfen, um die Erzeugung von Wasserstoff aus regionalem Windstrom auszuweiten und sie schließlich wirtschaftlich zu machen“, sagte Rainer Scholz von Ernst & Young. Eine Befreiung der Elektrolyseanlagen von der Ökostrom-Umlage sei unumgänglich, um die Projekte finanziell darstellen zu können. Für den Aufbau neuer Pipelines seien Partnerschaften zwischen Wirtschaft und öffentlicher Hand geeignet.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) hob den langfristigen Nutzen einer Wasserstoffversorgung hervor. „Wir haben, gerade in Norddeutschland, in den vergangenen 20 Jahren bewiesen, dass eine Energiewende machbar ist. Nun brauchen wir ein Energiekonzept für die kommenden 20 Jahre. Mit der Erzeugung von Wasserstoff, mit der Speicherung von Energie sichern wir nicht nur die Standorte der regionalen Industrie. Wir schaffen auch eine Voraussetzung dafür, dass sich Industrieunternehmen aus anderen Regionen hier ansiedeln.“

In Hamburg gibt es bereits Ansätze, um Erfahrungen bei der Nutzung von Wasserstoff zu sammeln. Die Hochbahn testet seit 2003 Busse mit Brennstoffzellenantrieb. Sie stoßen nur Wasserdampf aus. Von 2020 an, so die Vorgabe von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), darf die Hochbahn nur noch emissionsfreie Busse anschaffen. Vattenfall baute in der HafenCity Hamburgs erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle. Und der Energiekonzern E.on setzte Ende Juni in Reitbrook den ersten Spatenstich für einen neuen Elektrolyseur. Der Wasserstoff, der dort erzeugt wird, soll unter Zusatz von Kohlenstoff ins Erdgasnetz eingespeist werden. „Heute nutzen wir Wasserstoff noch im Bonsai-Maßstab“, sagte der Hamburger Wirtschafts-Staatsrat Andreas Rieckhof (SPD). „Das wird sich in den kommenden Jahren ändern.“